Finanzen nicht solide - Frühwarnsystem schlägt an: Deutschland ist für die Zukunft zu schlecht gerüstet

Wenn die Bundesregierung nicht gegensteuert, drohen die deutschen Staatsfinanzen langfristig aus dem Ruder zu laufen. Davor warnt der aktuelle Tragfähigkeitsbericht des Finanzministeriums. Deutschland sei finanziell wieder schlechter auf das Altern der Gesellschaft vorbereitet, zitiert die Deutsche Presse-Agentur das Papier. Im Haus von Minister Christian Lindner (FDP) versteht man das als Appell für tiefgreifende strukturelle Reformen.

Der Tragfähigkeitsbericht gilt als Frühwarnsystem für die Staatsfinanzen. Dabei zeigt er nur, welche Folgen die Alterung der Gesellschaft auf das Budget hat - weitere Belastungen wie der Klimawandel und mögliche künftige Krisen werden außen vor gelassen. Der Bericht wird auf Grundlage eines Gutachtens externer Wissenschaftler einmal pro Legislaturperiode vom Finanzministerium erstellt. Die Modellrechnungen sind hypothetisch und gehen davon aus, dass sich die Politik nicht ändert.

„Tragfähigkeitslücke“ ermittelt

Am 20. März soll der neue Bericht dem Kabinett vorgelegt werden. Er geht von einer deutlich alternden Bevölkerung aus. Heute sei etwa jede fünfte Person in Deutschland älter als 66 Jahre, im Jahr 2070 könnte es fast jede dritte sein.

Das stellt den Staat vor erhebliche finanzielle Probleme: Wenn weniger Bürger arbeiten, nimmt er weniger Steuern ein. Gleiches gilt für die Beiträge der Sozialversicherungen. Gleichzeitig erhalten aber mehr Bürger Leistungen zum Beispiel aus der Renten- und Pflegeversicherung. Die demografieabhängigen Ausgaben etwa für Rente, Gesundheit, Pflege und Familie könnten laut Bericht im besten Szenario von aktuell 27,3 Prozent der Wirtschaftsleistung auf 30,8 Prozent steigen - unter ungünstigen Bedingungen könnten sie sogar auf 36,1 Prozent klettern.

Aus diesen Annahmen leiten die Experten die sogenannte „Tragfähigkeitslücke“ ab. Sie ergibt sich aus Einahmen und Ausgaben des Sozialstaats und beziffert wie viel die Staatskasse zuschießen müsste, um die Leistungen zu erhalten. Für das Jahr 2070 liegt sie unter günstigen Annahmen bei 1,6 Prozent der Wirtschaftsleistung - bei einem pessimistischen Szenario sogar bei 4,7 Prozent. Gemessen am aktuellen Bruttoinlandsprodukt müsste der Staat also zwischen 66 und gut 194 Milliarden Euro weniger ausgeben oder mehr einnehmen. Dabei setzen die Experten voraus, dass Deutschland beim Schuldenstand die Maastricht-Quote von 60 Prozent des BIP anpeilt. 

Lindner: Über längere Lebensarbeitszeit nachdenken

Die Einhaltung der Schuldenbremse nicht vorausgesetzt, könnte die Schuldenquote bis zum Jahr 2070 den Experten zufolge im ungünstigsten Szenario bis auf 345 Prozent des BIP steigen, im günstigen Szenario auf 140 Prozent. „Die Einhaltung der Schuldenregel würde über die Reduzierung der Schuldenstandsquote zur langfristigen Tragfähigkeit
der öffentlichen Finanzen beitragen“, heißt es im Bericht. 

Im Finanzministerium sieht man die Projektion als Bestätigung: Eine nachhaltige Entwicklung der Staatsfinanzen sei nur mit strukturellen Veränderungen möglich. Die Finanzierung der gesetzlichen Rente wie von der Ampel-Koalition geplant auf ein drittes Standbein, den Kapitalmarkt, zu stellen, sei dabei nur ein erster Schritt. Lindner hatte zuletzt auch dafür geworben, über eine längere Lebensarbeitszeit nachzudenken. Außerdem soll das Demografie-Problem durch die Zuwanderung von Fachkräften gemildert werden. 

Lindner setzt außerdem auf ein besseres Wirtschaftswachstum. Er hat ein Sofortprogramm angekündigt, das eine Wirtschaftswende einleiten und die Standortfaktoren der deutschen Wirtschaft verbessern soll.