Verfrühter Almabtrieb aus Sorge vor dem Wolf
Die Sorge vor dem Wolf treibt die Almbauern immer wieder um. Am Spitzingsee stürzten kürzlich drei Jungtiere ab, ein vermuteter Wolfsangriff konnte nicht nachgewiesen werden. Aus Sorge brachte ein Almbauer sein Vieh dennoch früher ins Tal.
Bayrischzell – Normalerweise verbringt das Jungvieh von Bernd Gasteiger den Sommer bis in den September hinein auf der Kümpflalm unterhalb der Rotwand. Dieses Jahr mussten die Tiere schon früher ins Tal heimkehren. „Wir sind heuer drei Wochen früher dran“, erklärt der Landwirt. Grund dafür sei seine Sorge vor Raubtieren.
Almbauer ist Risiko durch Raubtiere zu hoch
In diesem Jahr sei dem Almbauern das Risiko, dass die eigenen Tiere durch Raubtiere geschädigt werden, zu hoch. „Wir wollen unsere wertvollen Zuchttiere nicht verlieren und sie keinem Leid aussetzen.“ Auf der benachbarten Wildfeldalm seien drei Schafe umgekommen, berichtet Gasteiger. „Eines wurde richtig angefressen.“ Doch eine Probe konnte nicht eindeutig einem Wolf zugewiesen werden. Auch am Biogut Wallenburg, das die Grünseealm am Spitzingsee bewirtschaftet, gab es einen Vorfall, der zunächst einen Wolfsangriff vermuten ließ.
Drei Kühe seien an einem Hang abgestürzt, erzählt Betriebsleiter Sebastian Schmitzberger. „Das hat es die vergangenen 15 Jahre nicht gegeben.“ Schmitzberger geht davon aus, dass die Tiere beunruhigt wurden und in Richtung Hang flüchteten, wo sie schließlich abstürzten. Äußere Einflüsse wie ein schweres Unwetter oder Wanderer mit Hunden, die die Tiere verschreckten, konnte der 41-Jährige zu diesem Zeitpunkt ausschließen. „In dem abgelegenen Bereich laufen keine Wanderer herum. Da lag die Vermutung nahe, dass ein Beutegreifer die Tiere gejagt hat.“
Untersuchungen konnten keine Hinweise auf einen Wolf geben
Doch eine Untersuchung durch das Landesamt für Umwelt konnte keinen Wolfsriss bestätigen. Der Grund für den Absturz bleibt weiter unklar, an den Tieren gab es keine Bissspuren. In den 18 Jahren, seit er auf Gut Wallenburg arbeitet, habe der 41-Jährige noch keine Probleme mit dem Wolf gehabt. Die Tiere hat er dennoch von der Unfallstelle abgetrieben. Seine anderen Kälber blieben aber vorerst auf der Alm: „Wir sind auf die Almflächen angewiesen“, erklärt Schmitzberger.
Dem Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Holzkirchen, das die Ergebnisse vom Landesamt für Umwelt (LfU) bezieht, sind im Gebiet des Landkreises keine Hinweise auf einen Wolf bekannt. „Natürlich bekommen wir die Beunruhigung und die Sorge mit, aber handfeste Belege und Beweise gibt es nicht“, erklärt Behördenleiter Christian Webert. Für eine Prüfung durch das LfU brauche es aber auch immer eindeutige Hinweise, wie das Landesamt erklärte.
Kaum Möglichkeiten Tiere auf der Alm zu schützen
Gasteiger hat dieser Fall nach eigenen Worten dennoch sehr beunruhigt. Da die Futter- und Weidesituation auf seinem heimischen Hof in Niklasreuth in diesem Jahr sehr gut sei, entschied er, früher mit den Kalbinnen heimzukehren. In den vergangenen 15 Jahren sei die Zahl der Raubtierangriffe gestiegen, findet der 60-Jährige, der die Kümpflalm seit 2007 bewirtschaftet. Immer wieder habe es seither Risse an Almvieh gegeben, doch Untersuchungen konnten einen Wolfsangriff nie bestätigen. Auch Gasteigers Tiere blieben bislang verschont. Trotz der Sorge um die Jungtiere will er im kommenden Jahr wieder auf die Alm gehen. „Wenn sich die Situation zuspitzt, gehen wir wieder früher runter.“ Das könne er sich eine Zeit lang vorstellen. „Wir sehen ja, dass keine politische Besserung in Sicht ist.“ Naturschützer fordern deshalb ein Wolfsmanagement.
Einen Wolfszaun oder Herdenschutzhunde besitzt der Landwirt nicht, beides hält er nicht für möglich. „Ein Wolfszaun braucht eine Höhe von zweieinhalb Metern und ein gutes Fundament. Das ist bei dem Gelände hier oben gar nicht möglich.“ Zudem schaffe man so Inseln für Almvieh und Wildtiere, aus denen sie nicht mehr rein oder raus könnten. Herdenschutzhunde hält er in der Region nicht für realistisch. „Das sind scharfe Hunde. Bei bis zu 500 Wanderern am Tag kann man die nicht frei laufen lassen.“ Damit die Hunde einem Raubtier gewachsen sind, brauche es zudem mehrere. „Ein Gemetzel gibt es in jedem Fall“, befürchtet Gasteiger.
Sicherheit der „Koima“ liegt Almbauer am Herzen
Vier seiner 40 Jungtiere sind noch auf der Alm. „Das Almpersonal sind wir selbst, unsere drei Söhne, Schwestern, Nichten und Neffen sind mal auf der Alm eingeteilt.“ Da keiner ganz ohne Tiere oben sein will, habe er vier Jungtiere auf der Alm gelassen. Diese habe der Irschenberger zum Schutz eingezäunt, über Nacht kommen sie in einen kleinen Stall an der Hütte. „Der reicht aber nicht für 40 Tiere.“ Wird die Situation noch schlimmer, könne er sich vorstellen, gar nicht mehr auf die Alm zu gehen. „Das hätte auch Auswirkungen auf unseren Betrieb“, erklärt Bernd Gasteiger. „Wir vermarkten viele Jungkühe. Dass die Tiere auf der Alm waren, ist ein Qualitätsmerkmal.“ Die Sicherheit seiner „Koima“ liege ihm allerdings mehr am Herzen. (sf)
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