Justizminister prognostiziert: „KI-Urteile werden mit Sicherheit kommen“ – aber nicht in Deutschland

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Sollte ein Richter ein Urteil auf Basis Künstlicher Intelligenz treffen? Wir haben die KI gefragt – und eine deutliche Antwort erhalten.

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Ein Richter hat von Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Argumente für einen Fall eingeholt, füttert mit den Daten eine Künstliche Intelligenz und fragt etwas wie: „Du findest hier Pro- und Contra-Argumente für eine Verurteilung gemäß XY. Entscheide, ob der Beschuldigte schuldig ist. Falls ja, fälle ein Strafmaß auf Basis ähnlich gelagerter Fälle.“ Künstliche Intelligenz könnte da durchaus ein Ergebnis liefern. Werden also bald KI-Urteile gefällt?

„KI-Urteile werden mit Sicherheit kommen“ – aber nicht in Deutschland

„KI-Gerichtsurteile werden mit Sicherheit kommen“, sagt Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) im Interview mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. In Deutschland werde das aber nicht passieren, vielmehr „in anderen Ländern, deren Justizsystem überfordert ist“, so Eisenreich. „Dort wird man abwägen: Wollen wir entweder einen riesen Berg unerledigter Verfahren oder entlasten wir uns mit KI, nehmen dafür aber Fehler in Kauf.“

In Deutschland werde es das aber nicht geben. Das sei gar nicht möglich. „Unser Grundgesetz verbietet das.“ Die Justiz ist in mehreren Artikeln des Grundgesetzes geregelt. So heißt es in Artikel 92, dass die Richter für die Rechtssprechung zuständig sind. Als die Väter des Grundgesetzes den Artikel Ende der 1940er geschrieben haben, war Künstliche Intelligenz allerdings noch utopisch.

Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetze vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.

Bayerns Justizminister: „Wir brauchen und wollen keine KI-Urteile“

KI-Urteile sind für Eisenreich so oder so keine Option. „Deutschlands Justizsystem funktioniert, wir brauchen und wollen keine KI-Urteile.“ Künstliche Intelligenz könne aber sehr wohl bei der richterlichen Arbeit helfen. „Legal Tech Tools sollen Richterinnen und Richter unterstützen, zum Beispiel Daten und Akten zu strukturieren, etwa bei Massenverfahren oder Sammelklagen“, sagt der Minister. „Die Entscheidung muss aber immer ein Mensch treffen – er trägt die Verantwortung.“

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) im Gespräch mit Markus Knall, Chefredakteur von IPPEN.MEDIA, und Politikreporter Andreas Schmid.
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) im Gespräch mit Markus Knall, Chefredakteur von IPPEN.MEDIA, und Politikreporter Andreas Schmid. © Sigi Jantz

Richterinnen und Richter in Deutschland beschäftigen sich derzeit intensiv mit den Chancen und Risiken von KI. Die Landesjustizminister planen eine „KI-Plattform der Justiz“ und die Branche überlegt, wie sie KI nutzen kann. In Köln fand Ende November die Tagung „Anwaltschaft und KI: Vertrauen und Transparenz“ statt. Demnach sehen die Juristen die Chancen derzeit vor allem in der Analyse von größeren Texten, in Übersetzungen und Zusammenfassungen von Dokumenten.

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„Einem blinden Vertrauen in die KI muss in jedem Fall vorgebeugt werden“

Zur Entscheidungsfindung darf KI in Deutschland allerdings nicht eingesetzt werden, wie die Bundesländer auf ihrer jüngsten Justizministerkonferenz in einer Stellungnahme erklärten. „Die endgültige Entscheidungsfindung muss eine von Menschen gesteuerte Tätigkeit bleiben“, heißt es dort.

Auch Richter in der Praxis scheinen noch skeptisch. „Einem blinden Vertrauen in die KI muss in jedem Fall vorgebeugt werden“, erklärte der Duisburger Chefrichter Karsten Kania in einem Beitrag für das Anwaltsblatt. Denn: Fehlerfrei sind KI-Modelle bislang nicht. Es gibt bereits „Künstlich intelligente Rechtsberater“, die vorhersagen, wie ein Gericht entscheiden wird – basierend auf historischen Daten ähnlicher Fälle. Bislang hätten sie selbst bei einfachen, wenig komplexen Fällen eine Trefferquote von 70 bis 90 Prozent.

KI-Urteile in der Justiz? Das sagt ChatGPT

Eine Künstliche Intelligenz als Richter? In Deutschland wird es das nicht geben. Ganz so utopisch ist es aber nicht. Estland zum Beispiel plant den Einsatz eines „Roboter-Richters“ für kleinere Streitfälle bis zu 7.000 Euro. © Montage

Wir haben die Künstliche Intelligenz ChatGPT gefragt, ob eine solche Trefferquote denn gut sei – und die Antwort fiel erstaunlich selbstkritisch aus, wenn man so will: „Die entscheidende Frage ist eine andere: Selbst wenn KI in 99 Prozent der Fälle richtig läge – wollen wir wirklich, dass Algorithmen über Menschenschicksale entscheiden? Das deutsche Rechtssystem sagt klar: Nein. Und das aus gutem Grund.“

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