„Zusätzliche Rentenpunkte“ für Frauen – Sozialverbandschefin fordert Merz zu Politikwechsel auf

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Rente, Wohnen, Unterstützung für Frauen – SoVD-Chefin Michaela Engelmeier sieht viel Arbeit für die nächste Bundesregierung. Sie fordert ein völlig neues Denken in der Sozialversicherung.

Berlin – Sozialverbände gelten meist nicht als die größten Freunde konservativer Politik und sozialpolitischer Sparmaßnahmen. Und auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) mit ihrer Vorstandsvorsitzenden Michaela Engelmeier blickt kritisch auf viele Ankündigungen des wohl nächsten Kanzlers Friedrich Merz. Trotzdem blickt Engelmeier im Interview auch optimistisch auf die mögliche Regierung zwischen CDU, CSU und SPD - vorausgesetzt sie geht einige grundlegende Änderungen für Frauen an.

Frau Engelmeier, nach dem Ampel-Aus sagten Sie, um die soziale Gerechtigkeit sei es in Deutschland schlecht bestellt. Ist es nun besser?

Nein. Wir stehen vor riesigen sozialen Herausforderungen, so muss zum Beispiel das Rentenniveau endlich stabilisiert werden. Die Politik muss nun aktiv werden, sonst ist der soziale Frieden gefährdet.

Wie nehmen Sie die Koalitionsgespräche zwischen Schwarz und Rot bisher wahr?

Ich glaube, allen ist bewusst, welche Verantwortung ihnen zukommt. Selbst jene Politikerinnen und Politiker, gerade aus den Reihen von CDU und CSU, die im Wahlkampf noch einen starken Fokus auf Sicherheit legten und sozialen Themen eher zurückhaltend begegneten, erkennen zunehmend, dass soziale Sicherheit die Grundlage für gesellschaftliche Stabilität bildet. Die Koalitionäre müssen sich bewegen, Kompromisse finden, zusammenkommen – es gibt keine Alternative.

Sozialverbands Vorstandsvorsitzende Michaele Engelmeier im Interview mit Ippen.Media Parlamentsreporter Moritz Maier.
Sozialverbands Vorstandsvorsitzende Michaele Engelmeier im Interview mit Ippen.Media Parlamentsreporter Moritz Maier. © IPPEN.MEDIA/ Jon Lasse Schmitt

Rente und Altersarmut – Sozialverband fordert Garantie von CDU und SPD

Schwarz-Rot will umsetzen, was der Ampel nicht gelungen ist – das Rentenniveau bei 48 Prozent halten. Sie vom SoVD fordern langfristig 53 Prozent. Wie soll das gelingen?

Ein stabiler Arbeitsmarkt ist der Schlüssel und dazu gehört auch gezielte Zuwanderung. Jeder Mensch, der in Deutschland arbeitet und in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt, trägt zur Stabilisierung des Systems bei. Fakt ist: Wir haben zu wenig Fach- und Arbeitskräfte. Deshalb müssen wir dringend Anreize schaffen, um mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen und das aus dem Inland ebenso wie aus dem Ausland.

Friedrich Merz und die Union traten im Wahlkampf besonders scharf in Sachen Migration auf. Muss er sich künftig im Ton mäßigen, um mögliche Fachkräfte nicht abzuschrecken?

Ja, aus Sicht des SoVD ist ein anderer Ton dringend erforderlich. Viele Betriebe finden keine Auszubildenden mehr und sind auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Eine pauschal ablehnende Rhetorik gegenüber Zugewanderten schreckt eher ab, als dass sie hilft. Wer in Deutschland arbeiten und zur Gesellschaft beitragen will, verdient Anerkennung und faire Chancen.

SoVD will Armutsfallen für Frauen auflösen

Viel Potenzial bieten auch Frauen. Sie können oft nicht in Vollzeit arbeiten und trotz guter Ausbildung ist etlichen Frauen der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert. Was muss Deutschland tun?

Frauen übernehmen nach wie vor den Großteil der unbezahlten Sorgearbeit, etwa in der Pflege von Angehörigen, bei der Kindererziehung oder im Haushalt. Viele können deshalb nur in Teilzeit arbeiten. Auch das erhöht das Risiko von Altersarmut deutlich. Es braucht klare politische Entscheidungen. Gute Betreuungsangebote, eine gerechtere Verteilung der familiären Aufgaben und eine an den Bedarfen der Frauen ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik sind entscheidend. Frauen dürfen nicht länger in prekäre Beschäftigungsverhältnisse gedrängt werden.

Muss dafür ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden, oder muss die Politik das Problem lösen?

Beides ist notwendig. Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken ebenso wie gezielte politische Maßnahmen. Care-Arbeit muss die Anerkennung erhalten, die ihr zusteht, zum Beispiel durch zusätzliche Rentenpunkte für Zeiten der Kindererziehung. Gleichzeitig müssen Männer stärker in die Verantwortung genommen werden. Care-Arbeit darf nicht allein auf den Schultern von Frauen lasten, sondern ist eine gemeinsame Aufgabe.

Neben der Rente wird eine Hauptaufgabe der nächsten Regierung das teurer werdende Wohnen, Mieten und Bauen zu adressieren.

Seit 2015 hat sich die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland halbiert. Wir hätten damals direkt gegensteuern müssen. Jetzt brauchen wir ein Bundesprogramm für gemeinwohlorientiertes und staatliches Bauen. Außerdem muss die Einhaltung des Mietendeckels gewährleistet werden. Wohnen ist ein Menschenrecht. Deshalb halte ich auch beispielsweise genossenschaftliches Wohnen für ein sehr gutes Modell.

Was tun gegen teures Wohnen, Mieten und Bauen?

Der Neubau ist enorm teuer. Das Sondervermögen wird Investitionen ermöglichen, aber auch dieses Geld ist endlich – und hat die Bauzinsen zeitgleich nach oben getrieben. Hätte die Reform der Schuldenbremse statt für Verteidigung vor allem in Infrastruktur und soziale Projekte gehen sollen?

Es darf kein Entweder-oder geben. Die Menschen müssen sich auf stabile Renten, bezahlbare Pflege und gute Bildung verlassen können. Dafür braucht es eine solide Finanzierung. Statt immer nur über Ausgaben zu sprechen, sollte die Politik endlich die Einnahmeseite in den Blick nehmen. Der SoVD fordert eine gerechte Steuerpolitik. Eine Reform, die Vermögende und Besserverdienende stärker einbezieht, ist überfällig. Soziale Gerechtigkeit muss selbstverständlich sein.

Was muss die künftige Regierung unter Merz als Erstes tun?

Sie muss das Rentenniveau stabilisieren, sich für gute Löhne und einen Mindestlohn von über 15 Euro einsetzen. Entscheidend ist, dass soziale Fragen zügig und entschlossen angegangen werden.

Sie kündigten einmal an, den nächsten Kanzler zu einem Sozialgipfel einzuladen. Hat Friedrich Merz schon Post von Ihnen bekommen?

Sobald Friedrich Merz offiziell im Amt ist, wird er unsere Forderung nach einem Sozialgipfel auf dem Tisch haben. Und ich hoffe sehr, dass er dafür offen ist. Der Dialog mit uns Sozialverbänden ist wichtiger denn je.

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