In der europäischen Asylpolitik bewegt sich derzeit viel – vor allem in den Nationalstaaten, aber auch auf EU-Ebene. So hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen neuen Gesetzentwurf zur Abschiebung von Migranten angekündigt. Die CDU-Politikerin will „den Rückführungsprozess wirksam straffen“, erklärte sie in einem am Montagabend veröffentlichten Brief an die 27 EU-Mitgliedsländer. Zudem sollen „Lücken im System“ geschlossen werden, die Migranten für ihren Verbleib ausnutzen könnten.
Damit will von der Leyen sich an die Spitze einer Entwicklung setzen, die in den vergangenen Wochen und Monaten noch einmal Fahrt aufgenommen hat: Der europäische Asylkurs wird härter. Im Grunde sind die Reformpläne für die Rückführungsrichtlinie aber nicht neu.
EU-Vorschlag liegt schon lange auf dem Tisch
„Schon seit einigen Jahren liegt ein Vorschlag vor, der jetzt nochmal angepasst werden muss angesichts der neuen Regeln des Gemeinsamen europäischen Asylsystems (Geas)“, erklärt Constantin Hruschka, Asyl-Experte am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München. „Im Grunde kündigt die Kommissionspräsidentin damit lediglich an, dass dieser Reformprozess jetzt weitergeführt und zum Abschluss gebracht werden soll.“
Ihren Ausgang genommen haben die neuen Verschärfungsvorschläge in den Nationalstaaten. Das zeigt sich an mehreren Beispielen:
1. Polen will Asylrecht einschränken
Polens Regierungschef Donald Tusk hat in der vergangenen Woche angekündigt, das Asylrecht in seinem Land einschränken zu wollen. Flüchtlinge, die über Belarus einreisen, sollen keinen Asylantrag mehr stellen dürfen. Tusk will sich damit einem „hybriden Krieg“ Russlands und seiner Verbündeten entgegensetzen. Diese setzen Berichten zufolge Flüchtlinge gezielt ein, um in den Zielländern für Unruhe zu sorgen. „Das aber widerspricht genau dem Wesen des Rechts auf Asyl“, erklärte Tusk.
Hinter dem Plan des liberalkonservativen Politikers dürfte aber noch mehr stecken. Er will sich in der EU insgesamt für eine härtere Migrationspolitik einsetzen. Tusk drohte, keine europäischen Ideen respektieren oder umsetzen zu wollen, die die Sicherheit seines Landes gefährdeten. Auf einer Parteitagsrede nannte Tusk Deutschland als Negativbeispiel, eine ähnliche Entwicklung werde er in Polen nicht zulassen.
2. Italien will Migranten in albanische Asylzentren überführen
Bereits vor einem Jahr hat Italiens rechte Regierungschefin Georgia Meloni mit Albanien ein Abkommen getroffen, um dort Asylverfahren durchführen zu können. Die Migranten kommen so erst gar nicht in die EU, Albanien ist kein Mitglied. Trotz Kritik an den Plänen wurden die Asylzentren in dem Land auf der anderen Seite der Adria fertiggestellt – und erste Flüchtlinge werden jetzt dorthin gebracht.
Der Ablauf sieht dann so aus: Männliche erwachsene Flüchtlinge, die Italiens Küstenwache oder Marine in internationalen aufgreift, werden auf einem Militärschiff überprüft. Bestimmte Gruppen, etwa Opfer von Folter, fallen nicht unter das Abkommen. Menschen aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern werden hingegen nach Albanien gebracht.
In einem ersten Zentrum werden sie dann registriert, in einem zweiten warten sie auf ihren Asylbescheid. Wenn der bewilligt wird, ist eine Einreise nach Italien möglich. Wird er abgelehnt, können die Flüchtlinge in eine Abteilung des Zentrums speziell für abgelehnte Asylbewerber gebracht werden. Auch ein Gefängnis findet sich dort.
Das Abkommen ist auf fünf Jahre angelegt und kostet Italien rund 160 Millionen Euro. Geht es nach Meloni und dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán, könnte das Modell bald für die gesamte EU Schule machen.
3. Norwegen führt Grenzkontrollen zu EU-Staaten sein
Norwegen ist zwar nicht Teil der EU, aber des Schengen-Raums. Dennoch hat das Land nun an seinen Grenzen zu Norwegen und Schweden vorübergehend Grenzkontrollen eingeführt. Zuvor war die Terrorwarnstufe erhöht worden, norwegische Geheimdienste befürchten Anschläge im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt.
Ähnlich wie Polen begründet auch Norwegens Justizministerin Emilie Mehl die Verschärfung mit der Wichtigkeit, „dass wir die Kontrolle darüber haben, wer sich auf dem Territorium aufhält“.
4. Niederlande und Ungarn wollen Ausnahmeregeln
Ungarns Ministerpräsident Orbán und die niederländische Regierung um Dick Schoof wollen die erst im Frühjahr beschlossene EU-Asylreform nicht mittragen. Sie fordern für ihre Länder eine Ausnahme von Geas. Das Problem: Ein sogenanntes Opt-out benötigt die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten. So oder so werden die beiden rechtspopulistischen Regierungen aber weiter auf eine Verschärfung der Migrationspolitik drängen.
Asyl-Experte: Staaten wittern zweite Chance
Zu den Beispielen im Ausland kommt die deutsche Debatte um Grenzkontrollen und ein geplantes Sicherheitspaket der Ampel-Koalition als Reaktion auf den Anschlag in Solingen. Asyl-Experte Hruschka verweist darauf, dass es in den EU-Mitgliedsstaaten spezifisch nationale Debatten um Migration gebe, eigentlich für die Länder aber EU-Regeln gelten würden. Deshalb sei die Asylpolitik eines der umstrittensten Themen auf EU-Ebene. Während des langen Reformprozesses hätten sich dann immer mehr Staaten von den geltenden Standards veranbschiedet.
Warum gerade jetzt in vielen Ländern Forderungen nach einer Verschärfung des Asylrechts laut werden, erklärt er so: „Nach der Einigung bei Geas merken jetzt die Staaten, die sich eine noch restriktivere Politik gewünscht hätten, dass diese weiterhin nicht rechtmäßig ist und nicht sein wird. Es wird wohl auch versucht, nunmehr in der Umsetzungsphase noch einmal auf eine restriktivere Politik zu drängen.“
Zudem werde der Prozess durch einen weiteren Faktor beschleunigt: „Die Regierungen rechnen sich Chancen aus, mit dem neuen EU-Parlament noch mehr ‚erreichen‘ zu können, da es deutlich weiter rechts steht als das vorherige.“ Hruschkas Ansicht nach würde im Moment vor allem versucht, bereits jetzt stattfindende Rechtsbrüche zu legalisieren.
Asyldebatte wird immer nationaler, Arbeitsmarkt leidet
Den zentralen Wandel sieht der Asyl-Experte in zwei Punkten: Zum einen werde die Debatte eben immer nationaler und nehme weniger Rücksicht auf europäische Nachbarn. Das werde zum anderen noch dadurch verstärkt, dass sich die Debatte nicht mehr nur um Menschen ohne Schutzgrund, sondern immer mehr um klar schutzbedürftige Menschen drehe.
Ob die aktuellen Entwicklungen schließlich auch Auswirkungen auf die Migration nach Europa haben, ist für Hruschka schwer zu sagen. Die Migrationsströme würden in erster Linie durch Kriege und Krisen geprägt. „Messbar sind aber bereits Effekte, dass sich qualifizierte Personen aufgrund der gegen Zuwanderung gerichteten Statements lieber andere Arbeitsmöglichkeiten außerhalb Europas suchen, da Europa als fremdenfeindlich wahrgenommen wird“, erklärt er.
Die aktuelle Migrationspolitik sei deshalb kurzsichtig, da sie Probleme nicht löse, sondern nur verschiebe. Hruschkas bitteres Fazit: „Die Asylpolitik wird wohl nur dann eine Wirkung haben, wenn Europa insgesamt unattraktiver wird, beispielsweise durch wirtschaftlichen Abschwung, Infrastrukturprobleme und Fachkräftemangel“.