Hungern statt anstehen: „Rentner wahren den Schein um jeden Preis“ – Tafel reagiert mit neuem Angebot
In der Rente auf die Tafel angewiesen zu sein – damit kommen viele Senioren nicht klar und bleiben lieber ganz fern. Die Aischgründer Tafel hat dafür nun eine Lösung: anonyme Pakete sollen helfen.
Neustadt a. d. Aisch – Eigentlich ist es ein gutes Zeichen, wenn die Menschen der Tafel fernbleiben. Doch Thomas Nicol von der Aischgründer Tafel hatte seine Zweifel an diesem Eindruck. „Mir ist aufgefallen, dass sehr wenig alte Leute zu uns kommen“, sagt Nicol. Im Gespräch mit einigen wenigen, die schließlich doch vorbeischauten, erfuhr der Vorsitzende der Tafel dann, was wirklich dahinter steckte: Rentnern fiele es sehr schwer, die Tafel aufzusuchen. Zu groß die Scham, von irgendjemandem gesehen zu werden.

Ein Gefühl, das man auch niemandem einfach so ausreden könne, sagt Nicol. „Wir haben dann lange überlegt, was man machen kann“, letztlich habe man eine etwas ungewöhnliche, aber effektive Lösung gefunden: anonyme Rentner-Tüten, die außerhalb der regulären Tafel-Öffnungszeiten ausgegeben werden. Immer donnerstags könnten bedürftige Senioren nun einen der vier Ausgabeorte aufsuchen: Neustadt-Aisch, Bad Windsheim, Uffenheim oder Scheinfeld. Am größten Ausgabeort in Neustadt-Aisch habe man zusätzlich am Mittwoch dafür offen. Wer keinesfalls gesehen werden will, habe hier auch eine glückliche Lage: „Von unserem Hintereingang gelangt man gleich in einen Park.“ Getarnt als Spaziergänger, könne man dort unauffällig zur Tafel gehen, versichert der Vorsitzende der Tafel.
Viele Rentner schämen sich und verheimlichen ihre Not
Nun ist Armut nichts, wofür man sich schämen müsste. Die Furcht davor, abgestempelt zu werden, stecke aber in vielen Menschen tief drin, erklärt Nicol. Vor allem auf dem Land werde da noch viel getuschelt. „Die Rentner wahren den Schein um jeden Preis“ – teils sei es auch „erschreckend, was sich für Abgründe auftun“. Manche würden ihr letztes Geld eher für ein Kaffeekränzchen mit Freunden ausgeben und dafür den Rest des Monats hungern. „Altersarmut hat längst im vollen Maße eingeschlagen.“
Über alle vier Ausgabestellen sind es heute 1000 Menschen – früher waren es vielleicht 500.
„Das kann nicht sein“, findet Nicol. Diese Menschen hätten schließlich auch ein Leben lang gearbeitet – und jetzt stehen sie da. Die allgemein wirtschaftliche Lage der letzten Jahre mache es da nicht einfacher. „Ich bin seit viereinhalb Jahren in der Tafel“, sagt Nicol. Damals sei es um einiges entspannter gewesen. Genaue Zahlen habe er zwar nicht, sagt er, aber die Zahlen der Bedürftigen seien eindeutig gestiegen. „Über alle vier Ausgabestellen sind es heute um die 1000 Menschen – früher waren es vielleicht 500.“
Nachdem die Aktion der anonymen Senioren-Pakete auch durch die Medien bekannt gemacht wurde, seien die Nachfragen danach förmlich auf sie eingeprasselt, erzählt Nicol. „Es haben sich gleich am nächsten Tag etliche Menschen gemeldet, die sagten, das sei genau das, was sie brauchen.“ Was letztlich im anonymen Paket landet, entscheiden die Tafel-Helfer. Über ein Formular können Interessierte aber ihre Wünsche angeben – „Daran orientieren wir uns, wenn wir die Pakete dann zusammenstellen“, sagt Nicol.
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Auch anonymer Lieferservice möglich
Sogar an diejenigen werde gedacht, die nicht gut zu Fuß seien oder das eigene Haus nicht verlassen könnten. „Da haben sich einige unserer Tafelfahrer bereit erklärt, eine Stunde dranzuhängen, um auch diesen Leuten das Paket vorbeizubringen.“ In einem unauffälligen Fahrzeug ohne Tafel-Schriftzug werde das Wunschpaket dann vorbeigebracht. Man erkenne von außen nicht mal, dass es sich um ein Kühlfahrzeug handle.
Wie lange sie den ganzen Service anbieten können? Nicol und sein Team hoffen auf das Beste. „Ohne das Angebot des Zentrallagers der Tafel Bayern, auf das auch wir zurückgreifen und die tolle Unterstützung von Firmen und der lokalen Bevölkerung würde es nicht mehr gehen“, sagt Nicol. Früher sei man maximal zweimal im Monat zum Zentrallager der Tafel Bayerns gefahren, mittlerweile mache man es jede Woche. „Die Tafel muss sich laufend neu erfinden“, sagt Nicole. Doch wenn man Leute in der Not unterstützen kann, sei das den ganzen Aufwand wert.
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