"Unerschöpfliches Potenzial" - Tief in Bayern sucht Geologe nach dem Schlüssel zur Energiewende
FOCUS online Earth: Dr. Grötsch, welche Bedeutung hat Wasserstoff für unsere Zukunft?
Grötsch: Wasserstoff ist eine wunderbare Sache, denn wenn man ihn sachgemäß verbrennt, entsteht Wasser, und deshalb generieren Sie dabei keine Treibhausgase oder andere Emissionen. Aktuell wird industriell gefertigter Wasserstoff fast ausschließlich aus fossilen Brennstoffen gewonnen, dabei entstehen beträchtliche Mengen an Emissionen. Wir arbeiten deshalb am natürlichen Wasserstoff und versuchen, diesen Energieträger direkt aus dem Untergrund zu produzieren. Wenn wir das schaffen, wäre das eine wesentlich effizientere und umweltfreundlichere Alternative zum heute industriell gefertigten Wasserstoff und auch zum grünem Wasserstoff.
Anstatt also aufwändig über Photovoltaik, Windkraft und Elektrolyseuren Wasserstoff zu produzieren, könnten sich die Menschen an Wasserstoffquellen bedienen, die unter der Erde liegen und sich auch immer wieder regenerieren. Warum ist das die Lösung?
Grötsch: Wir sagen nicht, dass es die Lösung ist. Es ist in einem treibhausgasarmen Energiesystem der Zukunft eine neue Möglichkeit, um Energie zu produzieren. Neben Wind und Solar brauchen Sie noch weitere Standbeine in dieser Energiewende, um die notwendigen Mengen an sauberer Energie zu erzeugen. Das dritte Standbein ist Geothermie, die noch in großem Maßstab ausgebaut werden muss. Und dann kommt schon Wasserstoff.
Wir denken nicht, dass wir mit den Mengen an weißem Wasserstoff Stahlwerke oder Düngemittelfabriken betreiben können. Aber wir denken, dass wir lokale, dezentrale Energiesysteme aufbauen und diese replizieren können. Natürlicher Wasserstoff könnte also ein zusätzlicher Baustein in unserem Energiemix werden, nicht mehr und nicht weniger.
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Sie sind bei Ihren Forschungen auf Wasserstoff gestoßen, der unter der Erde schlummert und nicht eigens hergestellt werden muss. Vor allem in Nordbayern sollen große Reserven liegen. Was genau ist da los?
Grötsch: In der Tat, wir wissen jetzt, da ist natürlicher Wasserstoff in Nordbayern. Wir suchen derzeit noch die besten Lokationen aus, und dann wollen wir zusammen mit Städten oder Gemeinden eine Pilotanlage in Deutschland entwickeln. Das wäre die zweite in der Welt. Wir brauchen das Bewusstsein, dass wir möglicherweise einen riesigen Rohstoffschatz unter der Erde haben, den wir heben können. Kein Öl, kein Gas, sondern natürlichen Wasserstoff, auch hier in Deutschland. Wir wollen eine integrierte Projektentwicklung von natürlichem Wasserstoff mit geothermischer Energie aufbauen, zusammen mit lokalen Verbrauchern. Unsere Idee ist, dass wir lokal saubere Energie produzieren, die wir auch lokal wieder verbrauchen – ein Ziel ist eben auch den Transport von Energie zu minimieren.
Die erste Anlage steht in Mali. Der westafrikanische Staat fördert bereits seit einem Jahrzehnt natürlichen Wasserstoff in einem Dorf und nutzt ihn für die Stromproduktion. Nordbayern würde dann zum deutschen Mali. Das ist ja eine kleine Sensation. Wann wollen Sie starten?
Grötsch: Wir denken, dass wir das in den nächsten fünf Jahren umsetzen können. Nordbayern wäre nach Mali in der Tat die zweite Produktionsstätte in der Welt.

Dr. Jürgen Grötsch studierte Geologie, Paläontologie und Ozeanografie an den Universitäten Erlangen, Tübingen und Wien sowie am Scripps Institution of Oceanography in San Diego, Kalifornien. 1991 wechselte er zu Royal Dutch Shell, wo er bis 2022 in verschiedenen Positionen weltweit tätig war – unter anderem als Chefgeologe und Technologie-Manager.
Heute ist er Lehrbeauftragter am Geologischen Institut der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), wo er zum Thema Geo-Energie lehrt. Dort leitet er am GeoZentrum Nordbayern das Forschungsprojekt „Natürlicher Wasserstoff in Deutschland“. Grötsch ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und Bücher und war mehrere Jahre Präsident der Deutschen Geologischen Gesellschaft - Geologische Vereinigung (DGGV).
Wie tief müssen Sie bohren? Welche Kosten kommen da auf Sie zu, und wie wollen Sie die stemmen?
Grötsch: Wir müssen auf etwa 1500 Meter Tiefe gehen, das ist technologisch nicht so aufwendig. Zum Vergleich, Öl- und Gasfelder liegen meist etwa 3000 bis 4000 Meter tief. Wir brauchen eine integrierte Anlage mit Bohrungen und Oberflächeninstallationen für die Energiegewinnung im Wärme-Bereich und im Wasserstoff-Bereich und möglicherweise, wenn es die geologischen Umstände hergeben, können wir auch noch Helium daraus produzieren. Ein sehr gesuchter Rohstoff heutzutage.
Wir müssen natürlich noch weiter explorieren und seismische Daten akquirieren, Probebohrungen machen und auch das konzeptionelle Design von solchen Anlagen weiterentwickeln. Zu diesem Zweck sind wir dabei, ein Start-up aus der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen auszugründen. Mithilfe dieses Start-ups wollen wir das ganze Projekt dann entwickeln. Insgesamt werden wir einige zehner Millionen Euro investieren müssen. Wir suchen noch nach Investoren und Interessenten, die sich in einem solchen Projekt mit engagieren möchten.
Welche weiteren Hürden liegen noch vor Ihnen?
Grötsch: Eine Hürde ist zum Beispiel, dass Wasserstoff und Helium auf dem Papier keine Bodenschätze in Deutschland sind, und das Bundesbergbaugesetz von der neuen Regierung schnellstmöglich geändert werden muss, um die gesetzlichen Grundlagen für den Abbau zu ermöglichen. Es müssen alle Seiten zusammenarbeiten, Bundesregierung, Länderministerien, Gemeinden, unser GeoZentrum Nordbayern und das neue Start-up.
Sind die Bayern denn einverstanden?
Grötsch: Wir haben natürlich Kontakte mit dem Bayerischen Wirtschaftsministerium. Von dort sehen wir schon sehr positive Zeichen. Von Seiten des Bundeswirtschaftsministeriums ebenfalls, aber es müssen natürlich auch Taten folgen. Wir hoffen, dass dies zeitnah geschieht.

Ihre Entdeckungen und Forschungen scheinen dem Thema Wasserstoff einen neuen Schub zu geben, in Fachkreisen wird sogar schon von einer „Revolution in der Energieversorgung“ gesprochen. Warum ist man nicht früher auf natürlichen Wasserstoff gekommen?
Grötsch: Es ist erstaunlich, wenn man sich die Geschichte des natürlichen Wasserstoffs anschaut. Der Chemiker Ernst Erdmann dokumentierte bereits 1910 im Kalibergwerk Leopoldshall bei Staßfurt in Sachsen-Anhalt den Austritt von Wasserstoff. Seine Entdeckung hatte aber keine weiteren Konsequenzen und geriet in Vergessenheit. Es war sehr viel einfacher, Öl zu produzieren und später auch Gas. Und dadurch hat man eigentlich nicht die Notwendigkeit gesehen, einen weiteren Energieträger zu entwickeln. Wir stehen beim natürlichen Wasserstoff etwa dort, wo wir vor 150 Jahren mit der Ölproduktion standen. Wir lernen jetzt enorm viel und enorm schnell dazu.
Was fangen Sie dann mit dem natürlichen Wasserstoff an, wenn Sie ihn gefördert haben?
Grötsch: Die wichtigste Frage, die wir uns stellen ist: Wie können wir diesen natürlichen Wasserstoff kommerziell produzieren und nutzen, auch für lokale Gemeinden und für lokale Abnehmer? Unser Ziel ist es, die Abhängigkeit von Energieimporten zu reduzieren und Treibhausgas-Emissionen zu minimieren. Die Unabhängigkeit von Energie ist auch ein Sicherheitsaspekt, wie uns der Ukraine-Krieg auf schmerzliche Weise gelehrt hat.
Wenn sie dann einmal Wasserstoff haben, können sie dafür sehr viele Anwendungen entwickeln, etwa im Bereich Wärmegewinnung, Stromproduktion oder Mobilität. Deshalb ist das unsere geringste Sorge.
Wie sind Sie auf Nordbayern gekommen?
Grötsch: Dazu brauchen Sie geowissenschaftliche Kenntnisse des Untergrundes. Wir haben für Bayern sogenannte Explorations Play-Konzepte entwickelt. Wir suchen uns geologische Gegebenheiten heraus, die prädestiniert sind für das Auffinden und die Produktion von Wasserstoff. Nordbayern ist geologisch betrachtet eine ehemalige Subduktionszone. Subduktion heißt: Erdplatten werden verschluckt wie etwa heute im Japan-Graben, oder rund um den pazifischen Feuerring. In Nordbayern ist die ehemalige Subduktionszone schon einige hundert Millionen Jahre alt. Sie enthält Gesteine, die zur Serpentisierung führen. Das ist eigentlich eines unserer Mutter-Gesteine für Wasserstoff, wenn Sie so möchten. Deswegen gibt es dort ideale geologische Voraussetzungen.
Bei Ihrer Forschung spielen Serpentisierung und Radiolyse eine große Rolle. Könnten Sie das erklären?
Grötsch: Bei der Serpentisierung werden bestimmte Gesteine, sogenannte Ultrabasite mit Wasser und via Oxidation von Eisen in das Mineral Serpentin umgewandelt. Dabei entsteht Wasserstoff. Und bei der Radiolyse spalten natürliche radioaktive Strahlung im tiefen Untergrund Wasser in Graniten in seine Komponenten Wasserstoff und Sauerstoff auf. Solche chemischen Prozesse laufen in fast allen Gebirgsgürteln der Welt ab.
Bisher war ja immer nur dort nach Wasserstoff gefahndet worden, wo Öl und Gas gefördert wird. Hat man da weltweit großes Potenzial übersehen?
Grötsch: Ja. Natürlicher Wasserstoff tritt in vielen Regionen auf, in denen weder Öl noch Gas vorkommen – Nordbayern ist eine solche Region. Den Ansatz, bei dem wir in bislang unerforschte Gebiete vordringen, um dort Wasserstoffvorkommen zu entdecken, bezeichnet man als Greenfield-Exploration. Im Gegensatz dazu stützen sich viele andere Firmen, etwa in Nebraska und Kansas in den USA, auf ehemalige Öl- und Gaserkundungsbohrungen, die bereits Hinweise auf Wasserstoff geliefert haben – eine Strategie, die als Brownfield-Exploration bekannt ist. Dagegen sind wir sozusagen Pioniere in Nordbayern.
Wasserstoff soll auch noch tief im Erdinneren liegen.
Grötsch: Es gibt einen Big Elephant in the Room, eine geologische Hypothese, die wir als „Primordial Hydrogen“ bezeichnen. Diese Hypothese besagt, dass im Erdmantel und möglicherweise im Erdkern große Mengen an Wasserstoff vorhanden sind, die langsam an die Oberfläche entweichen. Dieser Wasserstoff könnte kontinuierlich produziert werden. Den bislang besten Beleg für diese Hypothese finden wir in Diamanten, in denen natürlicher Wasserstoff in Form von Gasblasen eingeschlossen ist. Diamanten sind die tiefsten Proben aus dem Erdinneren, die wir bislang kennen. Sie kommen ursprünglich aus mehreren hundert Kilometern Tiefe und werden in sogenannten Kimberlitschloten explosionsartig bis nahe an die Erdoberfläche transportiert und dort abgebaut.

Das heißt, die Quellen für natürlichen Wasserstoff sind weltweit unerschöpflich?
Grötsch: Ja, das könnte man im Prinzip so sagen. Neben der Serpentisierung und der Radiolyse gibt es noch zahlreiche andere Möglichkeiten der Entstehung von Wasserstoff im Erdinneren, zum Beispiel aus Kohle oder Erdöl-Muttergesteinen. Und auch der Wasserstoff tief im Erdinneren, der primordiale Wasserstoff, könnte eine solche Quelle sein. Zusammen genommen sprechen wir über sehr große Mengen.
Aber so tief bohren Sie in Bayern nicht, oder?
Grötsch: Nein, es ist technisch nicht möglich, so tief zu bohren. Deshalb suchen wir den Wasserstoff an seinen natürlichen Migrationspfaden hin zur Erdoberfläche. Wir überlassen also erst der Natur den Transport in flache Erdtiefen. Von dort aus wollen wir ihn dann produzieren. Das klingt einfach, ist aber nicht ganz trivial.
Der natürliche Wasserstoff könnte die Frage nach dem Sinn der Investitionen in grüne Wasserstoffprojekte aufwerfen. Diese Investitionen scheinen deutschlandweit gewaltig, die Produktion ist jedoch gering. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Jürgen Grötsch: Es liegt meiner Ansicht nach an einigen fundamentalen Problemen, die dazu führen, dass viele Firmen sich jetzt aus solchen Projekten zurückziehen und keine FIDs, also Final Investment Decisions, treffen. Es gibt vier Dilemmas in der bisherigen Wasserstoffökonomie:
- die hohen Kosten bei der Produktion von grünem und blauem Wasserstoff
- die Konkurrenz um den grünen Strom - etwa durch Rechenzentren
- die geringe Energieeffizienz der Elektrolyse
- die Abhängigkeit von Transport über längere Distanzen; dieser ist bei Wasserstoff noch weniger wirtschaftlich als etwa bei Erdgas
Die Kosten für die Herstellung von grünem Wasserstoff sind aktuell einfach zu hoch, und deshalb werden Projektentwicklungen nicht als wirtschaftlich angesehen. Deswegen arbeiten wir am natürlichen Wasserstoff, der auch als „weißer Wasserstoff“ bezeichnet wird. Damit können Sie diese vier Dilemmas umgehen.
Schieben die Firmen ihre FIDs auf, oder steigen sie ganz aus?
Grötsch: Beides. Große internationale Energiefirmen, auch in Europa, haben sich aus neuen Projekten zurückgezogen oder planen, diese aufgrund der bereits genannten Dilemmas nicht mehr weiter zu verfolgen. Man fürchtet um seine Konkurrenzfähigkeit und natürlich den Kurs der Aktie.
Sie bezeichnen die Elektrolyse, also das Herzstück der Produktion von grünem Wasserstoff, als ineffizient. Warum?
Grötsch: Ein Elektrolyseur braucht sehr viel Strom, und sein Wirkungsgrad liegt nur bei rund 70 Prozent. Sie verwenden also eine ganze Menge elektrischer Energie, um eine andere Form von chemischer Energie, sprich Wasserstoff, zu erzeugen. Dabei nehmen Sie bereits 30 Prozent Verlust in Kauf, deswegen ist dieser Prozess ineffizient. Es wird noch ineffizienter, wenn Transport hinzukommt, etwa in Form von verflüssigtem Wasserstoff wie erstmals in Japan getestet. Dabei verlieren Sie dann insgesamt etwa 80 Prozent Ihrer Energie. Es bleiben also nur rund 20 Prozent der ursprünglichen elektrischen Energie übrig, das ist ernüchternd.
Der Staat hat in den vergangenen Jahren viel Geld in die Produktion von grünem Stahl gesteckt, ThyssenKrupp beispielsweise gilt als Vorzeigeprojekt. Anstatt mit Gas und Kohle soll der Stahl mit grünem, also CO2-neutralem Wasserstoff hergestellt werden. War das Geld für die Katz?
Grötsch: Das ist an sich ein guter Ansatz, aber sehr ambitioniert und herausfordernd. Die Kosten für die Produktion von grünem Wasserstoff sind noch sehr hoch und werden sich bei den benötigten Energiemengen auf den Stahlpreis niederschlagen. Es bestehen Zweifel, dass der grüne Wasserstoff allein den hohen Energiebedarf der europäischen Stahlindustrie kostendeckend lösen kann. Hohe Energiekosten führen zu Deindustrialisierung, das ist ein Risiko für Europa.
Auf der anderen Seite ist grüner Wasserstoff gut geeignet etwa für die Speicherung von überschüssiger Windenergie in Salzkavernen. Dies ist sehr wichtig, um kurzfristig bei Spitzenbedarf zum Beispiel an kalten Wintertagen oder bei Dunkelflaute schnell zusätzlich Energie an die Verbraucher liefern zu können. Diese Form von Spitzenlastproduktion kann durchaus rentabel gestaltet werden, da dabei immer extra Prämien anfallen.
Wird grüner Wasserstoff überhaupt gebraucht? Oder reicht auf lange Sicht der natürliche Wasserstoff? Sind beide Wasserstoffformen wichtig?
Grötsch: Wir brauchen beide Formen von Wasserstoff, grün und weiß. Es wäre natürlich besser, wenn wir natürlichen Wasserstoff finden und produzieren könnten vor Ort in Deutschland und im Rest von Europa. Dies hätte deutliche Vorteile gegenüber grünem Wasserstoff – aber dazu müssen wir in natürlichen Wasserstoff investieren. Heute wird innerhalb Deutschlands dafür keine Forschungsförderung und keine Investitionsbeihilfe bereitgestellt. In Frankreich hat Präsident Macron das Thema schon vor einiger Zeit zur Chefsache erklärt und es gibt weitreichende Aktivitäten in Forschung und Industrie.