„Eine Dragqueen bin ich nicht“: Deutschlands ältester Travestie-Künstler (72) lebt in Nürnberg

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Karl-Heinz Henkes Beruf führte ihn um die ganze Welt. Seine Identität wechselte er dabei mehr als einmal. Warum Gendern trotzdem nichts für ihn ist und er noch lange nicht ans Aufhören denkt.

Nürnberg – Das Erste, was auffällt, wenn Karl-Heinz Henke am Telefon zu sprechen beginnt, ist sein starker Hamburger Dialekt. Eine Stimme wie die eines Hafenarbeiters, kernig, herb. Den nordischen Zungenschlag hat sich der 72-Jährige bewahrt, auch wenn er inzwischen längst nicht mehr in der Hansestadt lebt.

Wenn Karl-Heinz Henke am Telefon zu erzählen beginnt, wird der Zuhörer in eine Welt katapultiert, die schriller nicht sein könnte. Zwischen Bauern, die ihm Maßkrüge hinterherwarfen und schillernden Weltstars wie Marcel André und Rita Jane, großen Bühnenshows und abgedunkelten Cabaret-Räumen ist der gebürtige Kölner zu dem Menschen geworden, den er heute verkörpert: die Kunstfigur France Delon, der wohl älteste Travestiekünstler Deutschlands. Dabei, so sagt er es fast rechtfertigend, habe er das alles so gar nicht geplant.

Seit 55 Jahren im Show-Geschäft: Nürnberger Künstler will nicht „Dragqueen“ genannt werden

Das Leben, das zu seiner „Bestimmung“ geworden ist, wie Henke es sagt, hatte viele Wendungen. Von Köln über Hamburg hat es ihn letztlich nach Nürnberg verschlagen, wo der Künstler auch heute noch lebt. Bei all den Erinnerungen kommt er kurz ins Grübeln. Ja, doch – seit 55 Jahren stehe er bereits auf der Bühne. Zunächst als Tänzer und Sänger, später als Damenimitator, erst dann kam die Travestie.

Seit mehr als 50 Jahren steht Karl-Heinz Henke als Travestiekünstler auf den Bühnen der Welt. Als „France Delon“ hat er Höhen und Tiefen erlebt.
Seit mehr als 50 Jahren steht Karl-Heinz Henke als Travestiekünstler auf den Bühnen der Welt. Als „France Delon“ hat er Höhen und Tiefen erlebt. © Instagram/Diva France Delon/Canva Collage

Eine „Dragqueen“ – so möchte Henke nicht genannt werden, denn das sei er nicht. Die machten ihm zu wenig Show und stattdessen zu viel Drama. „Damenimitator“, das sei er. Wenn die Leute ihn danach fragen, erkläre er es ganz einfach: „Das ist ein Mann, der in Frauenkleidern auftritt. Erst später kam dann die Bezeichnung Travestie dazu“, sagt Henke. Doch oft verwirre das die Menschen dann gänzlich. Mit Transsexualität habe das nämlich nichts zu tun, bekräftigt er. „Wir verkleiden uns nur und bleiben so, wie wir sind.“

Die Verwandlung: Aus dem Tänzer und Sänger Karl-Heinz Henke (links) wurde im Laufe der Zeit die Kunstfigur France Delon (rechts).
Die Verwandlung: Aus dem Tänzer und Sänger Karl-Heinz Henke (links) wurde im Laufe der Zeit die Kunstfigur France Delon (rechts). © Instagram/Diva France Delon/Canva Collage

France Delon: Lampenfieber sollte man sich bewahren

In seiner Karriere trat Henke bereits überall auf, etwa in New York im Club ‚Monster‘ oder im Cabaret ‚Paradies‘ in Nürnberg. Mit jeder Show sei er sicherer geworden. Dabei „hab ich eigentlich gar kein Programm“, sagt Henke und lacht. „Ich habe einen roten Faden. Aber sobald ich die Bühne betrete, weiß ich nicht, was kommt.“ Es ergebe sich immer aus der Situation, mit den Menschen. „Der Gast muss immer mit dir lachen können, das ist das Wichtigste.“ Und, dass das Lampenfieber vor Auftritten nicht erlischt. Denn „ohne das, sollte man die Bühne gar nicht betreten. Dann spürt man nichts mehr.“

Auch als Blondine unterwegs: France Delon alias Karl-Heinz Henke bei einem seiner früheren Auftritte als Damenimitator.
Auch als Blondine unterwegs: France Delon alias Karl-Heinz Henke bei einem seiner früheren Auftritte als Damenimitator. © Instagram/Diva France Delon/Canva Collage

Zwischen Weltstars und wütenden Bauern

Was ihn die Zeit im Show-Business gelehrt hat? „Entweder DU gehst mit der Zeit oder Du GEHST mit der Zeit.“ So einfach sei das. Seine Karriere habe zur richtigen Zeit stattgefunden, sagt Henke. Er habe von den großen Stars der 20er Jahre lernen dürfen – mit Ricky Renée oder Rita Jane stand er auf der Bühne, erzählt er. Dass es Travestie auch schon vor dem Krieg gab, vergesse man oft. „Erst durch Adolf ist das dann verloren gegangen.“

Entweder DU gehst mit der Zeit oder du GEHST mit der Zeit.

Zwischen all den schimmernden Erzählungen drängen auch dunklere Erinnerungen ans Licht. Ob er auch negative Erfahrungen gemacht hat? „Aber na klar“, sagt der 72-jährige Show-Man. „Wobei, in den Städten war das okay. Ich bin im Show-Business groß geworden. Ich habe mich nie irgendwo eingeschränkt gefühlt.“ Und diskriminiert? „Null bis heute nicht“, sagt Henke. Und Angst? Nie. Nicht einmal dann, als bayerische Bauern ihn mit Maßkrügen bewarfen.

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Negative Erlebnisse: „Wir haben es überlebt“

„Wir waren damals auf Tournee in der Oberpfalz in Cham“, die Bauern seien vom Feld gekommen. Die Gummistiefel noch schwer vom Matsch seien sie von ihren Traktoren gestiegen. „Die haben Maßkrüge nach uns geworfen. Die älteren Frauen haben die Kinder weggezogen und uns ins Kreuz geschlagen“, erzählt Henke ohne den Hauch von Bitterkeit in seiner Stimme. „Ja, das war nicht so lustig. Aber wir haben es überlebt.“ Heute kann der 72-Jährige darüber schmunzeln.

France Delon alias Karl-Heinz Henke bei einem seiner früheren Auftritte in Österreich als rothaariger Vamp.
France Delon alias Karl-Heinz Henke bei einem seiner früheren Auftritte in Österreich als rothaariger Vamp. © Instagram/Diva France Delon/Canva Collage

Eine Situation, die unvorstellbar ist und doch real war. Viele würden solche Erlebnisse auch heute noch erfahren, bekräftigt Henke. Die Dinge seien nicht immer so, wie sie einem selbst begegnen. Ablehnung und Hürden gebe es nach wie vor. Von jüngeren Kollegen wisse er, dass, je nachdem wie und wo sie leben, vieles heute schwierig geworden ist. „Für mich ist es das nicht. Doch das heißt nicht, dass es das nicht gibt.“

Statt Gendern „einfach Mensch sein“

Henke erzählt noch eine ganze Weile über die Unterschiede zu der jüngeren Generation. Vieles verstehe er nicht. Die ganze Gender-Debatte finde er „furchtbar“. Sie verfehle für ihn das, worum es gehe: „einfach Mensch sein“. Von Gendern hält Henke daher nichts – seiner Meinung nach ist diese Sprache viel zu kleinteilig und die Menschen versteckten sich dahinter wie hinter Masken. Seiner Meinung nach sollte man einfach „miteinander reden“. Doch das finde aktuell vielerorts nicht mehr statt.

„Wir haben früher ein Schubladen-Denken gehabt. Jetzt gehen wir wieder zurück – wir öffnen wieder Schubladen.“ Auch wenn dies in einem anderen Kontext geschehe. Ernste Themen, wie diese, nimmt Henke gern mit auf in sein Programm. Menschen auf den Rängen zum Lachen, aber auch zum Nachdenken zu bringen – das sei ein Grund, weshalb er auch mit 72 Jahren noch längst nicht ans Aufhören denke. „Solange Menschen da sind, die mich sehen wollen – warum sollte ich aufhören?“

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