Irritierende Bürgergeld-Bilanz: 1,2 Millionen Empfänger haben noch nie gearbeitet

Über eine Million Bürgergeld-Empfänger hat noch nie gearbeitet. Über 30.000 von ihnen hatten seit über 28 Jahren keinen Job. Die Arbeitsagentur nennt die Gründe.

Berlin – Die Regierung von Kanzler Friedrich Merz strebt eine Reform des Bürgergelds an. Mit der neuen Grundsicherung wollen Union und SPD möglichst viele Empfänger in Arbeit bringen. Besonders bei CDU und CSU sind dabei diejenigen im Fokus, die nicht arbeiten wollen und alle Angebote ausschlagen – die sogenannten „Totalverweigerer“. Das sind an sich nur rund ein Prozent der Leistungsbezieher. Eine neue Statistik zeigt jedoch: Rund 1,2 Millionen Bürgergeld-Empfänger haben noch nie gearbeitet.

Das geht aus einem neuen Bericht der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor. Dabei hatten die Fachleute die Beschäftigung und Nicht-Beschäftigung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Jahr 2023 ausgewertet. Dazu zählten im Jahresschnitt 3,93 Millionen Empfänger. 2,97 Millionen waren ohne eigenes Einkommen. Im Unterschied dazu gibt es die sogenannten Aufstocker, die zwar arbeiten, jedoch wegen zu wenig Gehalt ergänzend die Grundsicherung beziehen.

1,2 Millionen Bürgergeld-Empfänger haben noch nie gearbeitet – 36.000 davon seit 28 Jahren nicht

Die BA hat dabei untersucht, wann die letzte Erwerbstätigkeit der Bürgergeld-Empfänger lag. Für 1,187 Millionen Personen haben die Fachleute keine Angaben gefunden. Darunter sind auch Erwerbslose, die seit Januar 1997 noch nie gearbeitet haben – also seit über 28 Jahren.

Diese Gruppe ist jedoch eine Minderheit. „Unter den 1,2 Millionen Leistungsbeziehenden sind etwa 36.000 Personen, die seit 2005 im Leistungsbezug sind und seit 1997 keiner Beschäftigung nachgegangen sind“, erklärte eine Sprecherin der Arbeitsagentur IPPEN.MEDIA. Das entspricht etwa drei Prozent aller erwerbsfähigen Bürgergeld-Empfänger.

Ob diese Personen auch „Totalverweigerer“ sind, ist damit jedoch nicht klar. Grund für die lange Arbeitslosigkeit können unter anderem „starke gesundheitliche Einschränkungen sein“, erklärte die BA. Denn bereits ab einer möglichen Arbeitszeit von drei Stunden am Tag zählen Personen als erwerbsfähig. Das gilt auch, wenn es bestimmte Beschränkungen, etwa zu körperlicher Arbeit, gibt. Damit haben die Betroffenen jedoch schlechte Karten auf dem Arbeitsmarkt, wie etwa ein Jobcenter-Chef erklärt hatte.

Mehrheit der Bürgergeld-Empfänger ohne früheren Job sind jung oder erst kurz in Deutschland

Ein Großteil der rund 1,2 Millionen Bürgergeld-Empfänger, die noch nie gearbeitet haben, sind jedoch Personen, die noch gar nicht die Möglichkeit dazu hatten. Darunter sind etwa „insbesondere Personen, die noch gar nicht auf dem deutschen Arbeitsmarkt ‚ankommen‘ konnten“, erklärte die BA-Sprecherin. Dazu zählten beispielsweise Jugendliche, für die der Start ins Berufsleben noch bevorstehe oder Geflüchtete, die erst kurz in Deutschland seien.

418.000 Personen aus dieser Gruppe sind dagegen Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 25 Jahren. Damit gelten sie offiziell als „erwerbsfähig“. Doch damit besuchen sie „zum Teil noch eine Schule“, wie die Sprecherin erklärte, oder studieren und wohnen in einem Bürgergeld-Haushalt.

Eine Auswertung der Bundesagentur für Arbeit zeigt: 1,2 Millionen erwerbsfähige Bürgergeld-Empfänger haben noch nie gearbeitet – mehrheitlich aus guten Gründen. (Montage)

Dazu haben 630.000 Geflüchtete im Bürgergeld-Bezug noch nie gearbeitet – und sind damit Teil der Statistik. „Auch das überrascht nicht, da z.B. viele Geflüchtete 2023 noch nicht lange in Deutschland waren und sich in Integrations- und Sprachkursen befunden haben“, erklärte die BA-Sprecherin. „Eine Beschäftigung im Ausland – vor der Zuwanderung – wird in der Statistik nicht abgebildet, da entsprechende Angaben nicht vorliegen.“

Relative Mehrheit der Bürgergeld-Empfänger ist weniger als ein Jahr arbeitslos

Bei den Bürgergeld-Empfängern, für die Daten zur Dauer der Erwerbslosigkeit vorliegen, hat die Mehrheit von rund 368.000 vor weniger als einem Jahr zuletzt gearbeitet. Fast genauso hoch (363.000) war die Anzahl der Langzeitarbeitslosen, die mehr als zehn Jahre ohne Stelle waren.

Bei dieser Personengruppe stellen gesundheitliche und seelische Beschwerden einen Grund dar, wie die BA-Sprecherin für jene erläuterte, die seit 28 Jahren ohne Arbeit sind. Doch auch eine längere Zeit der Erwerbslosigkeit macht den Wiedereinstieg ins Berufsleben schwieriger. Zusätzliche Schwierigkeiten von Bürgergeld-Empfängern bei der Stellensuche sind mangelnde Qualifikationen – unabhängig von Alter und Dauer des Bezugs. Hinzukommt, dass die Förderung für Langzeitarbeitslose im Bürgergeld immer weiter zurückgeht.

Rubriklistenbild: © Hauke-Christian Dittrich/Christoph Soeder/dpa