Nach Anschlag in Solingen - Wer jetzt Angst vor Menschenmassen hat, dem helfen vier Strategien
Bei einem Messerangriff in Solingen wurden am Freitag drei Menschen getötet. Die Tat ereignete sich bei der Feier zum 650. Geburtstag der Stadt, direkt vor einer Bühne auf dem gut besuchten Marktplatz. Die Bürger Solingens stehen unter Schock. Und auch in anderen Teilen Deutschlands haben Menschen nun ein ungutes Gefühl oder sogar Angst davor, ein Stadtfest in ihrer Region zu besuchen.
Ist diese Angst übertrieben? Nein, sagt Psychologin Felicitas Heyne. Zunächst einmal sind langandauernde Angst oder ein kurzer Schreck ein normales menschliches Empfinden. „Es ist ein biologisch verankerter Mechanismus, der uns vor Gefahren schützt“, erklärt Heyne gegenüber FOCUS online. Nach einem kurzen Schreck fährt der Körper die Symptome nach etwa zwei Minuten wieder herunter. Bei Angst, wie sie nach Ereignissen wie dem in Solingen nun für manche spürbar ist, halten sie länger an.
Die Expertin nennt vier Strategien, die gegen Angst und Schrecken helfen:
Strategie 1: Angst verstehen lernen
Angst gehört zum Leben, weil sie wichtige Schutzfunktionen erfüllt. Extremsituationen wie die Terroranschläge führen zu sogenannter Mortalitätssalienz. „Das heißt, uns wird eindrücklich vor Augen geführt, dass wir alle sterben werden“, erläutert Heyne. Natürlich wissen wir das, verdrängen es allerdings normalerweise. Anders wäre ein normales Leben nicht möglich. Wenn wir uns die Normalität unserer Reaktion klar machen, fällt es leichter, sie zu akzeptieren.
Das passiert bei Angst in Kopf und Körper
Unerwartete Geräusche oder schreckliche Situationen übersetzen die Gehirnregionen Thalamus und Hypothalamus – das Tor zum Bewusstsein – im Gehirn in Angst und geben sie an die Hirnanhangsdrüse weiter. Diese aktiviert die Nebennierenrinde, die das Stresshormon Adrenalin ausschüttet.
Das versetzt den Körper in einen Fluchtmodus. Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater, erklärt: „Alle körperlichen Reaktionen sind diesem Ziel untergeordnet“. Das Herz schlägt schneller, die Aufmerksamkeit ist erhöht, der Speichelfluss wird reduziert, es gelangt mehr Zucker in die Blutbahn, die Durchblutung des Darms wird zurückgefahren.
Strategie 2: Eigene Angstgefühle analysieren
Wer konkret verängstigt ist, dem hilft es nicht, seine Gefühle zu leugnen oder zu unterdrücken. Vielmehr empfiehlt die Expertin, in sich hineinzuhorchen, um herauszufinden, welcher Bewältigungstyp man ist:
- Den „Sensitizern“ hilft oft maximale Information, um über die Ursachen der Angstsituation Bescheid zu wissen.
- Bewusst abschalten hingegen kann die schwelende Verunsicherung der „Represser“ lindern.
Für jeden gilt es, die Balance zu finden, wie intensiv er sich mit Ereignissen wie dem aktuellen Anschlag auseinandersetzt und bis zu welchem Punkt es ihm guttut, sich damit zu beschäftigen.
Strategie 3: Emotionale Angstbewältigung
- Unterhalten Sie sich mit Angehörigen und Freunden über ihre Ängste, um diese zu verarbeiten und einen Weg zu finden, mit ihnen fertig zu werden.
- Tun Sie bewusst andere, schöne Dinge.
- Beruhigende Atmung: fünf Mal länger ausatmen als einatmen. Das hilft beispielsweise, wenn jemanden auf dem Konzert oder in einem vollen Einkaufszentrum spontan die Angst überkommt. Anhalten und kontrollieren: Wie atme ich gerade? Statt flacher Atmung, tief in den Bauch atmen und den Rhythmus beruhigen.
- Gedankenunterbrechung: Wenn die Angst durch eine Gedankenspirale entsteht, sollten Sie Ihr Gehirn bewusst ablenken. Das kann durch einen Haargummi am Handgelenk sein, der durch Schnipsen in die Realität zurückholt. Die Vorstellung einer roten Karte oder eines Stoppschilds können die Gedanken ebenfalls aufhalten.
Wenn das nicht ausreicht: Suchen Sie sich fünf Dinge in der Umgebung, die rot sind oder identifizieren Sie vier Geräusche. All das bringt Sie in die Wirklichkeit zurück. - Langfristig: Entspannungstechniken wie Progressive Muskelentspannung und Yoga trainieren. Auch Religiosität oder Spiritualität unterstützen viele Menschen darin, Vertrauen zu bewahren.
Strategie 4: Problemorientierte Angstbewältigung
- Die Problematik offensiv angehen und politisch aktiv werden.
- Konstruktive Aktionen helfen einerseits dem Terrorismus den Boden zu entziehen und lösen die Menschen andererseits aus der Erstarrung.
Insgesamt rät die Psychologin zu einer Mischung aus emotionaler Angstbewältigung (Strategie 3) und problembezogener Angstbewältigung (Strategie 4).