Bürgergeld für Empfänger kaum besser als Hartz IV: „Klingt schöner, das war‘s“

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Seit einem Jahr ist Hartz IV Geschichte und das Bürgergeld Realität. Doch was hat sich für diejenigen geändert, die auf die staatliche Hilfe angewiesen sind?

Bremen – Es sollte ein großer Wurf werden und Hartz IV ablösen. „Das Bürgergeld ist die größte Sozialreform seit Jahrzehnten“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor einem Jahr. Doch was hat das Bürgergeld für diejenigen verändert, die auf den Hartz-IV-Nachfolger angewiesen sind?

„Man bekommt ein bisschen mehr Geld, seit es Bürgergeld ist. Aber unterm Strich ist die Kaufkraft dennoch gesunken, denke ich, wegen der Inflation“, sagt Bürgergeldbezieher Tim, der Radiosendung „buten un binnen“ von Radio Bremen. Er bezieht seit sieben Jahren staatliche Hilfe aufgrund von gesundheitlichen Problemen. „Es heißt anders, Hartz IV ist jetzt nicht so toll, Bürgergeld hört sich schöner an. Mehr hat es nicht gebracht“, resümiert er.

Bürgergeld statt Hart IV: Was sich für Bezieher staatlicher Hilfe verändert hat.
Bürgergeld statt Hartz IV: Was sich für Bezieher staatlicher Hilfen verändert hat. © Bihlmayerfotografie/Imago

Bürgergeld stieg 20204 um zwölf Prozent

Zuletzt stieg das Bürgergeld Anfang dieses Jahres um zwölf Prozent an. Für Alleinstehende stieg der Satz um 61 auf 563 Euro im Monat. Der Anstieg hatte mit der hohen Inflation im Vorjahr zu tun. Mittlerweile werden diese Erhöhungen kritisiert. Erst vor wenigen Tagen sagte Finanzminister Christian Lindner (FDP) in einem Interview, die Berechnungsmethode müsse überprüft werden, „damit die Inflation nicht überschätzt wird“.

„Also ich bin auf jeden Fall nicht reich dadurch, dass ich Bürgergeld bekomme. Es ist eine Erhöhung, die nötig war, weil die Lebenshaltungskosten hoch sind“, sagte Bürgergeldempfänger Gerome der Radiosendung. „Ich finde immer noch, Bürgergeld ist nichts anderes wie Hartz IV, bloß unter neuem Namen.“

Wegen Bürgergeld: Lohnt sich arbeiten noch?

Zuletzt wurden immer wieder Diskussionen darüber geführt, ob sich Arbeit noch lohnt. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann behauptet: Der Hartz-IV-Nachfolger öffne eine „Gerechtigkeitslücke“: Es gebe Fälle, in denen Arbeitnehmer am Monatsende weniger Geld hätten als Bürgergeldempfänger. CSU-Chef Markus Söder erklärte: „Wer arbeitet, muss erkennbar mehr bekommen als jemand, der nicht arbeitet.“

Forscher geben der Opposition teils recht bei der Kritik, dass sich ein Arbeitseinkommen für Beziehende von Leistungen nicht immer lohnt. Der Arbeitsmarktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft IW, Holger Schäfer, erläutert: „Bei großen Bedarfsgemeinschaften mit Erwerbseinkommen besteht oft ein Anspruch auf ergänzende Leistungen: Bürgergeld, Kinderzuschlag oder Wohngeld.“ In der Summe habe ein Erwerbstätiger zwar immer mehr Geld zur Verfügung als ein Bürgergeld-Empfänger, der nicht arbeitet. „Das heißt aber nicht unbedingt, dass sich arbeiten für jeden auch lohnt.“

Das könnte beispielsweise auch auf Bürgergeldbezieherin Susi zutreffen, denn: „Ich arbeite, aber ich bin alleinerziehend. Mein Verdienst ist kleiner als das, was ich brauche. Deswegen bekomme ich auch ein bisschen Bürgergeld“, sagt sie der Radiosendung von Radio Bremen.

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Bürgergeld: Sanktionen werden härter

Ein weiterer Aspekt, der sich bei der Einführung des Bürgergelds, im Vergleich zu Hartz IV verändert hat, sind die Sanktionsmöglichkeiten. Sie sind vergleichsweise moderat. 10 Prozent bei versäumten Terminen, bis zu 30 Prozent bei absprachewidrig unterlassenen Bewerbungen oder Kursteilnahmen. Das sei ein Segen und Fluch zugleich, sagt Ali, ein ehrenamtlicher Helfer in einer kirchlichen Beratungsstelle, der Radiosendung „buten un binnen“: „Schade, dass die Sanktionen schwach sind, weil dadurch nutzen das auch viele Menschen aus – also, was heißt viele Menschen: Es wird dann halt nicht mehr ernst genommen“. Das Bürgergeld sei richtig, „aber es sollte mehr darauf geachtet werden, wer sich an die Spielregeln hält.“

Tatsächlich schärfte die Bundesregierung die Ssnktionsmöglichkeiten Anfang dieses Jahres nach. Arbeitsminister Heil brachte im Januar eine gesetzliche Regelung auf den Weg, die einen kompletten Wegfall der Leistungen für bis zu zwei Monate ermöglichen soll, wenn Beziehende „zumutbare Arbeitsaufnahmen beharrlich verweigern“.

Wie hilfreich das sein wird, hinterfragen Ökonomen. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bezweifelt, dass „schwarze Schafe“ stets eindeutig auszumachen seien. So sänken mit steigendem Alter oft Chancen und Hoffnungen. „Werden durch Totalsanktionen nicht auch Menschen in prekäre Jobs hineingezogen, bei denen einfach vieles zusammenkommt?“

(mit Material der dpa)

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