Countdown für Putin: Wichtiges Abkommen mit Europa hängt am seidenen Faden

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Ein Vertrag mit der Ukraine hat Russland bislang ermöglicht, Gas nach Europa zu liefern. Doch was passiert, wenn das Abkommen ausläuft? Für Putin stünde viel auf dem Spiel.

Baku – Angesichts des sich fortsetzenden Ukraine-Kriegs, wird ein Szenario immer häufiger diskutiert: Europa künftig unabhängig von russischem Gas zu machen. Russlands Präsident Wladimir Putin hat natürlich gerade jetzt Interesse, weiterhin Gas zu exportieren. Denn für Russlands Wirtschaft werden die Verluste im Gas-Geschäft aufgrund der Sanktionen spürbarer. Entscheidend wird jetzt sein, wie Gespräche für ein wichtiges Abkommen mit der Ukraine, was Russland ermöglicht hatte, Gas über die Ukraine durchzuleiten, ausgehen werden.

Putin in Sorge? Gas-Vertrag zwischen Russland und Ukraine läuft aus – Aserbaidschan im Fokus

Der Transit von russischem Erdgas durch die Ukraine lief trotz des russischen Überfalls auf die Ukraine weiter. Empfänger sind vor allem Länder ohne Zugang zum Meer, die nicht auf Flüssigerdgas (LNG) umstellen können. Ende 2024 soll der Transitvertrag auslaufen und die Ukraine hat bislang kein Interesse gezeigt, das Abkommen zu verlängern oder zu erneuern.

Doch seit geraumer Zeit gibt es offenbar Gespräche, Gaslieferungen über die Ukraine zu ermöglichen – wenn auch unter veränderten Bedingungen. Wie Bloomberg am 20. Juli 2024 berichtet, erklärte der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev, dass die Ukraine und die EU sein Land bei der Versorgung von Gas um Hilfe gebeten hätten.

Gespräche mit den Behörden der Ukraine und der EU sowie mit Russland würden fortgesetzt, zitierte Bloomberg Aliyev auf einer Konferenz am Samstag (20. Juli 2024). „Wir werden helfen, wenn wir können“, sagte er. „Ich denke, dass es möglich ist, dieses Abkommen zu verlängern.“

Der russische Präsident Wladimir Putin hört dem Leiter des russischen Föderalen Zolldienstes Pikalev während ihres Treffens in der Novo-Ogaryovo Staatsresidenz außerhalb von Moskau, Russland, zu.
Putin sucht Abnehmer für russisches Gas. Ein wichtiges Abkommen hat bislang ermöglicht, Gas über die Ukraine nach Europa zu liefern. © Vyacheslav Prokofyev/dpa

Abkommen zwischen Russland und Ukraine läuft aus – kann Aserbaidschan als Gas-Versorger einspringen?

Zur Diskussion steht der Vorschlag, russisches Gas durch Gas aus Aserbaidschan zu ersetzen. Bereits im Juni berichtete Politico, dass europäische Vertreter laut Aussage eines hohen Beamten aus Aserbaidschan auf das Land mit dem Vorstoß zugekommen sind. Aliyev erklärte Bloomberg zufolge, dass die Gasproduktion seines Landes durch neue und bestehende Projekte im Kaspischen Meer steigen werde.

Energieexperten sind der Meinung, dass Aserbaidschan kurzfristig nicht über genügend Gas verfügt, um die Lieferungen nach Europa weiter zu erhöhen. „Die Gasproduktion Aserbaidschans ist nicht sehr groß. Das Land hat einen großen Bedarf an inländischem Gas und exportiert bereits Gas nach Georgien, in die Türkei und nach Europa“, sagte Aura Sabadus, ein nicht ansässige Senior Fellow am Center for European Policy Analysis (CEPA), gegenüber der Deutschen Welle.

Künftig Gas aus Aserbaidschan statt aus Russland? Gespräche laufen

Wenn es nach Präsident Wolodymyr Selenskyj geht, wäre der Umstieg auf Gas aus Aserbaidschan zumindest ein Weg, Europa weiterhin über die Ukraine mit Gas zu versorgen. Die Ukraine wolle ihre Rolle als Transitland aufrechterhalten und ihre westlichen Nachbarn bei der Gewährleistung der Energiesicherheit unterstützen, so der Präsident Anfang Juli 2024 gegenüber Bloomberg TV. Eine Vereinbarung, russisches Gas durch aserbaidschanische Lieferungen zu ersetzen, sei „einer der Vorschläge“, die derzeit diskutiert würden, bestätigte der Präsident. „Es sind die Kabinettsmitglieder, die sich jetzt damit befassen.“

Die Ukraine hatte im Vorfeld angekündigt, ab 2025 kein russisches Erdgas mehr Richtung Westen durchzuleiten. Das sagte der Chef des staatlichen ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz, Olexij Tschernyschow, in einem Interview mit dem US-Auslandssender Radio Liberty im Jahr 2023. Die Ukraine würde auch vor Ende des Vertrags schon aussteigen, zumal Gazprom für den Transit nicht wie vereinbart zahle, sagte Tschernyschow.

Folgen für Putin und Russlands Wirtschaft: Gazprom müsste mit Verlusten rechnen

Sollte Aserbaidschan tatsächlich als Gaslieferant einspringen, könnte dies für Russland schwere Folgen haben. Der russische Energieriese Gazprom würde die Lieferungen über die Ukraine wahrscheinlich am liebsten aufrechterhalten. Laut dem Thinktank Carnegie Endowment for International Peace könnte Russland besonders Schäden finanzieller Art erleiden, wenn es sein Gas nicht mehr über die Ukraine transportieren könnte.

Nach Angaben von Gazprom-Finanzvorstand Famil Sadygov belaufen sich die Einnahmen des staatlichen Gasriesen aus dem Gasverkauf im In- und Ausland im Jahr 2023 auf rund 48 Milliarden US-Dollar, schreibt der Thinktank. Die Denkfabrik schätzt, dass jährlich etwa 15 Milliarden Kubikmeter Gas durch die Transgas-Pipeline fließen. Ein Lieferstopp über die Ukraine würde mit einem Verlust von etwa sieben bis acht Milliarden Dollar pro Jahr an Exporteinnahmen einhergehen. Dadurch würde Gazprom 15 Prozent seiner Einnahmen einbüßen.

Putin sucht nach Abnehmern für russisches Gas – mit Erfolg?

Putins Suche nach Abnehmern für russisches Gas hat sich in den letzten Monaten intensiviert. Versuche, mit China einen Bau der einer Pipeline (Power of Siberia 2) auszuhandeln, gerieten zuletzt ins Stocken, weil unter anderem Vorstellungen für den Verkaufspreis auseinandergingen. Es ist fraglich, ob der Bau diese Pipeline überhaupt Gazproms Verluste im Falle des ablaufenden Gas-Transit-Abkommens mit der Ukraine kompensieren könnte.

Noch sind einige Länder in Europa wie Österreich, die Slowakei, Ungarn und Tschechien stark von Gas-Lieferungen aus Russland abhängig. Laut einer DIW-Studie könnte es allerdings der EU langfristig gelingen, auch ohne russisches Gas auszukommen. Selbst wenn die Nachfrage in der Europäischen Union bis zum Jahr 2030 hoch bliebe, wäre ein vollständiger Verzicht auf Erdgas aus Russland möglich, heißt es in der Studie. (bohy)

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