Zum Abschied: Orchesterfest mit Alexandre Kantorow und Tugan Sokhiev
Ein Konzert zwischen Wehmut und Verblüffung: Die Münchner Philharmoniker verabschieden sich von Intendant Paul Müller und holen für Rachmaninow Wunder-Pianist Alexandre Kantorow.
24 Bilder pro Sekunde – jede Film- oder Fernsehkamera müsste bei diesem Mann kapitulieren. Nur verwischte Bilder wären zu sehen, wenn Alexandre Kantorows Hände durch Rachmaninows Paganini-Variationen hämmern. Wobei hämmern: Der Franzose, 27 Jahre jung, 2019 Sieger des Tschaikowsky-Wettbewerbs und im Karriere-Steilflug, zählt gerade nicht zur Riege der Tasten-Donnerer. Zu jenen Klavierlöwen also, die schweißtriefend und effektbewusst durchs Werk pflügen. Kantorow, das hört und spürt man bei diesem Konzert in der Isarphilharmonie, kommt aus einer anderen Welt.
Rachmaninows Rhapsodie ist eben nicht nur Blendwerk, wie er mit den Münchner Philharmonikern unter Tugan Sokhiev vorführt. Sicher, da ist zwar eine verblüffende, atemverschlagende Technik. Doch zugleich bleibt Kantorow selbst in den größten Verrücktheiten der Partitur Edelmann und Poet. Und einer, der den feinen Humor der Variationen erfühlt. Seinem Anschlag fehlt das Stählerne anderer Wundersolisten, es ist eher eine Katze auf Speed, die man hier verfolgt. In seiner selbstverständlichen, natürlichen Virtuosität trifft sich Kantorow da mit einem anderen genialen Handwerker, mit dem Kanadier Marc-André Hamelin. Und auch in der Zugabe ist Kantorow ganz Feingeist: „Mon coeur s‘ouvre a ta voix“ aus „Samson et Dalila“ von Saint-Saens, arrangiert von Nina Simone, bleibt vollkommen kitschfrei.
Bestechende Soli der Philharmoniker
Nicht alles ist bei Rachmaninow mit dem Orchester verzahnt. Doch das ändert sich garantiert auf der bevorstehenden Asien-Tournee. Zumal Sokhiev als versierter, animierender Steuermann agiert. Anders als bei Bruckners Achter vor einer Woche verfummelt sich dieser Dirigent an diesem Abend kaum. Sokhiev dreht zwar gern an den philharmonischen Stellschrauben, doch auch bei Rimskij-Korsakows „Scheherazade“ wird das nicht zum Selbstzweck.
Die klingenden Erzählungen aus 1001 Nacht missraten in dürftigen Aufführungen zur Effektenparade. Hier ist das anders. Sokhiev schärft den Klang, spitzt zu, verdeutlicht die Agogik, die Phrasenverläufe. Die Schichtungen der Partitur sind präsent. Und viel Raum bleibt für bestechende Soli etwa von Fagottist Raffaele Giannotti, Klarinettistin Alexandra Gruber, Konzertmeisterin Naoka Aoki und Cellistin Friederike Arnholdt. Ein Orchesterfest, aber eines, das von echten Stilisten gefeiert wird, auch übrigens in der einleitenden Polonaise aus Tschaikowskys „Eugen Onegin“. Nur gegen Ende der „Scheherazade“ stellt sich Sokhiev mit seinem Hang zur balancierten, gebremsten Dramatik ein Bein: Das zerschellende Schiff klingt so, als sei ein Segelboot gegen den Steg gerumpelt. Alles ein würdiges Programm für einen wichtigen Mann, der nie auf der Bühne sitzt: Philharmoniker-Intendant Paul Müller, seit 16 Jahren dabei, wurde offiziell verabschiedet.

Ende des Jahres geht er auf eigenen Wunsch in den Ruhestand. Schon mittags feierte man im kleinen Verwaltungskreis, vor dem Konzert dann mit den Kulturhonoratioren und unmittelbar vor dem ersten Ton mit einer Rede von Kulturreferent Anton Biebl. Ein Abend mit standesgemäß hoher Promi-Dichte: Lahav Shani, Chefdirigent ab 2026, sitzt im Saal, der frühere Kulturreferent Hans-Georg Küppers, auch der neue Orchesterintendant Florian Wiegand.
Als Müller nach Biebls Rede selbst ans Mikro tritt, zittert die Stimme. Er spricht von „16 unglaublichen Jahre, die ich mit Ihnen erleben durfte“. Dies sei „die größte Ehre, die mir zuteil werden konnte“. Für „Mr. Paul Müller“, wie Sokhiev nach zwei Stunden ins Publikum ruft, gibt’s noch den „Trepak“ aus Tschaikowskys „Nussknacker“. Eine Art Synergieeffekt: Irgendwann muss die Zugabe für die nun startende Tournee ja mal durchgespielt werden.