Die „Hessen“ auf Heimatkurs – ihre Bilanz liegt zwischen „Lachnummer“ und „Goldstandard“
„Mission erfüllt“ – das jedenfalls verbreitet Boris Pistorius. Aber ein fehlerhaftes Radar und fehlende Raketen vermiesen der „Hessen“ ihren Erfolg.
Wilhelmshaven – „Die Frauen und Männer der Fregatte ,Hessen‘ haben ihren Auftrag im Rahmen der EU-Operation Aspides mit Bravour umgesetzt“, lobt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) auf der Website seines Ministeriums. Das Kriegsschiff hat seinen Einsatz im Rahmen der EUNAVFOR (European Union Naval Force) im südlichen Roten Meer jetzt beendet und wird Anfang Mai in Wilhelmshaven zurückerwartet. „Aspides“ bedeutet im übertragenen Sinne „Schilde“ oder „Beschützer“ und ist Teil der von den USA seit 2023 geführten Operation „Prosperity Guardian“ (zu Deutsch: „Wächter des Wohlstands“) gegen die Huthi-Milizen aus dem Jemen und ihre Bedrohung der dortigen Handelsschifffahrt.
Das Schiff war beauftragt, zwischen dem 23. Februar und dem 19. April den Schutz der Schifffahrt und die Sicherheit des Seeverkehrs im südlichen Roten Meer und Bab al-Mandab, der Meeresstraße zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden. „Es ist die bislang gefährlichste Mission in der Geschichte der Deutschen Marine“, schrieb Wolf-Christian Paes für das Magazin des Bundeswehr-Reservistenverbands loyal Anfang März – kein reiner Überwachungs-, sondern ein defensiver Kampfeinsatz.
„Hessen“ beendet Einsatz im Roten Meer – vier Waffengänge gegen Huthi-Rebellen
Das Ergebnis des Einsatzes sind laut Angaben des Verteidigungsministeriums das Eskortierten von 27 Handelsschiffen durch das Einsatzgebiet und vier Kampfeinsätze gegen Drohnen und Flugkörper der Huthi-Miliz, die mit dem Iran kooperieren. Insgesamt hat die Fregatte „Hessen“ nach Ministeriumsangaben mehr als 11.000 Kilometer im Einsatzgebiet zurückgelegt. Zusätzlich konnte die Besatzung zweimal medizinische erste Hilfe leisten: Ein Soldat einer Partnernation wurde mit dem Bordhelikopter zur medizinischen Behandlung an Land verbracht, ein Besatzungsmitglied eines begleiteten Handelsschiffs wurde durch den Bordarzt der „Hessen“ medizinisch versorgt.
Die vier Waffengänge des Schiffes gliedern sich nach Auflistung des Blogs Augen geradeaus! nach Meldungen der Bundeswehr auf
- den Abschuss von zwei fliegenden Drohnen am 27. Februar;
- die Zerstörung einer Überwasserdrohne am 21. März mit dem schweren Maschinengewehr des Bordhubschraubers SeaLynx
- die Abwehr einer Antischiffsrakete am 6. April.
Der erste „Hessen“-Einsatz – ein „brisanter Sicherheitsvorfall“
In der Liste fehlt der erste „Einsatz“ der „Hessen“ am 24. Februar – laut dem Spiegel ein „brisanter Sicherheitsvorfall“. Einen Tag vor dem ersten Erfolg gegen eine Huthi-Drohne hatte die Besatzung versehentlich eine US-Drohne im Visier genommen und diese beinahe vom Himmel geholt, dabei aber lediglich Fehlschüsse produziert. „Die alte Radaranlage der ,Hessen‘ war offenbar nicht in der Lage, die ,Reaper‘ anhand der Signatur zu identifizieren“, analysiert der Stern.
„Deutschland und seine Partner schauen den völkerrechtswidrigen Angriffen der Huthi-Milizen nicht tatenlos zu. Es ist auch unsere Aufgabe, den freien Handel zu schützen – und damit auch das Leben der Menschen auf den Handelsschiffen im Roten Meer.“
Dabei habe die „Hessen“ zwei Flugkörper vom Typ Standard Missile 2 auf eine nicht identifizierte Drohne abgefeuert, schreibt Blog-Autor Wiegold. Allerdings hätten die Abwehrraketen die MQ9 Reaper nicht getroffen, weil das Schiffsradar die Abwehrraketen fehlgesteuert hatte, wie die Marine mitgeteilt hatte. Laut der Marine sei der Fehler später korrigiert worden.
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Und das Urteil des Stern-Autoren Gernot Kramper war entsprechend unerbittlich: „So wird die Deutsche Marine zur Lachnummer“. Anders sah das der Inspekteur der Deutschen Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack. „Da wurde wie im Lehrbuch vorgegangen. Die Drohne war eindeutig als feindlich klassifiziert. Ich hätte als Kommandant ganz genauso gehandelt“, sagte Kaack der Deutschen Presse-Agentur. Auch loyal-Autor Wolf-Christian Paes sieht keinen Anlass für eine „Lachnummer“. Er forscht für das Institute for International Security Studies (IISS) und dient als Reserveoffizier. Von 2018 bis 2023 gehörte er laut loyal-Angaben einer Expertenrunde der Vereinten Nationen für den Jemen an und überwachte das Waffenembargo gegen die Huthis.
Die „Hessen“ im Roten Meer – ersten Marine-Kampfeinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg
„Mit ,Aspides‘ steht die deutsche Marine de facto in ihrem ersten Kampfeinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Begeisterung in manchen Medien über die plötzliche Entschlossenheit der Bundesregierung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine wirkliche Strategie zum Umgang mit den Huthis fehlt. Mit jedem amerikanischen Luftangriff wächst ihre Unterstützung im Jemen, aber auch in weiten Teilen der arabischen Öffentlichkeit. Und so befindet sich die internationale Gemeinschaft auch im Roten Meer erneut in einer Zwickmühle, aus der es zumindest keinen militärischen Ausweg gibt“, schrieb Paes.
Die Bundeswehr war möglicherweise auf das Konflikt-Szenario schlecht vorbereitet – der Norddeutsche Rundfunk sah sich Ende Februar sogar bemüßigt, die Kriegstüchtigkeit der Marine infrage zu stellen: So sei die Fregatte „Hessen“ zwar voll aufmunitioniert ins Rote Meer gefahren, unter anderem mit drei verschiedenen Raketenarten an Bord, berichtete der NDR; was er aus Meinungen von verschiedenen Marine-Offizieren zum vernichtenden Urteil kommen ließ: Wenn die verschossen seien, gäbe es nur für eine Sorte minimalen und für die anderen beiden gar keinen Nachschub aus deutschen Depots.
Die „Hessen“ in Bedrängnis: Im Einsatz nur solange der Munitions-Vorrat reicht
Diesen Eindruck bestätigte gegenüber dem NDR auch Flottenadmiral Axel Schulz, Kommandeur der Einsatzflottille 2 der Marine in Wilhelmshaven. Ihm untersteht auch die „Hessen“. „Wenn wir irgendwann mal keine Munition mehr haben sollten, wenn wir alles verschossen haben, dann wird der Einsatz sowieso beendet sein für uns. Das geht ja nicht anders. Wir können ja Schiffe nicht unmunitioniert irgendwohin schicken.“ Der Mitteldeutsche Rundfunk zitierte nach dem Vorfall mit der US-Drohne Christian Mölling, den Verteidigungs-Experten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, dass die Marine auf einen Einsatz wie im Roten Meer nicht vorbereitet gewesen sei.
„Solche Einsätze seien reine Theorie gewesen. Deshalb sei in den vergangenen 30 Jahren an allem gespart worden. Es fehle nicht nur an Munition, sondern auch an Personal. Im Kriegsfall könnten nicht einmal alle Marineschiffe gleichzeitig sicher eingesetzt werden.“ Immerhin hat Deutschland wohl zügig gehandelt, urteilt Wolf-Christian Paes in loyal: „Bemerkenswert war, mit welcher für die Bundeswehr untypischen Geschwindigkeit die Fregatte in Marsch gesetzt wurde. Zum Zeitpunkt des Auslaufens war die Mission noch nicht endgültig beschlossen.“
Selbstverständnis der Marine-Führung: Die „Hessen“ ist der „Goldstandard“
Vizeadmiral Jan Christian Kaack erläuterte die Entscheidung der Entsendung der Luftverteidigungsfregatte ins Rote Meer mit voller Überzeugung, wie das Presse- und Informationszentrum der Marine kurz nach dem Auslaufen in Wilhelmshaven schrieb: „Da wir dort in einen scharfen Waffengang gehen, kommt hier nur ein Schiff in Frage, das sich mit seiner Bewaffnung durchsetzen kann. Dessen Besatzung zu 100 Prozent ausgebildet ist, um mit der Bedrohung umgehen zu können. Die Fregatte ‚Hessen‘, die wir ausgewählt haben, ist darauf vorbereitet. Sie ist sozusagen unser Goldstandard.“
Abgelöst wird sie von einer weiteren Fregatte der Sachsen-Klasse: der im Jahr 2004 in Dienst gestellten F 220 „Hamburg“. Genau wie ihre Schwesterschiffe ist sie als Mehrzweckschiff für Geleitschutz und Seeraumkontrolle konzipiert. Ihr Schwerpunkt ist die Luftverteidigung: Mit ihrem Radar SMART-L (Signal Multibeam Acquisition Radar for Tracking, L band) kann eine einzige Einheit der Sachsen-Klasse zum Beispiel den Luftraum über der gesamten Nordsee überwachen, schreibt die Bundeswehr. Muss sie feuern, reichen die Flugabwehrraketen vom Typ SM2 aus dem Senkrecht-Startsystem Mk41 VLS (Vertical Launching System) der Sachsen-Klasse nach Bundeswehr-Angaben mehr als 160 Kilometer weit.
Die „Hessen“ und ihr Image: ohne Waffen ein „Papiertiger“
Anfang März war Stern-Autor Kramer vom Auftritt der „Hessen“ entsetzt: „Es ist der Bevölkerung nicht zu vermitteln, warum ein Schiff, das über 1,3 Milliarden gekostet hat, wegen fehlender Raketen kaum zu gebrauchen ist. Ob Deutsche Marine oder Bundeswehr, die deutschen Streitkräfte sind der „Papiertiger“. Ob man den ,Hessen‘-Zwischenfall nun als Lachnummer oder als Trauerfall empfindet, solche Patzer kann sich die Bundeswehr nicht leisten.“ Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius gibt sich auf Website seines Ministeriums vor der baldigen Ablöse der Fregatten gewohnt kämpferisch.
„Deutschland und seine Partner schauen den völkerrechtswidrigen Angriffen der Huthi-Milizen nicht tatenlos zu. Es ist auch unsere Aufgabe, den freien Handel zu schützen – und damit auch das Leben der Menschen auf den Handelsschiffen im Roten Meer.“