US-Sanktionen gegen orthodoxe Einheit: Israels „Wagner-Gruppe“?

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Die USA erwägen wohl Sanktionen gegen die IDF. In Israel ist man darüber empört. Es ist nicht das erste Mal, dass das Bataillon Schlagzeilen macht.

Jerusalem/Washington – Die Vereinigten Staaten werden voraussichtlich zum ersten Mal Sanktionen gegen eine israelische Militäreinheit verhängen. Medienberichten zufolge will US-Außenminister Anthony Blinken den Schritt bald ankündigen; bei der israelischen Regierung stößt dies auf Unverständnis. Wer ist die Gruppe Netzah-Yehuda (Judäa für immer) und weshalb soll sie sanktioniert werden?

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu ist über die mögliche Ankündigung von Sanktionen empört.
Israels Premierminister Benjamin Netanyahu ist über die mögliche Ankündigung von Sanktionen empört. © IMAGO/Kira Hofmann

Das Netzah-Yehuda-Bataillon wurde 1999 aufgestellt, um den religiösen Überzeugungen ultraorthodoxer Juden und anderer religiös-nationalistischer Rekruten in der israelischen Armee Rechnung zu tragen. Es soll diesen Gruppen ermöglichen, ihre religiösen Praktiken beizubehalten, während sie im israelischen Militär dienen. Unter anderem ist genügend Zeit für Gebete und Studien vorgesehen. Ebenso sind die Interaktionen mit weiblichen Soldaten auf ein Minimum begrenzt. 2005 wurde die Einheit Teil der neuen, auf Terrorismusbekämpfung ausgerichteten Kfir-Brigade. Diese steht nach Angaben der israelischen Armee (IDF) „an vorderster Front im Kampf gegen den palästinensischen Terrorismus“. Das schreibt das israelische +972 Magazine.

Tötung unbewaffneter Zivilisten, Folter und Übergriffe: Netzah Yehuda ist dafür bekannt

Laut dem Magazin hat die Kfir-Brigade ihre eigene umfangreiche Geschichte von Misshandlungen und Tötungen von Palästinensern. Doch Netzah Yehuda selbst steche immer wieder besonders hervor. Das Bataillon war in eine Reihe schwerwiegender Vorfälle verwickelt, bei denen palästinensische Zivilisten misshandelt wurden, darunter die Erschießung und Tötung unbewaffneter Zivilisten, Folter, körperliche Angriffe, Schläge und sexuelle Übergriffe, die gegen die internationalen Menschenrechtsvorschriften und das humanitäre Völkerrecht verstoßen.

In einem Untersuchungsbericht über die Missbrauchsvorwürfe gegen Netzah Yehuda aus dem Jahr 2022 schrieb das Wall Street Journal, dass „eine der umstrittensten Entscheidungen im Zusammenhang mit der Gruppe darin bestand, den Dienst auf das Westjordanland zu beschränken“. Seitdem habe sich die Zahl der Vorfälle, in die die Gruppe verwickelt ist, gehäuft. Netzah Yehuda, mit nur 500 Soldaten im Bataillon, habe seit 2010 die höchste Verurteilungsrate aller Einheiten des israelischen Militärs für Vergehen gegen Palästinenser, so das Journal unter Berufung auf die israelische Menschenrechtsgruppe Yesh Din. Ende 2022 wurde das Bataillon aus dem Westjordanland abgezogen.

„Eine Einheit, für die sich jede Armee schämen sollte“ - USA leiteten Untersuchung ein

„Meine israelischen Kollegen werden es mir übel nehmen, wenn ich das sage, aber Netzah Yehuda ist eine Art israelische Wagner-Gruppe“, so Ahron Bregman, Politikwissenschaftler und Experte für den israelisch-palästinensischen Konflikt am King‘s College in London gegenüber France24. Die Gruppe sei zwar ein integraler Bestandteil der IDF, aber „eine Einheit, für die sich jede Armee schämen sollte“.

Zwischen 2015 und 2022 töteten Soldaten der Einheit drei Palästinenser – Iyad Zakariya Hamed (38), Qassem Abbasi (16) und Omar Assad (78). Da Assad neben der palästinensischen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß, wurden die USA auf den Fall aufmerksam und leiteten eine strafrechtliche Untersuchung ein.

Menschenrechtsverletzungen durch israelische Einheiten - US-Ankündigung „innerhalb weniger Tage“

Der 78-Jährige war von Netzah Yehuda-Soldaten festgenommen worden und starb an einem Herzinfarkt. Seine Leiche wurde später auf einer Baustelle gefunden. Israel entließ daraufhin zwei Offiziere und wies den Kommandanten des Bataillons zurecht, leitete aber keine strafrechtlichen Ermittlungen ein. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen Verhalten der Soldaten und dem Tod Assads, so die israelische Staatsanwaltschaft.

Die zu erwartenden Sanktionen schließen die Untersuchung von Assads Tod durch die USA ab. Laut einem Bericht der Organisation Pro Publica vom Donnerstag (18. April) empfahl ein Gremium des US-Außenministeriums bereits vor Monaten, mehrere israelische Militär- und Polizeieinheiten, die im Westjordanland tätig sind, von der Gewährung von US-Hilfe auszuschließen. Dies sei jedoch bisher nicht geschehen. Blinken hatte als Reaktion darauf vergangene Woche erklärt, er habe „Feststellungen“ im Zusammenhang mit einer Reihe von Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen durch israelische Einheiten im Westjordanland getroffen. Dem Nachrichtendienst Axios zufolge, wird er die Sanktionen „innerhalb weniger Tage“ ankündigen.

„Mit Mut und Professionalität am Krieg im Gazastreifen“ - Netanjahu ist empört

Ein Beamter des Weißen Hauses sagte gegenüber dem Nachrichtendienst, es würden keine Sanktionen gegen Einheiten der IDF“ erwogen. Bestimmte Einheiten würden jedoch „nach dem Leahy-Gesetz von der amerikanischen Sicherheitshilfe ausgeschlossen, bis die Verstöße behoben sind“.

Was ist das Leahy-Gesetz?

Das Leahy-Gesetz, offiziell bekannt als „Leahy War Victims Fund“ oder auch als „Leahy Law“, ist eine Gesetzgebung der Vereinigten Staaten, die bestimmte Bedingungen für die Unterstützung von ausländischen Sicherheitskräften und Regierungen festlegt. Es ist nach dem US-Senator Patrick Leahy benannt, der maßgeblich an seiner Einführung beteiligt war.

Verabschiedet wurde es 1997 als Teil des Außenministeriums-Finanzierungsgesetzes. Es zielt darauf ab, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und zu sanktionieren, die von ausländischen Militäreinheiten oder Sicherheitskräften begangen werden, die von den USA unterstützt werden. Das Gesetz verlangt, dass das US-Außenministerium die Menschenrechtsbilanz ausländischer Sicherheitskräfte überprüft, bevor Unterstützung geleistet wird. Wenn Glaubwürdigkeit vorliegt, dass eine Einheit Menschenrechtsverletzungen begangen hat, muss die Unterstützung eingestellt werden, es sei denn, der Außenminister kann nachweisen, dass Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

So soll sichergestellt werden, dass die ausländischen Sicherheitskräfte, die von den USA unterstützt werden, sich an die Menschenrechtsstandards halten, und dass die US-Hilfe nicht dazu verwendet wird, Menschenrechtsverletzungen zu begehen oder zu unterstützen. Es ist damit ein Instrument, um die Einhaltung der Menschenrechte durch ausländische Regierungen zu fördern und zu überwachen.

In Israel löste die Nachricht wütende Reaktionen aus. „Die IDF darf nicht sanktioniert werden!“, schrieb Premierminister Benjamin Netanyahu in einem Beitrag auf X und bezeichnete die Aussicht auf Sanktionen als „den Gipfel der Absurdität und einen moralischen Tiefpunkt“.

Ein Sprecher der IDF sagte gegenüber der Zeitung Haarez, dass man weiterhin daran arbeite, „jeden ungewöhnlichen Vorfall auf der Grundlage von Fakten und in Übereinstimmung mit dem Gesetz zu untersuchen“. Inzwischen würden die Soldaten von Netzah Yehuda „mit Mut und Professionalität am Krieg im Gazastreifen teilnehmen“. (tpn)

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