Keine Lust auf Arbeit wegen Bürgergeld? Jobcenter vermitteln seit Einführung weniger Stellen

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Seit der Bürgergeldeinführung gehen die Jobvermittlungen zurück. Das zeigt eine Merkur-Umfrage unter Jobcentern. In München ist der Rückgang besonders hoch.

Am 1. Januar feiert das Bürgergeld seinen ersten Geburtstag. Als Geschenk erhöht die Bundesregierung die Bezüge, was vor allem unter konservativen Politikern für Kritik sorgt. Aus der Union gibt es gar Stimmen, den Hartz-IV-Nachfolger wieder abzuschaffen. Die Argumentation: Durch die Einführung des Bürgergelds lohnt sich Arbeit nicht mehr. Meist werden diese Aussagen mit Rechnungen garniert, wonach eine Familie im Bürgergeld mehr Geld bekommt als eine, die im Mindestlohnsektor arbeitet. Nicht immer stimmen diese Rechnungen, aber in einem Punkt muss man den Kritikern recht geben: Seit der Einführung des Bürgergelds nehmen weniger Menschen einen Job an.

Merkur.de hat dazu bei den zehn Städten mit der höchsten Arbeitslosenquote sowie Deutschlands Millionenstädten angefragt. Das Ergebnis: Mit Ausnahme von Gelsenkirchen nimmt die sogenannte Integrationsquote überall ab. Sie misst, wie vielen Menschen ein Job vermittelt werden konnte. Bedeutet: Weniger Menschen nahmen einen Job an. Prozentual am größten ist der Rückgang in Oberhausen. Hier vermittelte das Jobcenter von Januar bis Juli 2023 1596 Menschen einen Job. Ein Jahr zuvor waren es im gleichen Zeitraum noch 1911 – ein Minus von mehr als 16 Prozent. In den anderen Städten liegen die Zahlen etwas niedriger, der Rückgang ist bei fast allen ebenfalls zweistellig.

Entwicklung der vermittelten Jobs in den Städten mit der höchsten Arbeitslosigkeit

Stadt Integrationen Januar bis Juli 2022 Integrationen Januar bis Juli 2023 Veränderung
Gelsenkirchen 4765 (Jan - Sep 2022) 4762 (Jan - Sep 2023) + 0,06 %
Bremerhaven keine Antwort keine Antwort
Duisburg 5219 4466 - 14,43 %
Hagen 1531 1372 - 10,39 %
Pirmasens 338 303 - 10,36 %
Dortmund 6112 5290 - 13,45 %
Herne 2042 1824 - 10,68 %
Wilhelmshaven 1663 1533 - 7,82 %
Oberhausen 1911 1596 - 16,48 %
Saarbrücken 5692 (Jan - Nov 2022) 5091 (Jan - Nov. 2023) - 10,56 %

„Für manchen ist das Bürgergeld zum bedingungslosen Einkommen geworden“

Weniger Jobs werden aber nicht nur in Deutschlands Arbeitslosen-Hochburgen vermittelt. Auch in den Millionenstädten ging die Integrationsquote zurück, wenn auch nicht so stark. In Hamburg sind es 8,33 Prozent, in Köln 7,4 Prozent und in Berlin sogar nur 2,8 Prozent weniger. Negativer Ausreißer ist hier München. Von Januar bis Juni 2023 konnte das Jobcenter 5.171 Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren, im Vorjahreszeitraum waren es noch 6170 – ein Minus von 16,19 Prozent. München liegt damit über dem Bundesschnitt. Laut Bundesagentur für Arbeit gab es von Januar bis Juli 2023 397.767 Integrationen in Deutschland, ein Jahr zuvor waren es noch 450.367. Im Bundesschnitt gingen die Integrationen damit um 11,68 Prozent zurück. Woran liegt das?

Das Jobcenter Essen sieht einen Grund im Bürgergeld. Anfang Dezember brachte die Behörde eine Diskussion um den Umgang mit dem Bürgergeld ins Rollen. Sozialdezernent Peter Renzel sagte damals der WAZ: „Der Anteil derer, die damit zurechtkommen, ist gestiegen. Für manchen ist das Bürgergeld zum bedingungslosen Einkommen geworden.“

Weniger Integrationen: Jobcenter sehen Schuld nicht beim Bürgergeld

Diese Beobachtung bestätigte sich bei den von uns angefragten Jobcentern nicht. Sie führen den Rückgang der Integrationsquote nicht auf das Bürgergeld zurück. Schuld sei vor allem die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt. In Saarbrücken ist von einer „Eintrübung des Arbeitsmarktes“ die Rede, in Oberhausen von einem „deutlich verschlechterten Arbeitsmarkt“. Duisburg, Hagen, Herne, Pirmasens und Wilhelmshaven erklären, dass Unternehmen in der Region bei Neueinstellungen aktuell „zurückhaltend“ sein. Es gibt also weniger Jobs für die Menschen vor Ort. Das erklärt auch die Bundesagentur für Arbeit. „Die sonst übliche Frühjahres- und Herbstbelebung auf dem Arbeitsmarkt ist in diesem Jahr nahezu ausgefallen und trägt zu einer Verfestigung der Arbeitslosigkeit bei Bürgergeldbeziehenden bei.“

Agentur für Arbeit
Die Agentur für Arbeit sieht die Ursache für sinkende Integrationszahlen nicht beim Bürgergeld. Vielmehr liege es am aktuellen Arbeitsmarkt. © picture alliance/dpa/Oliver Berg (Archivfoto)

Tatsächlich sind im November 2023 bei steigender Arbeitslosigkeit weniger offene Stellen verfügbar. Dennoch ist überall vom Fachkräftemangel die Rede. Der aber hilft Arbeitslosen kaum. Aus Dortmund heißt es, die „Nachfrage nach höher qualifizierten Arbeitskräften führt zu weniger Stellen für Geringqualifizierte“. Im November 2023 hatten 73,8 % der beim Jobcenter Dortmund gemeldeten Arbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung. Schwierig ist die Jobsuche zudem für Alleinerziehende und Menschen mit Sprachproblemen, wie es aus Köln heißt. Die Menschen haben es also schwerer, einen Job zu finden. (as)

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