Luke Mockridge - Darf man über alles lachen? Ein Philosoph gibt überraschende Antworten

Was heißt das konkret? Darf man nun Witze über Behinderte machen? 

Grundsätzlich: Klar, darf man. Und gleichzeitig ist eine sensible Angelegenheit. Es hängt stark vom Kontext und der Absicht des Witzemachers ab. In bestimmten Subkulturen sind solche Witze gängig und dienen als Mittel zur mentalen Verarbeitung und als Signal der Gruppenidentität. Allerdings sollte man sich bewusst sein, dass das Überschreiten von Gruppengrenzen zu Stressreaktionen führen kann. Konkrete Tipps finden sich im Artikel von Michael Ehlers. Je weniger die Witze abwertend sind, umso sicherer ist man.

Kulturell gesehen ist es wichtig, diese Witze, die aus der eigenen Sicht Grenzen überschreiten, dann auch durch Kommunikation und Empörung zu sanktionieren (sofern es nicht ein Initiationsritus ist). Angemessenheit ist hier wichtig. Weitergehende und übertreibende Bestrafungen könnten als Form der versuchten Tyrannei (die eigenen Werte willkürlich anderen aufzwingen wollen) angesehen werden.

Wenn ein jetzt mal imaginärer Comedian wegen eines schlechten Witzes, der nicht in die Moral anderer Person passt, direkt voll „gecancelt“ wird, obwohl der Rest des Verhaltens immer einwandfrei war, dann ist das problematisch. Insbesondere, wenn vielleicht sogar dessen Lebensunterhalt damit gefährdet ist. Denn dann wird implizit angenommen, dass dieser Witz (oder das Set an Witzen) repräsentativ für das gesamte Handeln und Denken des Comedians ist.

Oder, und das ist noch schlimmer, dass zwei Minuten Fehlverhalten hinreichend sind um ein ganzes, moralisch passendes Leben voll aufwiegen. Dies kann deswegen problematisch sein, weil es dazu führt, dass mehr Tabus geschaffen und wichtige Themen aus Angst vor Konsequenzen weniger besprochen werden. Das ist auch ein Grund, warum in Deutschland oft erwähnt wird, dass die Meinungsfreiheit nicht besteht. Juristisch ist das natürlich nicht so, juristische Meinungsfreiheit besteht.

Wenn aber die Konsequenzen für einzelne Meinungsäußerungen willkürlich groß werden, kann es sich schnell so anfühlen. Dann wird man zwar vor Gericht freigesprochen, aber die Karriere und das Leben sind trotzdem ruiniert.

Was sind die Grenzen des Humors in Bezug auf Themen wie Behinderung und Paralympics?

Bei sensiblen Themen wie Behinderung und Paralympics kann Humor sowohl provozieren als auch Vorurteile verstärken oder kulturelle Denkmuster verändern und zu kulturellem Fortschritt führen. Die Grenzen des Humors in diesem Kontext sind daher nicht fest definiert, sondern sind zuerst individuell gesetzt und werden sozial ausgehandelt und variieren in unterschiedlichen Subgruppen. 

Daher ist es wichtig zu verstehen, dass die Interpretation von Humor immer von der jeweiligen moralischen und kulturellen Perspektive abhängt. Dies führt zu einem Zirkelschluss: Wir rechtfertigen unsere moralische Perspektive auf Humor mit unserer moralischen, kulturellen Perspektive. Das Überschreiten kultureller Grenzen moralischer Natur und der Prozess der stressbasierten Empörung können als eine Verhandlung kultureller Grenzen verstanden werden.

In diesem Fall könnten die Witze dazu beitragen, eine Diskussion zu schaffen, die kulturelle Tabus auflöst. Dies könnte ein positiver Schritt hin zu einer respektvolleren Gesellschaft sein. Hoffen wir es für diesen Fall. Es wird aber nur geschehen, wenn wir als Gesellschaft nun klug damit umgehen und auf breiter Basis unser Verhalten verbessern. Nicht durch den moralischen Zeigefinger, sondern durch ein echtes Verständnis des Themas.

Letztlich liegt die Verantwortung bei jedem Einzelnen. Wer sich dafür entscheidet, riskante Witze zu machen, muss sich bewusst sein, dass diese sowohl positive als auch negative Reaktionen hervorrufen können. Es kann gut gehen und zum Umdenken anregen (siehe das Stück vom Comedian Chris Tall mit dem Titel „Darf er das?“).

In diesem Fall hat der Comedian es ausgezeichnet gemacht, mit auch viel Wertschätzung und Aufwertung für Behinderte und klarer Aussage zu seiner moralischen Haltung. Aber es kann auch schiefgehen, wie im Fall Luke Mockridge und Stressreaktionen auslösen. Hier war es meiner Meinung nach nicht gut gemacht. Daher sollte jeder sorgfältig abwägen, bevor er sich für einen bestimmten humorvollen Ansatz entscheidet. Und den Humor dann gut konstruieren. In dem Sinne hat der Profi Mockridge vielleicht versagt und wir hätten da mehr erwarten dürfen.

Wie können wir durch Bildung und Sensibilisierung eine respektvollere Gesellschaft in Bezug auf Menschen mit Behinderungen schaffen?

Die Schaffung eines respektvollen gesellschaftlichen Umgangs mit Menschen mit Behinderungen erfordert, hier denke ich sehr anders als die meisten, keine (!) verstärkte Bildung und Sensibilisierung. Aus meiner Erfahrung, die ich durch meine behinderte Schwester gewonnen habe, ist mir bewusst, dass wir in unserer Kultur zwar zu wenig über Behinderungen sprechen. Und auf vielen Ebenen empfinde ich den Umgang mit Behinderten teilweise beschämend. Zum einen auf der persönlichen Verhaltensebene, zum anderen auch auf der politischen Ebene. Letztere soll hier nicht Thema sein. Ich möchte mich konzentrieren auf das individuelle Verhalten im Kontakt mit Behinderten, und wie der besser gelingen kann. 

Die traurige Nachricht ist: Der erste Kontakt zu Behinderten ist stressbeladen für die meisten Menschen. Ein Beispiel: Noch nie hattest du echten Kontakt zu einem Behinderten. Du triffst jemanden ohne Arme. Hand geben geht nicht. Wie begrüßt du die Person nun? Es entsteht eine Unsicherheit, und die Angst etwas falsch zu machen oder sich nicht angemessen zu verhalten.

Das macht, ob man das will oder nicht, Stress. Das macht die Neurobiologie und ist ein Automatismus. Und der Stress ist auch nicht negativ, denn dahinter steckt für mich auch der Versuch einer Lösungsfindung (das neuronale Orienting-Reflex-System sucht nach Ideen für eine Lösung). Außerdem sehe ich darin das Bedürfnis, den Kontakt für den behinderten Menschen positiv zu gestalten. Beides gut.

Viele meinen es ist wichtig, das Bewusstsein zu schärfen und Diskussionen zu fördern. Das muss aber nicht sein. Im Bereich von Antidiskrimierungstrainings gibt es konkrete wissenschaftliche Belege dafür, dass diese Trainings gern zu mehr Diskriminierung führen. Gut gemeint ist also nicht immer gut gemacht.

Und: paradoxer weiser kann genau ein Tabubruch, sofern anschließend differenziert das Thema besprochen wird, dienlich sein. Bevor wir das Thema gar nicht besprechen, besprechen wir es doch lieber nach der Empörung über einige Witze. Die Witze von Luke Mockridge: Unabhängig davon, wie man sie persönlich bewertet, könnten sie dazu beitragen, kulturelle Tabus aufzulösen, wenn wir jetzt gemeinsam klug damit umgehen.

Klar, wer solche Witze macht, muss die Stressreaktion der anderen in Kauf nehmen - und das ist auch okay. Manchmal gibt es doch Gründe dafür, sie dennoch zu machen. Ob es was gebracht hat, das beeinflussen wir mit unserem Verhalten. Hoffen wir alle, dass wir nun klug mit der Diskussion umgehen.

Wie kann ich mich also Verhalten? Was kann jeder einzelne tun? 

Nehmen wir noch mal das Beispiel der Begrüßung. Dienlich ist fast immer, wenn wir in diesen Unsicherheitssituationen offen umgehen und im Zweifel verbalisieren: „Hey, schön dich kennenzulernen. Wie möchtest du am besten begrüßt werden?“ Deine Unsicherheit ist etwas, was viele Menschen mit Behinderungen gut kennen (und den Text, dass es ganz viele Unterschiedliche gibt und auch die persönliche Vorliebe haben, spare ich mir hier).

Suche den Kontakt mit Behinderten, spreche mit ihnen. Was wünschen die sich? Lerne sie besser kennen. Und es wird sich intuitiv eine persönliche Bindung und damit eine Landkarte für den guten Umgang miteinander ergeben. Also kurz, und das gilt für alle Menschen: Lasst uns weniger übereinander sprechen und mehr miteinander.

Je mehr echte, menschliche und persönliche Kontakte und damit Beziehungen zu Menschen mit Behinderungen entstehen, umso besser gelingt gegenseitiges Verständnis und ein wertschätzender Umgang. Und der wird immer besser, je öfter wir einander als Menschen begegnen. Und den wünsche ich mir von Herzen.