Der Bedarf an Arbeitskräften in Ingenieur- und IT-Berufen wird in den kommenden Jahren aufgrund von Demografie, Digitalisierung und Klimaschutz deutlich steigen. Doch schon jetzt schlägt die Wirtschaft Alarm, weil der Nachwuchs fehlt. Statt technische Berufe zu studieren, sind Psychologie, Philosophie und Sozialwissenschaften deutlich gefragter. Das ergab eine Auswertung des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) im vergangenen Jahr.
Mathematisch begabte Schüler und Studierende haben die besten Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Auch deshalb entstehen immer mehr Studiengänge in den sogenannten MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Dennoch scheinen immer weniger Menschen diese Fächer studieren zu wollen.
MINT-Studiengänge nicht gefragt
In den Fächern Maschinenbau, Verfahrenstechnik und Wirtschaftsingenieurwesen sank die Zahl der Studienanfänger laut „Bild“-Zeitung um ein Drittel, in der Elektrotechnik um ein Viertel. Andere geisteswissenschaftliche Studiengänge wurden dagegen stärker nachgefragt. Sozialwissenschaften und Psychologie verzeichneten einen Zuwachs. „Dabei ist der Ingenieurberuf der Zukunftsjob überhaupt. Sinnhaftigkeit und Mehrwert für die Gesellschaft stehen seit jeher im Fokus“, sagt Adrian Willig, Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), in einer Pressemitteilung.
Fast zwei Drittel der Fachkräfte in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, den sogenannten MINT-Fächern, werden nach einer Prognose der OECD künftig aus den beiden bevölkerungsreichsten Ländern China und Indien kommen. Im Jahr 2030 wird erwartet, dass China 37 Prozent und Indien 26,7 Prozent der Hochschulabsolventen in den MINT-Fächern in den OECD- und G20-Ländern stellen werden. Im Vergleich dazu liegen Russland mit 4,5 Prozent und die USA mit 4,2 Prozent deutlich zurück.
Für Deutschland wird dagegen nur ein Anteil von 1,4 Prozent prognostiziert. Das ist alarmierend.
MINT-Kompetenz bei Schülern nimmt ab
Der Wirtschaft droht ein massiver Nachwuchsmangel. Denn die durchschnittliche Mathematikkompetenz der Generation Z nimmt stetig ab. Die Gen Z bezeichnet die demografische Gruppe von Menschen, die in der Regel zwischen Mitte der 1990er Jahre und Mitte der 2010er Jahre geboren wurden.
Während sie zwischen den Studien von PISA-2000 und PISA-2012 bei den 15-Jährigen gestiegen ist, ging die Kompetenz zwischen PISA-2012 und PISA-2018 zurück und wird bis PISA-2022 weiter sinken. Der Anteil der 15-Jährigen mit hoher mathematischer Kompetenz hat sich von 17 Prozent (PISA-2012) auf alarmierende 8,6 Prozent (PISA-2022) nahezu halbiert. Auch in den Naturwissenschaften haben sich die Ergebnisse verschlechtert.
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) beobachtet die Situation mit Sorge. Zu den Mitgliedern des Verbands zählen wichtige Unternehmen und Säulen der deutschen Wirtschaft. Sie sorgen für knapp eine Million Arbeitsplätze und einem Umsatz in Höhe von fast 245 Milliarden Euro. „Unter unseren Mitgliedsunternehmen ist der Fachkräftemangel Problem Nummer 1“, sagt Jörg Friedrich, Abteilungsleiter Bildung des VDMA.
„Um dem entgegenzuwirken, sind Maßnahmen erforderlich, um junge Menschen für ingenieur- und informatikbezogene Inhalte zu begeistern“, sagt der VDI. „Gemeinsame Anstrengungen von Bildungseinrichtungen, Politik und Gesellschaft seien notwendig, um die Attraktivität der Studiengänge zu steigern und qualifizierte Nachwuchskräfte zu gewinnen.“
So könnte die Gen-Z das Problem lösen
Um den Kollaps beim Nachwuchs zu verhindern, sind jetzt wichtige Schritte nötig. Denn Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik müssen für Schüler attraktiver werden.
Durch gezielte Programme und Initiativen können Schüler frühzeitig für technische Berufe und das Handwerk begeistert werden. Praktische Erfahrungen und Projekte an Schulen können das Interesse an diesen Berufsfeldern steigern und potenzielle zukünftige Fachkräfte gewinnen. Denn viele Schüler wissen zwar, was ein Bäcker, Maler, Psychologe oder Lehrer macht, aber nicht, welche lukrativen Berufe man mit einem Mathematikstudium ergreifen kann. Dazu müssen auch Unternehmen ihre Produktionsstätten für Bildungseinrichtungen öffnen. Das sieht auch der VDMA ähnlich. “Wir müssen die Werkshallen öffnen für Interessierte – gerade auch für Mädchen und Frauen."
Der starre Mathematik- und Physikunterricht könnte durch Workshops, Wettbewerbe, Exkursionen zu Unternehmen oder Forschungseinrichtungen attraktiver gestaltet werden. Die Schüler könnten frühzeitig mit möglichen Berufen und auch mit Zukunftschancen in Verbindung gebracht werden. Lernen wird so zum Erleben und Ausprobieren.
Ein gutes Beispiel ist Singapur. Dort werden in den Schulen verschiedene Programme und Maßnahmen durchgeführt, um das Interesse und die Fähigkeiten der Schüler in den Bereichen Naturwissenschaften, Technik, Ingenieurwesen und Mathematik zu fördern. Aber auch in der Freizeit können sich talentierte Schüler in Vereinen und Wettbewerben entfalten. Ähnlich wie in Sportvereinen sollen diese Initiativen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und des gemeinsamen Schaffens vermitteln.