„Jetzt haben wir den Salat“: Trump kommt, im Ukraine-Krieg droht ein übles Signal – und Europa taumelt
Vier Jahre hatte Europa Zeit, sich auf Trump vorzubereiten. Doch die Probleme sind groß. Drei Stimmen zur Lage im Ukraine-Krieg und der Wirtschaft.
Gute zwei Monate noch – dann kehrt Donald Trump zurück ins Weiße Haus. Trotz aller Warnungen und Erfahrungen aus Trumps erster Amtszeit 2016 bis 2020: Europa scheint alles andere als gut vorbereitet. Da ist der Ukraine-Krieg, da ist die bereits schwächelnde Wirtschaft Deutschlands. Und dann auch noch mehr oder minder große Führungskrisen in Berlin und Paris. Sogar die Nato ist sich der US-Führungsrolle nicht mehr sicher.
Was nun? Drei Europapolitiker haben im Gespräch mit IPPEN.MEDIA die Lage und die größten Baustellen eingeordnet. Teils, etwa mit Blick auf die Ukraine, halten sie unorthodoxe Maßnahmen für geboten – mindestens aber entschlossene. Einig sind sich alle: Europa muss nun „erwachsen werden“. In allen Belangen.
Trumps Ukraine-Pläne – und ein „verheerendes Signal“: „Können uns nicht verteidigen“
Trump will indes offenbar mit einem schnellen Einfrieren des Ukraine-Kriegs Ernst machen. Marina Kaljurand, ehemalige Außenministerin Estlands und Botschafterin in Russland und den USA, sieht darin ein bedrohliches Szenario: „Ja, es könnte Frieden durch einen Handschlag zwischen Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj geben – aber dann werden wir in einem anderen Europa leben“, sagt sie unserer Redaktion. „In einem Europa, in dem wir jederzeit auf Attacken auf Nachbarstaaten vorbereitet sein müssen. Und noch schlimmer, in einer Welt, die sieht, dass es in Ordnung ist, einen Nachbarn zu überfallen.“ Ihrer Ansicht nach bleibt der EU keine Wahl, als die Ukraine so lange zu unterstützen, wie es nötig ist.

Sergey Lagodinsky, Außenpolitiker der Grünen, teilt diese Ansicht. Er bringt es jedoch etwas anders auf den Punkt: „Eine Niederlage der Ukraine gegen Russland ist ein reales Sicherheitsproblem. Da geht es nicht mehr um geostrategische Spiele“, betont er im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.
Er wolle zwar nicht sagen, „dann ist Polen sofort als Nächstes dran“. Europa sende jedoch in diesem Fall ein verheerendes Signal für seine eigene Sicherheit. Das, nicht fähig zu sein, „ein Land zu verteidigen oder zumindest dabei behilflich zu sein.“ „Ergo: Wir sind auch nicht fähig, uns selbst zu verteidigen.“ Dieser Umstand wirke sich bereits in Moldau oder Georgien aus – die Menschen dort fühlten sich auf einem Pro-EU-Kurs nicht sicher, Wahlkampf-Warnungen vor einem Krieg mit Russland verfingen teils.
Ukraine-Krieg: EU ist wegen Trump stärker gefordert – Nato-Schnellbeitritt als Lösung?
Lagodinsky äußert aber Zweifel, ob die Ukraine nun noch ausreichend aus Europa ausgerüstet werden kann. „Da sind wir schon fast zu spät. Deswegen haben wir die ganze Zeit gefordert, mehr zu liefern, schneller zu liefern, ohne Beschränkungen zu liefern – jedenfalls ohne unsinnige Beschränkungen“, sagt er mit Blick auf Verbote des Waffeneinsatzes auf russischem Territorium. Auch ein ukrainischer Analyst hatte Europa bereits im Frühjahr bei IPPEN.MEDIA vor einer Rückkehr Trumps gewarnt. „Jetzt haben wir den Salat“, sagt Lagodinsky. Er sieht insbesondere mit „Haushaltsbremsen überall“ die Aufgabe als kaum noch zu bewältigen an.
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Der in Russland geborene deutsche Grüne fordert, die verbleibende Zeit bis zur Amtsübergabe an Trump zu nutzen, um der Ukraine Sicherheitsgarantien zu verschaffen – „und zwar solche, die Trumps Amtszeit überdauern.“ Dies könne etwa auch eine schnelle Nato-Mitgliedschaft sein. „Man müsste das so designen, dass es sich nicht auf umstrittene Territorien erstreckt“, räumt Lagodinsky ein. „Irgendeine kreative Lösung brauchen wir, sonst geht alles den Bach runter.“
Trump verunsichert Europa – und Deutschland taumelt: „Ruf hat unter Scholz gelitten“
Auch die Wirtschaft bereitet Sorgen. Christian Doleschal, CSU-Binnenmarkt-Experte, warnt vor möglichen Auswirkungen von Zöllen auf die deutsche und auch bayerische Wirtschaft. Er fordert: „Die Lehre aus den Unwägbarkeiten der großen Weltpolitik muss eigentlich sein, dass sich Europa auf sich selbst konzentriert. Europa muss ein Stück weit erwachsen werden“. Er sieht die Lösung unter anderem in Handelsabkommen – die allerdings vor allem „von linker Seite“ unter Beschuss stünden. „Wir sollten die Hemmnisse im Binnenmarkt abbauen, unsere eigene Stärke ausbauen“, sagt Doleschal zudem. „Wir sollten Derisking betreiben, um von möglichst wenig anderen Märkten so abhängig zu sein, dass es ein großes Problem werden kann.“
Ein weiteres Problem sei die politische Lage etwa in Frankreich und Deutschland – zwei Kernländern der EU. „Die Situation in Frankreich, das ja auch nicht in höchster Stabilität dasteht, die Situation in Deutschland, entschärfen die Konflikte nicht“, warnt Doleschal. Gerade Deutschlands Ruf habe unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) gelitten; dabei erwarteten die Partnerstaaten, dass Deutschland die EU „mit präge“. Ohnehin ist auch die EU gerade noch in weitgehender Agonie. Nach wie vor laufen die Bestätigungsverfahren der neuen EU-Kommissare. Womöglich fühle sich die Kommission als „lame duck“, mutmaßt Lagodinsky. Das zeige sich teils in außenpolitischer Zurückhaltung, etwa mit Blick auf Georgien.
Trumps zweite Amtszeit als US-Präsident: „Es wird ganz anders sein“
Kaljurand fordert dauerhaft mehr Unabhängigkeit Europas. „Wir waren abhängig von US-Verteidigung, von russischer Energie, von billiger Arbeit in China. Jetzt ändert sich die Welt. Wir müssen uns selbst versorgen. Es ist Zeit, uns gut um unseren Kontinent zu kümmern.“ Dies gelte für alle Bereiche, „für alles“. Europa müsse nun „effizient“ werden.
Die ehemalige Diplomatin warnt eindringlich vor einer Verschlechterung der Situation in Trumps zweiter Amtszeit. „Wir müssen mit demokratisch gewählten Personen kooperieren, mit wem auch immer“, betont sie zwar mit Blick auf die USA. Sie befürchtet jedoch, dass dies nun noch schwieriger wird – insbesondere angesichts von Trumps Personalentscheidungen für sein Kabinett. „Das werden Ja-Sager sein, die ihn tun lassen werden, was er will“, erklärt sie. „Es wird ganz anders sein, als in der ersten Präsidentschaft.“ Sie fügt hinzu: „Wo sind die Werte? Die historische Rolle der USA schwindet, sie schwindet immer weiter.“ (Aus Brüssel berichtet Florian Naumann)