Ausgaben für Mieten und Heizen: Was beim Bürgergeld-Antrag als „angemessen“ gilt

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Bürgergeld-Empfänger müssen bei der Antragstellung mit „angemessenen“ Wohnkosten rechnen. Aber was ist „angemessen“? Das Sozialgesetzbuch schafft Klarheit.

Kassel – Seit der Einführung des Bürgergelds am 1. Januar 2023 gelten neue Regeln für Unterkunftskosten. Doch wann sind Miete und Heizkosten tatsächlich angemessen? Laut dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) § 22 Abs. 1 Satz 1 werden Unterkunfts- und Heizkosten in tatsächlicher Höhe übernommen, soweit sie „als angemessen“ gelten. Doch die Definition der Angemessenheit sorgt immer wieder für Diskussionen und gerichtliche Auseinandersetzungen. Grundsätzlich richtet sich die Angemessenheit nach den regionalen Mietspiegeln und den jeweiligen Heizkostenrichtwerten.

Ein zentrales Element der Reform ist die Einführung einer Karenzzeit für Neubeziehende. Wer erstmals oder nach einer Unterbrechung von mindestens drei Jahren Bürgergeld erhält, kann sich laut Bundesagentur für Arbeit über eine einjährige Schutzfrist freuen: Während dieser Zeit gelten die tatsächlichen Unterkunftskosten als angemessen. Erst danach kann das Jobcenter eine Senkung der Mietkosten, in Form eines Kostensenkungsverfahren, fordern. Eine Ausweitung auf zwei Jahre, wie ursprünglich geplant, wurde nicht umgesetzt, wie aus dem Bericht „Zwei Jahre Bürgergeld in der Praxis“ des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V. hervorgeht.

Das Bürgergeld dürfte auch bei den aktuellen Sondierungsgesprächen zur Koalitionsbildung zwischen SPD und CDU für Zündstoff sorgen. © Sven Simon/IMAGO

Unangemessene Mietkosten bei Bürgergeldbezug: Keine Karenzzeit bei Umzug

Anzumerken ist, dass nicht jeder Umzug automatisch von der Karenzzeit gedeckt ist. Wer innerhalb dieser Zeit in eine teurere Wohnung zieht, muss damit rechnen, dass die übersteigenden Kosten nicht übernommen werden. Laut Claudia Theesfeld-Betten, Rechtsassessorin in der Widerspruchs- und Klagestelle eines Jobcenters, im aktuellen Themenheft „Zwei Jahre Bürgergeld in der Praxis“ orientiert sich die Angemessenheit an der sogenannten Produkttheorie des Bundessozialgerichts (BSG). Danach darf eine Wohnung keinen gehobenen Standard haben und muss sich am unteren Marktsegment bewegen. 

Definition „Produkttheorie“

Die Produkttheorie dient als eine Berechnungsmethode zur Beurteilung der Angemessenheit von Unterkunftskosten im Sozialrecht. Sie besagt, dass die Wohnkosten dann als angemessen gelten, wenn das Produkt aus angemessener Wohnfläche und angemessenem Quadratmeterpreis nicht überschritten wird. Dabei wird die tatsächliche Wohnungsgröße nicht isoliert betrachtet, sondern nur der resultierende Gesamtmietpreis. Dies ermöglicht beispielsweise, eine kleinere, aber teurere Wohnung zu wählen, solange die Gesamtmiete im angemessenen Rahmen bleibt. Grundlage für die Berechnung ist die Bruttokaltmiete (Miete inklusive kalter Nebenkosten).

Quelle: Haufe.de

Ein Umzug in eine teurere Wohnung wird auch nur dann anerkannt, wenn laut Sozialgesetzbuch (§ 22 Abs. 4 SGB II) das Jobcenter vorher eine Zustimmung erteilt hat. Fehlt diese, endet die Karenzzeit sofort, und es gelten die regulären Angemessenheitsgrenzen. Nach Ablauf der Karenzzeit prüft das Jobcenter, ob die Wohnkosten weiterhin angemessen sind. Liegen die Mietkosten über den Richtwerten, erhalten Leistungsbezieher in der Regel eine Aufforderung zur Kostensenkung. Dies kann entweder durch eine Untervermietung, Verhandlungen mit dem Vermieter oder einen Umzug geschehen.

Anders als bei den Mietkosten gibt es bei Heizkosten keine pauschale Karenzzeit. Das bedeutet, dass hohe Heizkosten jederzeit als unangemessen eingestuft und gekürzt werden können. Das Bundesozialgericht hat in einem Urteil (Az. B 4 AS 4/23 R) klargestellt, dass eine Begrenzung von Heizkosten notwendig sei, um Missbrauch zu vermeiden.

Gerichtsurteile zur Angemessenheit: Schutzklausel beim Tod eines Haushaltsmitglieds

Neu eingeführt wurde eine Schutzklausel für Haushalte, in denen ein Mitglied verstirbt (§ 22 Abs. 1 Satz 9 SGB II). In diesen Fällen gilt für mindestens 12 Monate nach dem Sterbemonat, dass die Unterkunftskosten weiterhin als angemessen betrachtet werden. Ziel dieser Regelung ist es, Betroffene in einer ohnehin schwierigen Zeit nicht zusätzlich durch Umzugsdruck zu belasten. Ähnlich kulant sieht es auch bei der Mitschuldübernahme aus, nachdem das Landessozialgericht NRW zugunsten von Bürgergeldempfängern entschied.

Gerichte haben sich bereits vielfach mit der Frage der Angemessenheit beschäftigt. Das Bundessozialgericht (BSG) entschied am 14. Dezember 2023 (Az. B 4 AS 4/23 R), dass das Jobcenter auch nachträglich zu hohe Mietkosten zahlen muss, wenn die Behörde zuvor keine Kostensenkungsaufforderung ausgesprochen hat. Damit wird klargestellt, dass das Jobcenter nicht einfach Rückforderungen stellen kann, wenn es versäumt hat, die Angemessenheit rechtzeitig zu prüfen. Betroffene haben die Möglichkeit, Widerspruch gegen unklare oder fehlerhafte Bescheide des Jobcenters einzulegen.

Ob das Bürgergeldgesetz in seiner aktuellen Form überhaupt erhalten bleiben wird, ist abzuwarten. Die CDU/CSU unter Friedrich Merz konnte im Februar die Bundestagswahl 2025 klar für sich entscheiden und will die Sozialleistung durch ein eigenes Modell ersetzen. Aktuell befindet sich die Partei in Sondierungsgesprächen mit der SPD. (ls)

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