Deutschlands Pflegesystem am Abgrund: Droht der Kollaps?
Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt rasant. Droht uns ein Kollaps des Pflegesystems?
Absolut. Die Situation ist dramatisch. Die alternde Gesellschaft treibt die Zahlen in die Höhe, und das System ist darauf nicht vorbereitet. Wenn wir nicht schnell handeln, steht uns ein Desaster bevor. Bis 2035 werden wir voraussichtlich 5,6 Millionen Pflegebedürftige haben – das sind 14 Prozent mehr als noch 2021. Und der Trend wird sich fortsetzen: Die Zahl wird auf über 6 Millionen ansteigen. Das System ist bereits jetzt überlastet, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich die Lage von alleine verbessert.
Warum ist das System so gefährdet?
Es gibt drei Hauptprobleme: Erstens, der massive Fachkräftemangel. Bis 2030 könnten uns 500.000 Pflegekräfte fehlen. Zweitens, die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind katastrophal. Viele Fachkräfte verlassen den Beruf oder gehen ins Ausland, weil sie überlastet und unterbezahlt sind. Drittens, die Pflegeversicherung ist chronisch unterfinanziert. Pflegeheimplätze und häusliche Pflege werden immer teurer, und viele Familien können sich das schlicht nicht leisten. Die Verantwortung lastet immer mehr auf den Schultern der Angehörigen – und die sind oft völlig überfordert.
Wie sieht die Realität für pflegende Angehörige aus?
Sie sind die heimlichen Helden dieses Systems, aber sie bezahlen einen hohen Preis. Viele sind körperlich und emotional am Ende. Sie opfern ihre Karrieren, ihre Freizeit, ihre Gesundheit. Ohne ausreichende Unterstützung brechen viele unter der Last zusammen. Burnout, Depressionen und körperliche Erkrankungen sind häufig die Folge. Und das Schlimmste: Es gibt kaum Auswege. Die Politik hat diese Gruppe jahrelang ignoriert.
Was muss getan werden, um das System zu retten?
Es braucht eine radikale Reform – und zwar sofort. Zunächst müssen wir die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Pflege verbessern, um Fachkräfte zu halten und neue zu gewinnen. Digitalisierung und technische Hilfsmittel können Entlastung bringen, aber sie allein werden das Problem nicht lösen. Wir müssen auch die Pflegeversicherung nachhaltig finanzieren und die häusliche Pflege stärken. Angehörige brauchen mehr finanzielle Unterstützung, bessere Entlastungsangebote, kostenlose Pflegehilfsmittel zum eigenen Schutz und Zugang zu Schulungen und psychologischer Hilfe.
Können Sie konkrete Maßnahmen nennen?
Natürlich. Erstens: Höhere Pflegegelder und steuerliche Vorteile für pflegende Angehörige. Zweitens: Der Ausbau von Tagespflege und Kurzzeitpflege, damit Pflege und Beruf besser vereinbar sind. Drittens: Kostenlose Pflegehilfsmittel und Pflegekurse sowie digitale Anlaufstellen, um Familien besser zu unterstützen. Und viertens: Wir müssen Nachbarschaftshilfe und generationenübergreifende Wohnformen fördern. Die Gesellschaft muss zusammenrücken, sonst wird das System kollabieren.
Was passiert, wenn wir nichts tun?
Dann steuern wir direkt in eine humanitäre und soziale Krise. Die Pflegebedürftigen werden nicht die Betreuung bekommen, die sie brauchen, und die Angehörigen werden unter der Last zusammenbrechen. Das wird nicht nur menschliches Leid verursachen, sondern auch enorme wirtschaftliche Kosten. Die Politik muss jetzt handeln – nicht morgen, nicht übermorgen, sondern jetzt. Die Zeit läuft uns davon.