Naher Osten - Ohne Zwei-Staaten-Lösung läuft es auf Israel gegen Iran hinaus
Das einzige Problem ist natürlich der internationale Druck auf Israel wegen der Opfer unter der Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Diese sind auch nach israelischen Angaben nicht unerheblich, wenngleich das Militär sehr viele Anstrengungen unternimmt, um zivilen Kollateralschaden zu vermeiden. Die Lage der Zivilbevölkerung wäre aber fundamental besser, wenn Ägypten die vorübergehende Verlegung von Menschen auf den Sinai erlauben würde.
Die Regierung in Kairo lehnt dies aber aus prinzipiellen Gründen ab. Es wolle der Vertreibung arabischer Menschen aus Palästina Vorschub keinen leisten – ein Anliegen, welches Israel ausdrücklich nicht vorhat, auch wenn der eine oder andere Minister dieses fordert. So bleiben die Menschen im Gaza-Streifen gefangen und werden Opfer der Kämpfe zwischen Hamas und den israelischen Streitkräften. Die internationale Teilhabe an deren Schicksal ist nachvollziehbar, nur muss berücksichtigt werden, dass nicht alle dortigen Zivilisten „unschuldig“ sind.
Die Hamas ist eine politisch-religiöse Bewegung, die tief in der Gesellschaft verankert ist und deren Terrorakte vom 7. Oktober offenbar eine breite Zustimmung unter den Menschen gefunden haben, die nun zum Großteil auf die eine oder andere Weise Opfer der israelischen Reaktion auf den Hamas-Terror werden.
Wie wird es in Gaza nach dem Ende der israelischen Militäroperation aussehen?
Der israelische Verteidigungsminister Gallant hat vor wenigen Tagen einen vier-Punkte-Plan vorgelegt, der mir sinnvoll erscheint. Zum einen will Israel keine Besatzungsverwaltung einrichten, sondern lediglich eine Aufsichtsrolle beibehalten. Damit soll sichergestellt werden, dass keine Waffen in das Territorium gelangen und dass verbleibende Hamas-Terroristen unter Druck stehen.
Zum zweiten soll für die Verwaltung der zivilen Angelegenheiten und des wirtschaftlichen Wiederaufbaus eine von den USA geführte multinationale Task Force gebildet werden. Ihr sollen Angehörige europäischer und gemäßigter arabischer Nationen angehören.
Drittens soll im Zusammenwirken mit der internationalen Task Force eine palästinensische Verwaltung errichtet werden, an der keine Personen beteiligt werden dürfen, die eine Hamas-Vergangenheit haben. Die einzurichtenden Behörden sollen für die Versorgung mit Wasser, Strom, Gesundheitswesen, Justiz und humanitärer Hilfe verantwortlich sein.
Viertens soll Ägypten in Abstimmung mit Israel die Kontrolle über den Grenzübergang Rafah übernehmen. Auffallend ist, dass weder die Vereinten Nationen noch die Palästinensische Behörde in Ramallah hierbei eine Rolle spielen sollen – aus nachvollziehbaren Gründen.
Hat Gallants 4-Punkte-Plan realistische Erfolgsaussichten?
Das kann man heute noch nicht mit Gewissheit sagen. Der Erfolg hängt davon ab, ob die USA, die Europäer und die gemäßigten arabischen Staaten bereit sind, die ihnen zugedachte Rolle zu übernehmen. Und er hängt davon ab, ob sich in der Bevölkerung von Gaza genügend Menschen finden, die zur Zusammenarbeit mit der internationalen Behörde und zur Übernahme von Verantwortung in den noch zu schaffenden Behörden bereit sind.
Ich teile nicht die Ansicht einiger Nahost-Experten, die Letzteres grundsätzlich ausschließen. Der Unmut unter den Palästinensern im Gazastreifen über das, was die Hamas ihnen eingebrockt haben, nimmt zu. Das, was am Ende der israelischen Militäroperation von der Hamas noch übrig sein wird, wird natürlich versuchen, diejenigen Menschen zu terrorisieren, die in einer solchen Behörde mitwirken. Aber ich denke, es gibt keine Alternative zu diesem Weg.
Wenn man die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung ernsthaft betreiben will, dann muss man – und das gilt auch für die deutsche Politik – alles daransetzen, dass eine palästinensische Staatlichkeit entsteht, die nicht von ideologischen und religiösen Eiferern oder korrupten Politfunktionären betrieben wird. Vielmehr muss sich diese Verwaltung primär um das Wohl ihrer Bürger sorgen und mit Israel kooperieren anstelle dessen Zerstörung zu betreiben.
Wie groß ist die Gefahr der Eskalation des Krieges zu einem Flächenbrand in der Region?
Ich habe meine Schwierigkeiten mit dem Begriff des „Flächenbrands“. Bei uns verfallen Viele gerne in eine Art Schockstarre angesichts der Möglichkeit einer Eskalation. Aber ein Krieg eskaliert nicht einfach so, sondern immer nur dann, wenn eine Seite es will. Von Anbeginn an bestand die Furcht, dass die Hisbollah im Süden des Libanons in den Krieg einsteigt und Israel eine zweite Front aufzwingt. Das ist bislang nicht geschehen.
Zwar gibt es kleinere Angriffe, aber die erwartete Großoffensive mit Tausenden von Raketen ist nicht eingetroffen. Die Zurückhaltung der Hisbollah könnte damit zusammenhängen, dass vor der Küste des Libanon eine amerikanische Flugzeugträgergruppe operiert, die allerdings gerade abzieht in Richtung Heimathafen. Es ist auch zu vermuten, dass der relativ rasche Erfolg der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen die Hisbollah-Führer zu einer gewissen Vorsicht veranlasst hat.
Die Angriffe der Huthis auf die internationale Seefahrt im Roten Meer stellen eine gewisse Eskalation dar, aber diese ist nicht von einer Art, dass man von einem Flächenbrand reden sollte. Tatsächlich bleibt der Effekt begrenzt. Mir machen andere Entwicklungen mehr Sorgen.
Was sind die größten Bedrohungen im Nahen Osten?
Da ist zum einen, dass die Führung in Teheran die aufgeheizte Stimmung in der arabischen Welt nutzen will, um die amerikanische Militärpräsenz im Irak und in Syrien zu beseitigen. Dort sind etwa 2.500 (Irak) und 900 (Syrien) Militärangehörige stationiert, deren Aufgabe es ist, gemeinsam mit kurdischen und irakischen Kräften den Islamischen Staat, oder das, was davon übriggeblieben ist, in Schach zu halten. Die amerikanischen Kräfte sind in der Hinsicht unersetzlich, als dass sie die notwendige Aufklärung, Zielvorgabe und Luftunterstützung für die Bekämpfung der noch verbliebenen Einheiten des IS geben.
Seit Wochen greifen nun schiitische Milizen im Irak im Auftrag Teherans Militäreinrichtungen der USA mit Drohnen und Raketen an. Nachdem sich die US-Streitkräfte nach langem Zögern zu Gegenschlägen entschlossen haben, setzen schiitische Kräfte im Irak die dortige Regierung Sudani unter Druck. Diese soll die „schweren Verletzungen der irakischen Souveränität“ zum Anlass nehmen, die US-Regierung zum Abzug der Truppen zu zwingen.
Kenner der Region gehen davon aus, dass es bei einem Abzug der USA ein bis zwei Jahre dauern dürfte, bis der IS sich wieder regeneriert hat und erneut zu einer existenziellen Bedrohung für Bagdad wird. Der kürzliche Anschlag des IS im Iran hat gezeigt, welchen Schaden der IS anrichten kann. Die USA haben in Kenntnis der schwierigen innenpolitischen Lage in Bagdad bislang große Zurückhaltung gewahrt, die Frage ist, ob das so bleiben wird.