Könnte halb Deutschland versorgen - China plant einmaliges grünes Mega-Kraftwerk - die Nachbarn reagieren entsetzt

Die Voraussetzungen sind ideal. In den gewaltigen Bergen Tibets fließt der Yarlung Tsangpo durch die tiefste Schlucht für Erde. Dort, in einem von der Zivilisation größtenteils abgeschotteten Gebiet, verliert der Tsangpo binnen 50 Kilometern gleich 2000 Meter Meter an Höhe.

Ein Naturschauspiel, in dessen Angesicht die chinesischen Regierungsbehörden schon seit Jahrzehnten über unterschiedliche Möglichkeiten der Nutzung sinnieren. Ein Nationalpark war lange angedacht, seit 2002 ist aber auch der Bau eines Wasserkraftwerks im Spiel - das die unbändige Kraft des Flusses und der Schlucht zur Stromerzeugung bändigen soll. Jetzt scheint sich der Wasserkraft-Plan endgültig durchgesetzt zu haben. Die Regierung in Peking habe die Genehmigung zum Bau eines Wasserkraftwerks erteilt, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua in der letzten Woche.

Die Ausmaße des Projekts sind gigantisch. Nach Schätzungen des staatlichen Baukonzerns Power China könnte das Kraftwerk jährlich 300 Milliarden Kilowattstunden Strom produzieren - zum Vergleich: Der deutsche Stromverbrauch im Jahr 2023 lag bei 457 Milliarden Kilowattstunden. Der Mega-Staudamm könnte also im Alleingang knapp zwei Drittel des deutschen Strombedarfs decken. Nach Fertigstellung dürfte es sich um das größte Kraftwerk der Welt handeln - und das mit Abstand. Der chinesische Drei-Schluchten-Damm am Fluss Jangtsekiang in der Provinz Hubei, bislang das weltweit größte Wasserkraftwerk, kann mit 88 Milliarden Kilowattstunden nicht mal ein Drittel der Leistung liefern.

Chinas großer Strom-Hunger

Und China braucht die Energie auch. Der Kohleverbrauch des Landes war nach Angaben der Internationalen Energieagentur IEA in diesem Jahr auf einen Höchstwert gestiegen. Schwerindustrie und Privathaushalte verbrauchen mehr Energie als je zuvor, hinzu kommen das vor allem in China rasante Wachstum der E-Mobilität sowie der stromhungrigen Künstlichen Intelligenz. Klimaneutraler Wasserstrom in großen Mengen könnte die schmutzige Kohle aus dem Energiesystem verdrängen und den ebenfalls rasanten Ausbau der Erneuerbaren Energien ergänzen.

Das Projekt sei wichtig für die chinesischen Klimaziele, merkte auch Xinhua in seiner Meldung an. Und führte noch weitere Vorteile auf: Etwa das Entstehen von Arbeitsplätzen in Tibet, einer von China besetzten Region, die noch immer herzlich wenig mit der Zentralregierung in Peking zu tun haben will.

Milliarden Euro und nur eine Straße

Doch die Herausforderungen sind enorm. Die Gegend ist derart unzulänglich, dass die erste asphaltierte Straße erst im Jahr 2013 fertiggestellt wurde. Die Auswirkungen auf die Natur und das Ökosystem wären gewaltig. Und ähnlich wie beim Bau des Drei-Schluchten-Damms müssten vermutlich Menschen umgesiedelt werden, wenn auch in kleinerem Ausmaß: Im Kreis Medong, wo das Kraftwerk einmal stehen soll, leben lediglich 15.000 Menschen.

Auch zu den Kosten gibt es noch keine Angabe. Die Hongkonger Zeitung „South China Morning Post“ berichtet von Prognosen in der Größenordnung von umgerechnet 135 Milliarden Euro - hundert Milliarden mehr, als der Bau des 2006 fertiggestellten Drei-Schluchten-Damms gekostet hatte.

Buchstäblich das Wasser abgraben

Zusätzlicher Ärger droht der Regierung in Peking aus dem Ausland. Denn das Kraftwerk soll direkt an der Grenze zu Indien entstehen. Der Yarlung Tsingpo fließt wenige Kilometer flussabwärts in die indische Provinz Arunachal Pradesh und heißt ab dort Brahmaputra. Später fließt eben dieser Brahmaputra noch über Bangladeschs Hauptstadt Dhaka in den Ganges und von dort aus in den Indischen Ozean.

In Indien und Bangladesch ist die Sorge daher groß. Die Befürchtung: China könnte den beiden Ländern dringend benötigtes Wasser abgraben, auf das weiter flussabwärts hunderte Millionen Menschen angewiesen sind. Der Brahmaputra gilt in Aruchanal Pradesh als eine der wichtigsten Quellen für Trinkwasser sowie für die Bewässerung in der Landwirtschaft.

China hätte mit dem Damm auch die Möglichkeit, große Mengen Wasser auf einmal abzulassen und Überschwemmungen in Indien auszulösen. Eine Drohkulisse, die der Regierung in Peking nützlich sein könnte: Die beiden Riesenreiche führen seit Jahrzehnten verschiedene Grenzstreitigkeiten, unter anderem um Arunachal Pradesh, das China teilweise für sich beansprucht. Indische Medien berichten daher, dass die Regierung in Neu-Delhi den Bau eigener Wasserkraftwerke erwägt - die lägen allerdings flussabwärts von Chinas Mega-Staudamm.