Bestechung in Russlands Armee: Putins Soldaten zahlen für Fronturlaub und Verletzungen
Die Verluste zeigen Wirkung: Viele Putin-Soldaten wollen bloß weg von der Ukraine-Front – und zahlen dafür. Die Bestechung greift in Russlands Armee um sich.
Moskau – Urlaub, Versetzungen oder aber auch absichtliche Verletzungen: Angesichts der hohen Verluste bei der Ukraine-Offensive wollen sich offenbar immer mehr Soldaten aus Russland von den gefährlichen Operationen freikaufen. So soll die Bestechung innerhalb von Russlands Armee einen neuen Höchststand erreicht haben.
Es gebe ein regelrechtes System, mit dem sich die Kämpfer der Invasionsarmee vom Fronteinsatz befreien lassen könnten und über das mittlerweile mehrere Millionen Dollar verschoben werden, berichtete ein russischer Sturmtruppler der Novaya Gazeta Europe. An den russischen Offensivbemühungen im Ukraine-Krieg gehen die Absetzbewegungen offenbar nicht spurlos vorbei.
Fahnenflucht in der Ukraine: In Russlands Armee greift die Bestechung um sich
Dem Blatt liegen eigenen Angaben zufolge mehrere Telefonmitschnitte vor, in denen Soldaten aus Russland die grassierende Bestechung im Ukraine-Krieg beklagen. Seine Truppe stehe aufgrund von „Bestechungsgeldern in Höhe von mehreren Millionen Dollar“ still und könne nicht an den Gefechten teilnehmen, sagte der Sturmtruppler.
Wer über genügend Geld verfüge, könne sich aus dem Staub machen. So kann man für Extra-Fronturlaub ebenso bezahlen wie für eine Versetzung. Zusätzliche freie Tage kosten demnach im Schnitt 5000 bis 10.000 Dollar, eine Rotation in einen weniger gefährlichen Frontabschnitt knapp 500 bis 3000 Dollar.

Bestechung im Ukraine-Krieg: Soldaten lassen sich absichtlich verletzen
Daneben soll es auch die Möglichkeit geben, sich absichtlich verletzen zu lassen. Für einen „Shell Shock“, also eine Wunde mit Krankenhausaufenthalt, muss man dem Bericht zufolge 10.000 bis 50.000 Dollar aufbringen, je nach Rang und Einsatzort, wie es hieß. Der hohe Preis erklärt sich damit, dass der russische Staat jedem Soldaten für eine Verletzung im Kriegseinsatz eine Entschädigung von drei Millionen Rubel auszahlt. Doch dies gelte auch für die Fälle, in denen die „Wunde“ nicht im Kampf, sondern durch Bestechung eines Offiziers erlitten wurde.
Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben im Ukraine-Krieg nicht. Doch dem Blatt liegen verschiedene Telefonmitschnitte und Dokumente vor, die die Echtheit der Informationen bestätigen sollen. Bei den Soldaten, die jetzt über das Bestechungssystem ausgepackt haben, handelt es sich teilweise um ehemalige Häftlinge. Wegen der hohen Verluste an der Front hatte die Armee von Russlands Präsident Wladimir Putin zuletzt um neue Rekruten in den Gefängnissen geworben – und ihnen neben der Freiheit nach Ende des Kriegseinsatzes auch einen monatlichen Sold angeboten. Doch offenbar kommt der nicht immer in voller Höhe bei den Ex-Häftlingen an, weil vorher schon viele Militärs einen Teil des Geldes abgreifen.
Ukraine-Offensive von Russland bei Awdijiwka sorgt für hohe Verluste
Dass die Bestechung floriert, könnte auch mit den enorm hohen Verlusten zusammenhängen. Seit Wochen konzentriert Russlands Armee seine Offensivbemühungen vor allem auf die Schlacht um Awdijiwka. Trotz des Wintereinbruchs versuchen Putins Soldaten, die Ortschaft von drei Seiten einzukesseln.
Doch diese Strategie erfordert einen hohen Blutzoll. Bis zu 900 Soldaten sollen dort ums Leben kommen – pro Tag. So lautet zumindest die Einschätzung der britischen Regierung anhand von Geheimdienstinformationen. Demnach würde die russische Verlustrate eine neue Höchstmarke erreicht haben. Bislang galt der März als blutigster Monat, als die russische Armee mehr als 700 Soldaten am Tag verloren hatte – bei der Schlacht um Bachmut.
Militärexperten ziehen deswegen mehrheitlich eine Parallele zur Schlacht um Bachmut. Dort habe auch „die katastrophale Taktik Moskaus“ darin bestanden, die eigene Armee ausbluten zulassen, auch „wenn sie schlussendlich die Stadt umzingelten“, sagte Mark Cancian, pensionierter Oberst der US-Marine dem Business Insider. Doch dass sich immer mehr Soldaten dem Himmelfahrtskommando entziehen wollen, kann eigentlich die Militärplaner Putins nicht verwundern.
Bestechung und Flucht bleibt die einzige Möglichkeit zur Rettung
Früher gab es noch häufig Beschwerden über Bestechung und Korruption in Russlands Armee. Doch die Zahlen sind offenbar rückläufig. Das bestätigte der Menschenrechtsaktivist Sergei Kriwenko dem ukrainischen Nachrichtenportal Unian. Dies habe aber nicht damit zu tun, dass das Phänomen grundsätzlich verschwunden sei. Der Rückgang sei durch die Lage der Armee bedingt. „Bestechung oder Flucht aus einer Einheit ist oft die einzige Möglichkeit“, sagte er, „das Leben und die Gesundheit von Militärangehörigen zu retten.“ (jeki)
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