„Wir sprechen hier von Menschen“ - Wohin mit Geflüchteten? Bürgermeister alarmiert: „Muss sich schnell was ändern"
Ende Januar hatte der Gemeinderat von Aidlingen (Baden-Württemberg) drei Standortvorschläge für die möglichst dezentrale Unterbringung von rund 80 Geflüchteten in Wohncontainern gemacht. Alle drei sind beim Landratsamt durchgefallen.
Nun muss die Gemeinde unter Hochdruck drei neue Standorte benennen. Aidlingens Bürgermeister Ekkehard Fauth spricht über die Schwierigkeiten bei der Suche und den Umgang mit diesem sensiblen Thema.
Herr Fauth, die zähe Standortsuche sorgte zuletzt für Unmut und Unverständnis im Gemeinderat. Können Sie diese Reaktion nachvollziehen?
Fauth: Der Auswahl der drei Standorte in der Januarsitzung des Gemeinderats ist ein Suchlauf über das gesamte Gemeindegebiet vorangegangen. Man hat sich sehr viele Gedanken gemacht, wo Flächen zur Verfügung stehen, auf der Wohncontainer aufgebaut werden könnten. Um die Auswahl so transparent und für Außenstehende nachvollziehbar zu machen, wurde eine sogenannte Matrix-Kommission eingesetzt, die aus Mitarbeitern der Gemeindeverwaltung und aus Mitgliedern des Gemeinderats bestand.
Diese Gruppe hat dann nach mehreren Sitzungen und langen Diskussionen eine Entscheidungsmatrix verabschiedet, die man dann auch zur Entscheidungsfindung in der Gemeinderatssitzung eingesetzt hat. Ich bin überzeugt, dass sich unsere Gemeinderäte nach ihrem Votum sicher waren, die richtigen Standorte bestimmt zu haben. Wenn diese Standorte dann einer ersten Prüfung durch das Landratsamt nicht standhalten, ist das für die Entscheidungsträger natürlich zunächst mal frustrierend. Allerdings sind die Bedenken, die das Landratsamt geltend macht, für mich nachvollziehbar.
Zum Teil gab es die Aufforderung an die Verwaltung, sich über die Landkreisentscheidung hinwegzusetzen, weil diese als bürokratisch und kleinlich empfunden wurden. Wäre das aus Ihrer Sicht ein gangbarer Weg gewesen?
Ergibt keinen Sinn, sich über übergeordnete Behörde hinwegzusetzen
Fauth: Immer wenn eine Entscheidung aus dem Gemeinderat einer Prüfung durch eine übergeordnete Behörde nicht Stand hält, ist natürlich die Enttäuschung groß. Kleinlich und bürokratisch sind dann immer die häufig verwendeten Worte, die man in solchen Situationen zu hören bekommt.
Wenn man aber die Bedenken des Landratsamtes genau anschaut, kommt schnell die Erkenntnis, dass man spätestens bei einer gerichtlichen Prüfung – und mit Widersprüchen und Klagen muss man rechnen – auf die Nase gefallen wäre. Deshalb ergibt es für mich an dieser Stelle keinen Sinn, sich über berechtigte Bedenken, die eine übergeordnete Behörde ausspricht, hinwegzusetzen.
Am Rande der Sitzung war aus den Zuhörerreihen eine grundsätzliche Ablehnung für die Aufnahme weiterer Geflüchteter herauszuhören. Zur Not müsse man gemeinsam mit anderen Gemeinden gegen die Zuweisung klagen, lautete ein dort geäußerter Vorschlag. Wie bewerten Sie solche Äußerungen und wie nehmen Sie selbst die Stimmungslage im Ort wahr?
Fauth: Die Aufnahme von Geflüchteten ist eine Pflichtaufgabe, die die Kommunen derzeit erfüllen müssen. Man muss sich aber immer vor Augen halten, dass wir dabei von Menschen sprechen. Wie unmenschlich die Welt sein kann, erleben wir derzeit im Gaza-Gebiet. In unserer Gemeinde waren wir bislang immer in der guten Lage, dass sich viele Menschen in unserem Asylkreis ehrenamtlich engagiert haben.
Gemeinsam mit den Personen, die in unserer Gemeindeverwaltung für die Aufnahme, Unterbringung und auch Betreuung von Geflüchteten zuständig sind, leisten wir das Menschenmögliche, um all die Aufgaben zu meistern, die sich uns in diesem Zusammenhang stellen. Dafür bin ich sehr dankbar und für mich ist Menschlichkeit, nicht nur in der Flüchtlingsfrage, auch immer eine der obersten Maximen meines Handelns.
,„Weiter so“? Wird Zustände bescheren, die wir nicht haben möchten"
Dennoch regt sich offenbar auch Widerstand in der Bevölkerung.
Fauth: Man muss eben auch klar feststellen, dass wir – und da spreche ich sicherlich auch im Namen der gesamten kommunalen Familie im Landkreis Böblingen – mit unseren Kapazitäten langsam aber sicher am Ende der Fahnenstange angelangt sind und uns ein „Weiter so“ Zustände bescheren wird, die wir wahrlich nicht haben möchten.
Deshalb muss sich meines Erachtens hier sehr schnell etwas ändern. Ich kann auch nicht ausschließen, dass sich über kurz oder lang vielleicht kommunaler Widerstand gegen die derzeitige Zuweisungspraxis formieren wird, denn die Nöte der Kommunen sind Bund und Land bekannt und werden von unseren Kommunalen Landesverbänden, vom Gemeinde- und Städtetag, zu allen möglichen Gelegenheiten gebetsmühlenhaft vorgetragen.
Von Eddie Langner