Russische Kriegs-Blogger frustriert: Schlüssel zur Krim? Ukraine-„Marines“ halten Brückenkopf
Trotz hoher Verluste und heftiger russischer Angriffe halten wenige ukrainische Soldaten einen wichtigen Brückenkopf am Fluss Dnipro, der die Krim in Schlagdistanz bringen soll.
Krynky – Die Verluste im Kampf gegen die Invasion Russlands sind hoch. Und dennoch lässt sich die Ukraine nicht kleinkriegen. Das veranschaulicht nachdrücklich ein sehr schmaler Frontabschnitt im südlichen Delta des riesigen Flusses Dnipro. Hier halten wenige Marine-Soldaten Kiews seit Wochen heftigen russischen Angriffen stand, um einen Brückenkopf zu sichern, der ihren Streitkräften im Ukraine-Krieg langfristig den Weg auf die 2014 völkerrechtswidrig annektierte Krim ebnen soll. Die Symbolik ist immens, der Blutzoll ist es auch.
Gegen russische Armee: Marine-Soldaten der Ukraine halten Brückenkopf bei Krynky
Die Rede ist von der heftig umkämpften Siedlung Krynky in der Oblast Cherson, unweit der Schwarzmeerküste. Die Stellung gleicht einem gallischen Dorf inmitten der russischen Armee. Wie die Kyiv Post berichtet, hat sich nun ein bekannter Kreml-Militärblogger beschwert. Und zwar darüber, dass wochenlange Versuche Moskaus aufgrund „unqualifizierter russischer Kampfkommandeure“ und „inkompetenter Schlachtplanung“ gescheitert seien, den ukrainischen Brückenkopf zu zerstören.
Ukrainische Region Cherson: Russische Armee im Herbst 2022 aus der Großstadt vertrieben
Demnach kritisierte der viel zitierte Telegram-Blog Rybar Z, dass die Ukrainer mittlerweile die Luftüberlegenheit über diesem Frontabschnitt hätten und russische Gegenstöße effektiv mit Artillerie von der westlichen Uferseite des Dnipro zurückwerfen würden. Es ist von einem regelrechten „Drohnenschwarrm“ die Rede. „Wir haben alle möglichen Probleme. In manchen Fällen verschlimmert sich die Situation sogar. Die Situation mit der Luftverteidigung in der Region Cherson falle in die Kategorie ‚einander auf die Schulter weinen‘“, schrieb Rybar Z demnach.
In der Region Cherson gebe es Ausrüstung und Ressourcen für eine effektivere Flugabwehr des russischen Militärs, „aber aus irgendeinem Grund ist ihr Einsatz aufgrund verschiedener bürokratischer Idioten nicht möglich“, kommentierte der sonst kremlfreundliche Blog laut des Berichts.
Die Oblast Cherson ist östlich des Dnipro-Ufers durch die Russen besetzt, den westlichen Teil der Region samt der gleichnamigen Großstadt (rund 280.000 Einwohner) hatten die Ukrainer zwischen September und November 2022 zurückerobert. Am 22. Dezember hatten die Ukrainer in dieser Gegend in einem einmaligen Schlag gleich drei russische Kampfbomber Su-34 abgeschossen, die nach ukrainischen Angaben eben jenes Krynky bombardieren sollten. Seither traue sich die russische Luftwaffe nicht mehr dorthin.
Kämpfe um östliches Dnipro-Ufer: Über Cherson führt der kürzeste Weg auf die Krim
Die anvisierte Einnahme des östlichen Dnipro-Ufers hat in dieser südlichen Region des Landes eine erhebliche strategische Bedeutung. Denn: Die gut ausgebaute Europastraße 97 (E97) führt von Oleschky, wenige Kilometer südlich von Krynky gelegen, nach Armjansk am nordwestlichen Zipfel der Krim. Und das auf vergleichsweise überschaubaren 100 Kilometern. Können die Ukrainer die Krim über den Landweg angreifen oder zumindest isolieren, würde der politische Druck auf Kreml-Autokrat Wladimir Putin in Russland wohl deutlich wachsen.
Darin sind sich viele westliche Experten einig. „Die Krim spielt für das aktuelle imperiale Bewusstsein Russlands eine wichtige Rolle“, hatte zum Beispiel der Osteuropa-Historiker Prof. Dr. Klaus Gestwa unlängst im Interview mit IPPEN.MEDIA erklärt. Die ukrainischen Streitkräfte hatten gegenüber der Stadt Cherson ihre Marine-Infanterie in die Kämpfe geschickt – unter hohen Verlusten. Russische Blogger teilten bei X und Telegram Videos von im Fluss treibenden Leichen und verwaisten Schlauchbooten. Die Uniformen der abgebildeten Soldaten deuteten tatsächlich auf die ukrainische Armee hin.
Dnipro-Front bei Cherson: Kritik an Wolodymyr Selenkskyj und ukrainischem Generalstab
Und die Eindrücke deckten sich mit einem viel beachteten Interview eines ukrainischen Soldaten mit der britischen BBC. „Als wir am Ufer ankamen, wartete der Feind. Die Russen, die wir gefangen nehmen konnten, sagten, ihre Streitkräfte seien über unsere Landung informiert worden, sodass sie bei unserer Ankunft genau wussten, wo sie uns finden könnten. Sie warfen alles auf uns – Artillerie, Mörser und Flammenwerfer. Ich dachte, ich würde nie rauskommen“, erzählte er der BBC: „Die gesamte Flussüberquerung steht unter ständigem Beschuss. Ich habe gesehen, wie Boote mit meinen Kameraden an Bord nach einem Treffer einfach im Wasser verschwanden.“
Die gesamte Flussüberquerung steht unter ständigem Beschuss. Ich habe gesehen, wie Boote mit meinen Kameraden an Bord nach einem Treffer einfach im Wasser verschwanden.
Zuletzt hatte sogar das regierungsfreundliche Medienprojekt The Kyiv Independent die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj und den ukrainischen Generalstab für waghalsige Missionen am Dnipro scharf kritisiert. Die „Marines“, die herüberkamen, halten den Brückenkopf zwar. Dieser dürfte aber längst nicht vollständig gesichert sein.
Bezeichnend: Das ukrainische Verteidigungsministerium hatte Anfang Januar bei X (vormals Twitter) Fotos vom Training seiner Marine-Einheiten geteilt, welche dokumentieren, womit die Männer bewaffnet sind – mit Handfeuerwaffen und den schultergestützten Panzerabwehrwaffen „Javelin“. An schwere Kampfpanzer ist (noch) nicht zu denken, zumal die Russen das Ufer immer wieder mit ihren großflächigen Grad-Raketenwerfern eindecken und von mobilen Pontonbrücken (Schwimmbrücken) nichts zu sehen ist. Und so geht der blutige Krimi um den Dnipro weiter. (pm)