Kritik am Anti-Atomkurs - In Finnland blicken sogar Grüne skeptisch auf unseren bizarren Energie-Weg
In einem sind die Finnen Deutschland weit voraus: Sie können sich schon heute aus eigener Kraft mit Strom versorgen und sind nicht auf Nachbarländer oder Energieimporte aus fernen Ländern angewiesen. Das liegt auch daran, dass sich die Nordeuropäer der Kernenergie geöffnet haben. Selbst die Grünen sind dort - anders als in Deutschland - keine Gegner der Kernenergie.
Während die Bundesrepublik auf Gas und Kohle als Brückentechnologien setzt, um sich in ein klimaneutrales Industrieland zu verwandeln, unterzeichnen die Finnen auf der Klimakonferenz in Dubai mit Frankreich, den USA und anderen Industrienationen einen Atomdeal - und kommen damit ihrem Ziel, klimaneutral zu werden und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verringern, näher als Deutschland.
Finnlands Außenministerin Elina Valtonen hatte erst am Montag in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung den Atomkurs der Ampel kritisiert. Sie warnte: „Es wird in Zukunft eine Herausforderung sein, dass manche europäische Partner ihr Energieangebot verknappt haben.“
Habeck verteidigt Abschaltung der letzten Atomkraftwerke
Erst im April hatte Deutschland die eigene Stromproduktion aus Atomkraft beendet. Dafür musste eine Rekordmenge an Strom importiert werden. Wichtigste Energiequelle war dabei die Kernenergie der deutschen Nachbarn.
Dass die letzten drei Atomkraftwerke hierzulande bis zum 15. April weiterlaufen durften, geht auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zurück. Mit einem Machtwort hatte er wegen der Energiekrise nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine den Weiterbetrieb angeordnet. Nach mehr als 60 Jahren wurde die Atomstromproduktion in Deutschland schließlich aber im April beendet.
Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen verteidigte die Abschaltung. „Unser Energiesystem wird sich anders aufbauen: Wir werden bis 2030 zu 80 Prozent erneuerbare Energien haben“, versicherte er. Auch einen späteren Neubau von Atomkraftwerken schloss er aus. Das habe sich bisher immer als wirtschaftliches Fiasko erwiesen - ob in Frankreich, Großbritannien oder Finnland.
Kernkraft ist die wichtigste Energiequelle für Strom in Finnland
In Finnland ist die Kernenergie die wichtigste Energiequelle für Strom. „Wir investieren in die Kernkraft, weil wir sehen, dass sie klimaneutral ist und in dieser Übergangsphase sehr viel besser für den Kampf gegen den Klimawandel geeignet ist als Kohle und andere fossile Energieträger“, sagte Valtonen in dem „Bild“-Interview.
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Mehr noch: „Wir werden ab 2035 schon klimaneutral sein, indem wir sehr viele verschiedene Energiequellen einsetzen. Bei uns stellt die Kernenergie für Klimaschutz die Basis dar“, verspricht Valtonen. Die Außenministerin gehört der konservativen „Nationalen Sammlungspartei“ in Finnland an.
Finnlands Grüne öffnen sich der Kernenergie
Aber auch die Vorgängerregierung unter Ministerpräsidentin Sanna Marin teilte diese Haltung. Der ehemalige finnische Außenminister Pekka Haavisto von den Grünen setzte voll auf Atomkraft. „Nuklearkraft ist Teil unseres Energiemixes“, sagte er im Mai der „Berliner Morgenpost“.
Mittlerweile werden rund 35 Prozent des finnischen Stroms aus Kernenergie gewonnen. Das liegt auch daran, dass die finnischen Grünen in den vergangenen Jahren ihre Skepsis gegenüber der Kernenergie ablegen konnten. Damit sind sie Vorreiter in ganz Europa. Ihr Bekenntnis zur Atomkraft im Jahr 2022 sei vorbehaltlos gewesen, berichtet die Berliner Morgenpost. „Als Außenministerin Annalena Baerbock im Februar Finnland besuchte, haben wir festgestellt, dass es bei Politikansätzen von grünen Parteien Unterschiede gibt“, sagte Haavisto der Zeitung.
Bei der Atomkraft habe Finnland zudem kaum noch auf Großreaktoren gesetzt. „Diese Zeit ist möglicherweise vorbei“, so der Ex-Minister. „Wir kommen vielleicht auf die kleineren Atomanlagen zurück, die leichter zu steuern und leichter zu planen sind. Die Technologie könnte sich in diese Richtung entwickeln“, sagte er. „Das könnte die Zukunft für den Energiemix verschiedener Länder sein.“
Deutschland hat den schmutzigsten Strommix nach Polen und Tschechien
Für die deutschen Grünen ist das keine Option. Mehr noch: Habeck setzte sich mit seinem Nein zur Atomkraft über die Mehrheitsmeinung im Land hinweg. Umfragen sahen noch im April eine zum Teil deutliche Mehrheit in der Bevölkerung für einen zumindest begrenzten Weiterbetrieb der Anlagen.
Vor allem auch, weil sie kein klimaschädliches CO₂ ausstoßen. Stattdessen setzte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz angesichts der Energieknappheit vorübergehend verstärkt auf Kohlekraftwerke mit entsprechend hohem Kohlendioxidausstoß. Während Finnland sich der Klimaneutralität nähert, blickt Deutschland im November nach Polen und Tschechien auf den schmutzigsten Strom in der EU zurück, wie die „Bild“-Zeitung berichtet.
Demnach stammten 38 Prozent der Energie aus Wind, 25 Prozent aus Kohle, elf Prozent aus Gas, acht Prozent aus Biomasse, sechs Prozent aus Sonne und Wasser und zwölf Prozent aus anderen Quellen. Das ist das Ergebnis der Brückentechnologie, die Deutschland gewählt hat. Dass nun auch noch „fossile Kraftwerke länger laufen müssen, wenn wir nicht in einer sicheren Versorgungslage sind“, sagte Habeck am Mittwoch laut „Bild“-Zeitung im Energieausschuss, mache den Atomausstieg noch schwieriger.
Finnlands Grüne Jugend klar für Atomkraft
Auch die finnische Grüne Jugend wundert sich über die deutsche Haltung zu fossilen Brennstoffen. „In Finnland ist man der Meinung, dass es wichtig ist, CO2-neutralen Strom zu produzieren, damit die Industrie ihre Emissionen verringern kann. Wenn man sich auf saubere Energie konzentriert, verursacht die Nutzung weniger Emissionen. In Deutschland wiederum wollte man diesen Weg nicht gehen, sondern hat eher auf Gas und Kohle gesetzt. Die Deutschen sind wohl der Meinung, dass die Verringerung von fossilen Brennstoffen nicht so eine hohe Priorität hat“, sagte Peppi Seppäla, Vorsitzende der Jugendorganisation und Stadträtin in Espoo, schon vor knapp zwei Jahren der „Tagesschau“.
Der Parteinachwuchs der Grünen in Finnland steht der Atomkraft offen gegenüber. In einem Interview mit dem „Nuklearforum Schweiz“ bezog Seppäla klar Stellung: „Da der Klimawandel so kritisch ist, ist die Kernenergie die Lösung, die wir als Option beibehalten sollten“, sagte sie.
„Als ich jünger war, war ich gegen Kernkraft“, sagt sie. Dann habe sie im Studium mehr über Kernenergie gelernt und verstanden, wie die Technologie funktioniert. „Davor dachte ich eher: Okay, das ist etwas Gefährliches, dem man nicht trauen kann. Als ich verstand, wie die Technologie funktioniert, dachte ich: Okay, das ist nicht so gefährlich. Es ist weniger beängstigend, wenn man es versteht.“ Für Seppäla ist klar, dass die Kernenergie zumindest in gewissem Umfang genutzt werden muss, um den Klimawandel zu verhindern. „Das hat meine Einstellung zu diesem Thema verändert.“
Die finnische Grüne Jugend setzt sich seit einigen Jahren für die Kernenergie ein, betont aber auch, dass nach einer anderen Lösung gesucht werden muss: „Aber da die Folgen des Klimawandels so drastisch sind, ist die Kernenergie die Lösung, die wir als Option beibehalten sollten. Und erst wenn wir die Klimakrise gelöst haben, können wir über andere Lösungen nachdenken.“
Mit dieser Einstellung zur Kernenergie produziert Finnland heute Strom im Überfluss. Das sei nur mit Hilfe der Kernenergie möglich, so Valtonen. Diesen Überschuss wolle man mit den „Freunden“ teilen. „Wir in Skandinavien, Spanien, Schweiz und Frankreich erwarten uns von neuartigen AKW in Verbindung mit Ökostrom die Zukunft.“