Streit um Entwicklungshilfe - Wir zahlen Ruanda 1 Million für „Geschlechter-Training“ - selbst Einheimische zweifeln
Etwas weiter unten erfährt man dann, dass es hier um eine Initiative im afrikanischen Ruanda handelt. Immerhin 520.000 Euro sollen zwischen 2022 bis 2025 in das Land fließen. Es ist, auch das findet man auf der BMZ-Seite, ein Folgeprojekt.
Knapp eine Million Euro lässt sich Deutschland „positive Maskulinität“ in Ruanda kosten
Also ist für ein ähnliches Vorhaben schon in früheren Jahren Geld nach Ruanda geflossen. Und zwar genau 390.000 Euro, wie „Brot für die Welt“ auf Anfrage mitteilt. Die Hilfsorganisation ist Projektverantwortlicher auf deutscher Seite. Knapp eine Million Euro lässt sich Deutschland also „positive Maskulinität“ in Ruanda kosten.
Doch was genau wird mit diesem Geld vor Ort gemacht? Wie sinnvoll ist das Geld eingesetzt, was sagen die Menschen in Ruanda dazu? Und was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff „positive Maskulinität“? FOCUS online hat dafür eine ruandische Reporterin gebeten, vor Ort zu recherchieren und hat bei den deutschen Verantwortlichen nachgefragt.
Was genau steckt hinter dem Projekt?
Nach Auskunft von „Brot für die Welt“ geht es um „die Prävention von Gewalt gegen Frauen und Kinder“. Das Projekt, das man zusammen mit dem kirchlichen Partner „Eglise Presbytérienne au Rwanda“ (EPR) umsetze, sei ein „Beitrag für mehr Geschlechtergerechtigkeit in Ruanda und zur Minderung geschlechtsspezifischer Gewalt“.
Das Projekt richte sich direkt an rund 13.000 Jugendliche sowie Lehrer, Schulleitungen und religiöse Führungspersonen. „Es geht darum, durch Verhaltensänderung bei Jugendlichen und ihren Lehrkräften geschlechtsspezifische Gewalt einzudämmen. So wollen wir etwa die reproduktive Gesundheit stärken, und durch verantwortungsvolle Sexualität einen Beitrag zur Eindämmung von HIV und Aids leisten“, teilt ein Sprecher mit.
Stolz berichtet die Organisation, dass man mit dem Projekt in der Region somit rund 625.000 Menschen indirekt unterstütze. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine Schätzung anhand eines, wie die Organisation mitteilt, in der internationalen Zusammenarbeit üblichen Verfahrens. Weiterhin, so „Brot für die Welt“, fänden unter anderem Schulungen in Schulen statt, ebenso Massenaufklärungskampagnen, etwa über öffentliche Medien.
Was ist das Ziel?
Eine Bevölkerungsumfrage in Ruanda hat laut „Brot für die Welt“ vor wenigen Jahren ergeben, dass fast die Hälfte aller 15- bis 49-jährigen Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche Gewalt erfahren habe. Mehr als ein Drittel der verheirateten Frauen habe berichtet, in den vergangenen 12 Monaten körperliche, sexuelle oder emotionale häusliche Gewalt erlebt zu haben.
Demnach ist Gewalt - und besonders sexualisierte Gewalt - in Ruanda ein verbreitetes Entwicklungshemmnis. „Es geht unseren Partnerorganisationen nicht um kurzfristigen Aktionismus, sondern darum, strukturelle und somit langfristige Veränderungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit und neue Rollenbilder herbeizuführen“, heißt es von den Verantwortlichen in Deutschland.
Eine Zwischen-Auswertung des Vorgänger-Projekts, das von 2019 bis 2022 lief, habe ergeben, dass der Anteil der Jugendlichen, die Wissen über Themen wie reproduktive Gesundheit oder Geschlechterrollen haben, im Projektgebiet in den ersten knapp zwei Jahren der Projektlaufzeit von 50 auf 70 Prozent gestiegen ist. Ebenso habe diese Evaluierung ergeben, dass mindestens 80 Prozent der unterstützten alleinerziehenden Mütter im Teenageralter eingegliedert wurden und ihre Schul- oder Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen haben.
Soweit die offizielle Darstellung. Doch was sagen die Menschen in Ruanda?
FOCUS online hat eine ruandische Reporterin beauftragt, vor Ort mit Verantwortlichen zu sprechen. Weil kritische Berichterstattung in Ruanda gefährlich sein kann, will die Reporterin nicht erkannt werden. Wir nennen wir sie deshalb hier Aline Munezero.
Ihren Recherchen zufolge ergeben sich einige Widersprüche bei der Ausgestaltung und der Evaluierung des Programms. So berichtet sie, dass die Menschen vor Ort den Eindruck haben, dass es bei dem Projekt weniger um „positive Maskulinität“ als um ein anderes Problem gehe. Demnach zielt das Projekt darauf ab, die alarmierend hohe Zahl von Teenager-Schwangerschaften zu senken, von denen in Ruanda jährlich rund 30.000 minderjährige Mädchen betroffen sind. Einige Schul- und Gemeindeleiter bezweifeln jedoch die Wirksamkeit des Projekts.
Da die Schulen finanziell von der EPR-Kirche abhängig sind, setzen sie das Programm trotz ihrer Bedenken fort. Ein wichtiger Aspekt des Projekts sind die wöchentlichen Gespräche zwischen Studenten und medizinischen Fachkräften über sexuelle Gesundheit. Diese Gespräche würden jedoch häufig durch Terminkonflikten gestört, was zu einer unregelmäßigen Teilnahme führe.
„Das Projekt ist eine gute Idee, aber es ist nicht gut durchdacht“
Lehrer wie François Ruhinamirindi äußern deshalb Bedenken, ob diese Gespräche überhaupt sinnvoll in den Schulalltag integriert werden können: „Das Projekt ist eine gute Idee, aber es ist nicht gut durchdacht. Wir sind zum Beispiel eine Tagesschule, was bedeutet, dass wir nur sehr wenig Zeit für die Schüler haben, bevor sie nach Hause gehen“, sagt Ruhinamirindi, ein Lehrer im Distrikt Musanze. Manchmal würden sogar wochenlang keine der Sexualitäts-Stunden stattfinden.
Angesichts der steigenden Zahl von Teenager-Schwangerschaften in Ruanda hat die Regierung versucht, die Aufklärung über sexuelle und reproduktive Gesundheit in den Stundenplan der Schulen aufzunehmen. Alle staatlichen Schulen in Ruanda sollen eine Stunde pro Woche reservieren, in der sie Diskussionen über reproduktive Gesundheit führen. Aufgrund mangelnder Nachbereitung wird dieses Programm jedoch nicht von allen Schulen umgesetzt.
Das EPR-Projekt ähnelt diesem Regierungsprogramm ein wenig. Da es jedoch keinen Anreiz für die Schulen gibt, es umzusetzen, und es von Außenstehenden wie Krankenschwestern der örtlichen Gesundheitszentren durchgeführt wird, wird es logistisch so anspruchsvoll, dass sich einige Schulen dafür entscheiden, es nicht umzusetzen.
Ferner sind Kurse zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit nicht Bestandteil der nationalen Jahresprüfungen. Die Prüfungen sind der Indikator dafür, wie wettbewerbsfähig die Schulen sind. Daher konzentrieren sich die Lehrkräfte nur auf die Kurse, die in den Prüfungen vorkommen, und ignorieren Projekte wie das von EPR in Frage stehende.
Kritik von Schülern - deutsche Verantwortliche erklären
Die Studenten berichten auch von Unstimmigkeiten bei der Durchführung der Seminare. Sie sagen, dass das Programm einmal pro Woche stattfinden sollte, aber in den letzten zwei Trimestern nur dreimal stattfand. „Ich habe in den letzten sechs Monaten zweimal medizinisches Personal gesehen, das mit uns gesprochen hat. Ich verstehe das nicht, denn wir haben bereits ein ähnliches wöchentliches Programm, das von unserer Schule und unseren Lehrern durchgeführt wird”, sagte Justin Mugisha, ein Schüler der Highschool im Kamonyi Distrikt, wo das EPR-Projekt stattfindet.
Die Verwirrung kann “Brot für die Welt” aufklären: Beide Programme, die unregelmäßigen als auch die wöchentlichen, seien Teil des Engagements in Ruanda.
Zwischen den Kirchenvertretern der EPR und „Brot für die Welt“ gibt es auf den ersten Blick aber unterschiedliche Auffassungen über die Zahl der erreichten Personen und die erzielten Ergebnisse. Während „Brot für die Welt“ die Förderung der Geschlechtergerechtigkeit in den Vordergrund stellt und angibt, 13.000 Menschen in sechs Distrikten unterstützt zu haben, behaupten Kirchenvertreter der EPR vor Ort, der Schwerpunkt habe auf der Reduzierung von Teenagerschwangerschaften gelegen und nennen eine deutlich niedrigere Zahl von 5.000 erreichten Einheimischen in verschiedenen Distrikten.
Diskrepanz bei Umfang und Vorgehensweise
„Brot für die Welt“ sieht darin keinen Widerspruch: Die 5000 Jugendlichen seien Teil der Gesamtsumme von 12.000. Außerdem sei die Vermeidung von Teeangerschwangerschaften eine Folge der Aufklärungsarbeit, aber kein „Oberziel“.
Auch hinsichtlich des Umfangs und der Vorgehensweise des Engagements besteht eine Diskrepanz. „Brot für die Welt“ erklärt zwar, dass das Engagement auch über öffentliche Medien und Einrichtungen erfolge. Aber die Aktivitäten des Projekts beschränken sich ganz offensichtlich in erster Linie auf den schulischen Bereich: Sowohl die Lehrerin als auch die EPR-Offizielle teilten auf Anfrage mit, dass das Projekt nur in Schulen durchgeführt werde.
Die Diskrepanz zwischen den erklärten Zielen und der Umsetzung vor Ort lässt Zweifel an der Zielgenauigkeit und der Wirkung des Vorhabens aufkommen.
Auch haben die Bezirke, in denen das Projekt umgesetzt wird, eine unterschiedliche Demographie, Größe und Bedürfnisse. Ruanda hat 30 Verwaltungsbezirke. Alle Bezirke unterscheiden sich voneinander: Einige haben eine höhere Bevölkerungszahl als andere, einige sind städtischer und verfügen über eine bessere Infrastruktur als andere. Zu den begünstigten Distrikten des EPR-Projekts gehören zum Beispiel Karongi und Musanze. Karongi ist einer der ärmsten Bezirke Ruandas und weist eine höhere Rate an Teenager-Schwangerschaften auf. Musanze hingegen ist eine touristische, städtische Gegend, die über fortschrittliche Schulen verfügt.
Vor diesem Hintergrund konzentrieren sich die Regierung und andere Finanzierungspartner eher auf die ärmeren Bezirke. Eine Lehrerin vor Ort sagte, das EPR-Projekt sei aber überall gleich und berücksichtige nicht die unterschiedlichen Kontexte der Schulen, was die Umsetzung erschwere. Für “Brot für die Welt” ist auch das kein Grund zur Sorge: “Das Projekt adressiert Problemstellungen, die bezirksübergreifend in unterschiedlicher Ausprägung vorhanden sind.”
Brot für die Welt: Projektziele wurden erreicht
Klar ist, dass die gemeinsamen Bemühungen von EPR und „Brot für die Welt“ zwar eine laut der betroffenen Menschen in Ruanda lobenswerte Initiative zur Bekämpfung von Teenager-Schwangerschaften ist. Aber aufgrund von Problemen bei der Umsetzung und Koordination kommen bei den Menschen vor Ort Zweifel auf, ob das seit fünf Jahren laufende Projekt eine Wirkung erzielt.
Die verfügbaren Zahlen scheinen eindeutig: Nach Angaben des Nationalen Instituts für Statistik in Ruanda wurden 2019 über 19.800 Mädchen unter 18 Jahren schwanger. Diese Zahl stieg im Jahr 2020 auf 23.544 Teenagerschwangerschaften an. Die neuesten Statistiken aus dem Jahr 2023 zeigen, dass die Zahl der Teenagerschwangerschaften auf 33.000 pro Jahr gestiegen ist. Insgesamt ist die Bevölkerung in Ruanda seit dem Ende des Bürgerkriegs in den1990er Jahren um meist 2 bis 3 Prozent gewachsen, mit abnehmender Tendenz.
„Brot für die Welt“ teilt mit, dass in den anvisierten Gemeinden durchaus eine Reduzierung der Teeangerschwangerschaften geben habe und dies zudem ja gar kein erklärtes Projektziel sei. Und man habe beim Vorgängerprojekt die eigentlichen Ziele, nämlich Eingliederung von jungen Frauen sowie Verbesserung des Wissens über das Themengebiet Sexualität, jeweils „voll erreicht“. Eine erste externe Evaluierung des jetzt laufenden Projektes sei für Ende 2024 geplant.
Damascene Habimana, Mitglied des Projektausschusses vor Ort, räumte die Schwierigkeiten ein, betonte aber, wie wichtig es sei, die Bemühungen im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten fortzusetzen. „Das Projekt ist ein Beitrag der Kirche zur Eindämmung von Teenager-Schwangerschaften, aber wir wissen, dass die Auswirkungen zu gering sind, um eine spürbare Veränderung zu bewirken. Aber wir haben begrenzte Mittel und können nur das tun, was wir eben tun können”, so Habimana.