„Greenwashing“ bei Ferrero? ZDF deckt auf, wie Nutella wirklich produziert wird

Wenn es um die Wurst geht, sind für das EU-Parlament die Grenzen zur Verbrauchertäuschung schnell überschritten. Denn als Würstchen, Schnitzel oder Burger soll nur bezeichnet werden, was aus Tier besteht. Der Deutsche Bauernverband applaudiert – auch aus Sorge, es könnte sonst der Eindruck entstehen, das fleischfreie Schnitzel sei besser als „echtes“ Fleisch.

Wenn es darum geht, die mächtige Fleischindustrie gegenüber Start-ups aus der Veggie-Szene zu unterstützen, steht Brüssel ganz vorn an der Theke. Anders sieht es aus, wenn es um wohlfeile Versprechen geht, die Industriekonzerne auf ihre Ware drucken. So wie Ferrero bei Nutella Plant-Based.

Vorwürfe gegen Ferrero: Der Mensch als Zentrum der Lieferkette

Damit der Konsument mit grünem Gewissen zugreifen kann, hat die vegane Nusscreme-Variante einen grünen Deckel bekommen. In einer hauseigenen Nachhaltigkeits-Charta notiert Ferrero, dass es in der Nutella-Lieferkette keine gerodeten Wälder und keine Kinderarbeit gibt, dafür Ausgleichsflächen zum Schutz der Umwelt. Oder wie es im Ferrero-Sprech heißt: „putting people at the heart of our supply chain”.

Wie sieht das in der Realität aus? Umweltreporter Sherif Rizkallah hat sich für das Reportageformat „Greenwashed?“ (abrufbar in der ZDF-Mediathek) aufgemacht, um zu prüfen, welche Rolle tatsächlich Mensch und Natur entlang der Lieferkette spielen. Einen ersten Hinweis darauf, wie dieser Test ausgeht, gibt bereits der Titel der absolut sehenswerten Folge: „Nutella: Das grüne Märchen von Ferrero“.

Wie entsteht Nutella? Monokultur auf 90.000 Hektar in Italien

Erste Station: die italienische Region Latium. Dort sollen künftig auf 90 000 Hektar Haselnüsse wachsen. Bislang kommt knapp die Hälfte der für die vier Millionen Nutella-Gläser pro Jahr benötigten Haselnüsse aus der Türkei. In der Produktion regionaler zu werden, ist ein lobenswerter Ansatz. Aber dient eine Haselnuss-Monokultur tatsächlich der propagierten Förderung der Artenvielfalt? 

Dazu Sandra Gasbarri, Mitarbeiterin einer Umwelt-NGO, lakonisch: „Ich glaube nicht, dass Ferrero das gleiche Verständnis von Nachhaltigkeit hat wie wir.“

Der Lago di Vico in der Region Latium ist voller Algen, die giftige Stoffe produzieren. Verantwortlich sei dafür die intensive Landwirtschaft im Haselnussanbau, sagt die Expertin. Der Nutella-Konzern gibt dem ZDF-Reporter dazu kein Interview, sondern antwortet schriftlich: „Ferrero besitzt, betreibt oder verwaltet zwar keine landwirtschaftlichen Betriebe in Italien, hat jedoch fundierte Kompetenzen und umfangreiche Erfahrungen in der Verbesserung und Förderung landwirtschaftlicher und agronomischer Techniken entwickelt, um langfristige Nachhaltigkeitsziele entlang der gesamten Lieferkette zu verfolgen und zu teilen.“ Klingt gut. Und nach nichts.

Wenn billige Arbeitskräfte durch noch billigere Hilfen ersetzt werden

Zweite Station: Malaysia, mit 16,9 Millionen Tonnen pro Jahr der zweitgrößte Palmöl-Produzent der Welt. 80 Prozent des Palmöls in Ferrero-Produkten stammen von der Insel Borneo. Das Siegel RSPO („Roundtable in Sustainable Palm Oil“) soll hier einen umwelt- und sozialverträglichen Anbau garantieren. 

Doch die Chefin eines Dorfs auf Borneo erzählt, wie die RSPO-zertifizierte Palmöl-Firma indigene Völker ausbootet: Auf der Plantage arbeiten vor allem Migranten aus Indonesien, Bangladesch und Nepal, deren Arbeitskraft noch billiger ist. Vorgeschriebene Mindestabstände von Plantagen zu den Flüssen werden nicht eingehalten. Vertreter von Ferrero vor Ort habe man noch nie gesehen.

Ferrero antwortet auf ZDF-Anfrage nur lapidar: „Wir sind uns der Bedenken bewusst, die hinsichtlich der Überwachungs- und Durchsetzungsbeschränkungen globaler Zertifizierungssysteme wie dem RSPO geäußert werden.“ Heißt im Klartext: Ist uns egal.

Das sagt Ferrero auf Anfrage des ZDF

Dritte Station: die afrikanische Elfenbeinküste. In San Pédro erzählt Aktivist Galo dem ZDF-Reporter, dass Ferrero Kakao auch aus geschützten Gebieten bezieht ­– anders als in der Nachhaltigkeits-Charta versprochen. Unterstützung bei Bildung, der Gesundheits- und Wasserversorgung? Von Ferreros Versprechen weiß man dort nichts. „Die sind da oben, wir sind da unten“, heißt es nur resigniert.

Ferrero schreibt auf ZDF-Anfrage, dass die Einhaltung der firmeneigenen Grundsätze selbstverständlich Basis für eine Zusammenarbeit sei: „Wir überwachen dies entlang der Wertschöpfungskette und mit einem robusten Ansatz für Sorgfaltspflicht- und Konsequenzmanagement.“ Was Konzerne eben sagen, wenn sie nichts sagen wollen.

Wenn ein Mega-Konzern wie Ferrero sich schick klingende Formulierungen auf der Webseite gönnt, dann aber zu geizig oder ignorant ist, um diese tatsächlich umzusetzen: Ist das nicht die sehr viel größere Verbrauchertäuschung, als ein Tofu-Grillstängel als Veggie-Würstchen zu verkaufen? Doch in Brüssel wetzt man die Messer lieber weiter am Sojaschnitzel, als sich an den wirklich großen Brocken die Zähne auszubeißen.

ZDF-Reporter Sherif Rizkallah in Italien: Haselnuss-Monokulturen belasten die Natur
ZDF-Reporter Sherif Rizkallah in Italien: Haselnuss-Monokulturen belasten die Natur ZDF