Russische Soldaten im Ukraine-Krieg schlecht ausgebildet: „Als Kanonenfutter geschickt“
Russland will vor dem Winter möglichst viel Territorium erobern. Verluste gleicht Moskau durch unerfahrene Soldaten aus – und riskiert deren Leben.
Kiew – Der Begriff „Fleischwolf“ ist zum Synonym für die militärische Strategie Russlands im Ukraine-Krieg geworden. Um die hohen Verluste auszugleichen, setzt Russland auf immer schlechter ausgebildete Rekruten, die hastig an die Front gebracht werden. Auch 10.000 Soldaten aus Nordkorea sollen inzwischen in der Ukraine operieren. Wie schlecht die Ausbildung der russischen Truppen teils ist, geht aus den Schilderungen eines 19-jährigen Russen hervor, der Mitte Oktober in die Gefangenschaft der ukrainischen Armee geriet.
Laut US-Geheimdiensten waren August und September die bisher blutigsten Monate des Krieges, in denen täglich mehr als 1.200 Russen getötet und verwundet wurden. Im Oktober hat sich dieser Trend wahrscheinlich fortgesetzt. Schätzungen des estnischen Militärgeheimdienstzentrums zufolge könnte die Zahl der Toten und Verwundeten in diesem Monat bei etwa 40.000 liegen, also fast 1300 pro Tag. Das berichtete die ukrainischen Zeitung Kyiv Independent. Am Montag (28. Oktober) verlor Russland laut dem ukrainischen Generalstab schließlich fast 1700 Soldaten.
Moskau will Gebiete der Kursk-Offensive vor dem Winter zurückerobern – unter hohen Verlusten
Es wird vermutet, dass Russland seine Angriffe jetzt, vor Beginn des Winters, nochmals verstärken wird. Dann werden schlammige Bedingungen und fehlende Baumabdeckung sowohl Infanterie- als auch Panzerangriffe erschweren. Schon Anfang Oktober haben die russischen Streitkräfte deshalb entlang der gesamten Frontlinie angegriffen. Das Ziel: so viel ukrainisches Territorium wie möglich zu erobern – oder von der Ukraine besetztes russisches Territorium wieder einzunehmen –, bevor das Wetter für die Angreifer schwieriger wird.

Am 15. Oktober starteten russische Marinesoldaten der 810. Marineinfanteriebrigade einen Gegenangriff am östlichen Rand des 430 Kilometer langen Landvorsprungs, den ukrainische Truppen seit Anfang August im westlichen russischen Oblast Kursk besetzt hatten. Dabei stürmten die russischen Truppen direkt in das Feuer der 61. mechanisierte Brigade und die 17. Panzerbrigade der Ukraine. Das Video eines dieser Kämpfe ging viral. Es zeigt, aus der Perspektive einer ukrainischen Drohne, wie ein russischer BTR-82-Radpanzer direkt auf einen ukrainischen T-64-Panzer zurollte.
Russische Verluste im Ukraine-Krieg – Tausende fallen Putins Fleischwolf-Taktik zum Opfer
Der ukrainische Panzer eröffnete mit seiner 125-Millimeter-Kanone das Feuer und traf den russischen BTR-Truppentransporter. Benommen und verwundet stolperten Russen aus dem beschädigten und rauchenden BTR, kurz bevor ein zweiter ukrainischer Panzer eine weitere 125-Millimeter-Kugel in das Fahrzeug feuerte.
Zwei Tage später entdeckten ukrainische Truppen einen der Insassen des Fahrzeugs halb tot in der Nähe liegen. In einem Video, das am Mittwoch (30. Oktober) von ‚WarTranslated‘ auf dem Kurznachrichtendienst X veröffentlicht wurde, schildert der 19-Jährige seine traumatischen Erfahrungen. „Ich konnte nichts sehen. Ich dachte, ich hätte mein Bein verloren. Es wurde später amputiert. Irgendwie konnte ich aus dem Schützenpanzer entkommen“, erinnert er sich an das Gefecht, bei dem er fast getötet worden wäre.
Moskau setzt auf hastige, unorganisierte Angriffe – die Verluste im Ukraine-Krieg steigen täglich an
Er habe sich hinter den Truppentransporter geschleppt und dort darauf gewartet, dass jemand kommen würde, so der Soldat im Krankenbett weiter. „Mindestens für zwei Tage. Dann kamen ukrainische Soldaten. Ehrlich, ich war so erleichtert“. Dann hätten sie ihn aus dem Gefahrengebiet gebracht. „Wir wurden als Kanonenfutter geschickt; aber gerettet nur durch ukrainische Soldaten“, schloss der sichtlich geschwächte Mann seine Schilderung.
Erneut zeige dieser Vorfall, wie übereilte Planung und desinteressierte Führung russische Soldaten einem extremen Risiko aussetzen würden, schreibt das Wirtschaftsmagazin Forbes. Wenn ein russischer Schützenpanzer direkt auf einen ukrainischen Panzer zurolle, sei das nicht unbedingt die Schuld der Besatzung – selbst wenn diese schlecht ausgebildet sei. Vielleicht sei ihnen versichert worden, dass sie auf befreundete Streitkräfte treffen würden. Vielleicht hätten ihre Kommandeure ihnen erzählt, dass alle ukrainischen Panzer in der Nähe durch das Bombardement vor dem Angriff ausgeschaltet worden seien. Fest stehe lediglich, dass Russland es eilig habe und ungeduldig Massen von minimal ausgebildeten Truppen in hastige, unorganisierte Angriffe werfe. (tpn)