Gipfel der Gefühle: Als Obama seine erste Weißwurst isst
Das G7-Treffen 2015 in Schloss Elmau weckt Erinnerungen und Emotionen. Vor genau zehn Jahren ging dieses Polit-Spektakel mit Weißwurst, Blitzlichtgewitter und Demonstrationen über die Bühne. An diesem denkwürdigen Wochenende erwuchs der Landkreis buchstäblich zum der Nabel der Welt.
Landkreis – Wer an die beiden G7-Gipfel 2015 und 2022 in Schloss Elmau denkt, erinnert sich überwiegend an die Premiere, die vor genau zehn Jahren ein Milliarden-Publikum an den Computer beziehungsweise ans TV-Gerät lockte. Bei der medienwirksamen Konferenz der Staats- und Regierungschefs der sieben führenden westlichen Industrienationen im abgelegenen Luxsresort vor Bilderbuchkulisse stand der Landkreis Garmisch-Partenkirchen schon Monate vorher im Fokus der Öffentlichkeit. Menschen mit unterschiedlichen Motivationen und Perspektiven erinnern sich an diesen Gipfel der Gefühle.
An diesem Samstag umweht den Krüner Rathausplatz wieder der Hauch von G7. Dort möchte Bürgermeister Thomas Schwarzenberger (54) mit Einheimischen und geladenen Gästen ab 10 Uhr an das Gipfeltreffen 2015 im Allgemeinen und an das legendäre Weißwurst-Frühstück im Speziellen erinnern. Letzteres war der Krüner Moment schlechthin, Emotion pur. Denn welches Dorf im Landkreis und weit darüber hinaus kann schon von sich behaupten, einmal Gastgeber von zwei Weltpolitikern zu sein. Am geschichtsträchtigen 7. Juni 2015 sind es die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama, die sich bei schneidiger Musik zuprosten. Mit an ihrem Tisch sitzt der Rathauschef. Der verdiente Lohn für einen Mann, für den sich am 23. Januar 2014 die Arbeitswelt dramatisch verändert hat. An diesem Tag erhält er den Tipp: „Schau‘ Dir die Pressekonferenz an!“ Die Rede ist von der damaligen Klausur der Regierungsparteien CDU/CSU und SPD in Schloss Meseberg. Am Ende der PK – es ist 12.46 Uhr – erwähnt die Kanzlerin eher beiläufig, dass der G7-Gipfel 2015 in Schloss Elmau stattfindet. 17 intensive und stressreiche Monate später sitzt der Krüner Bürgermeister mit ihr vor dem Rathaus beim bayerischen Frühstück. „Das war unser Gipfel“, betont Schwarzenberger rückblickend. Sollen sich die Staats- und Regierungschefs ruhig im streng abgeriegelten Elmauer Tal unter ihresgleichen treffen, für den Normalbürger aus Krün findet Außergewöhnliches für die Ortsannalen vor dem Gemeindeamt statt. Denkt Schwarzenberger – inzwischen sogar oberbayerischer Bezirkstagspräsident – an die G7-Premiere vor zehn Jahren fallen ihm nur vier Worte ein: „Spannend, arbeitsreich, aber erfolgreich.“

Es ist drückend heiß an diesem Samstag, 7. Juni 2015. Bei dieser unerbittlichen Gluthitze schieben sich in Garmisch-Partenkirchen mehrere tausend Demonstranten durch die Bahnhofsstraße – links und rechts eskortiert von mindestens genauso vielen bewaffneten Sicherheitskräften. Die G7-Gegner sind ein buntes Völkchen – da ist zum einen der gewaltbereite Schwarze Block, zum anderen Pazifisten und Normalos. Eine von ihnen ist die hochschwangere Andrea „Ozzy“ Thompson (48). Ihren kugelrunden Bauch ziert eine Weltkugel mit einem Embryo darin. „Das ist ganz schön in die Füße gegangen“, erinnert sich die heute 48-jährige Garmisch-Partenkirchnerin. Die Versicherungskauffrau, damals freischaffende Künstlerin, demonstriert vor zehn Jahren nicht gegen das Gipfeltreffen, sondern für „Frieden, Klimaschutz und einen respektvollen Umgang“. Für ihren Auftritt erntet sie bei Einheimischen viel Lob, aber auch Kritik. Manche titulieren sie sogar als „blöde Kuh“, weil sie sich bei tropischen Temperaturen drei Wochen vor der Niederkunft solchen Strapazen aussetzt. Doch überall stößt „Ozzy“ auf hilfsbereite Polizisten, die ihr Wasser anbieten. 18 Tage später, am 25. Juni, kommt Sohn Chester zur Welt. „Es war seine erste, aber nicht die letzte Demo“, sagt seine Mutter. Als abends die Welt untergeht und das Protestcamp der G7-Gegner abzusaufen droht, bieten Einheimische spontan Hilfe an. Ein Akt der Solidarität und Menschenliebe – auch das bleibt der Frau, die am 7. Juni 2025 für ihre Überzeugung Bauch zeigt, in guter Erinnerung.

Der eine backt für die G7-Staatsgäste Semmeln und Brezen, der andere darf musizieren vor ihnen. Wieder andere haben die Ehre, die Prominenz zu kutschieren, wie etwa die Familie Nebl („Stani“) aus Mittenwald. Ihre Mission: Die Lebensgefährten der Staats- und Regierungschefs von Schloss Elmau hinauf zum Ferchensee zu befördern. So spannt am zweiten Gipfeltag frühmorgens Josef Nebl junior (34) gemeinsam mit Papa Josef und Schwester Julia im Stall draußen in der Wörth ihre Rösser ein. Die Kutsche von Nebl junior ziehen Rocky (10) und Rambo (4), zwei Süddeutsche Kaltblüter. „Kein Spielzeug“, meint der „Stani“. Zumal die beiden Deckhengste nur so vor Temperament strotzen. Was die prominente Kundschaft redet, dafür hat der Mittenwalder keinen Nerv. „Egal ob Großkopferte oder Normalbürger – die Verantwortung bleibt die gleiche.“ Und Englisch spricht Nebl junior, ein gelernter Schmied, ohnehin nicht. Wie er und der Rest der Kutscher müssen auch seine Pferde akkreditiert werden – Sicherheit steht über allem. Am Gasthof Ferchensee endet der Auftrag. Dort unterhält übrigens der damalige Bürgermeister Adolf Hornsteiner Kanzler-Gatten Joachim Sauer und seine charmanten Begleiterinnen mit der Zither. Ein unvergesslicher Ausritt für Josef Nebl junior. Sein treuer, vierbeiniger Begleiter Rocky weilt mittlerweile im Pferdehimmel.

Man kann schon von einem Masterplan sprechen, den Dietmar Müller-Elmau (70) entworfen und verfolgt hat. „Ich habe zielstrebig darauf hingearbeitet und viel Geld investiert“, verdeutlicht der Geschäftsführer von Schloss Elmau. Glaubt man dem wortgewaltigen Visionär, soll er erst an jenem 23. Januar 2014 von seinem Glück erfahren haben – wie alle anderen auch. Klar haben zuvor hohe Herren sein Refugium genauer unter die Lupe genommen, „aber die haben mit vielen Hotels gesprochen“. Am Ende bekommt das „Cultural Hideaway“ im idyllischen Elmauer Tal den Zuschlag. „Ein Höhepunkt für Schloss Elmau, ich hab‘s mir immer gewünscht“, schwärmt der nimmermüde Impulsgeber noch heute. Mit hoher Schlagkraft wird bis zum Juni 2015 an der Fertigstellung des neuen Retreats gearbeitet. Ohne dieses Zusatzgebäude wäre Schloss Elmau aus dem Rennen gewesen. Wie auch sieben Jahre später durfte „Mister G7“, ein hochgradig politisch denkender Mensch, Staatsmännern die Hand drücken und sich mit ihnen austauschen. Aber für ihn bleiben Kanzlerin Merkel und Präsident Obama die „herausragenden Persönlichkeiten“. Nicht nur für ihn sollte diese Ausnahmezeit ein Geschenk gewesen sein, findet Müller-Elmau. „Wir alle können dankbar sein.“