Georgien verabschiedet umstrittenes Gesetz: Wie ausgeprägt ist Putins Einfluss auf das Land?

  1. Startseite
  2. Politik

KommentareDrucken

Die Befürchtung wächst, dass Georgien durch die Verabschiedung des sogenannten „Agentengesetzes“ in Zukunft stärker auf einen prorussischen Kurs setzen könnte.

Tiflis – Am 1. Mai wurde im georgischen Parlament in zweiter Lesung ein Gesetz verabschiedet. Das Gesetz hat zur Folge, dass sich die Organisationen im Land, die ihr Geld zu zwanzig Prozent aus ausländischen Quellen beziehen, behördlich als „die Interessen ausländischer Mächte verfolgend“ registrieren lassen müssen. Dem Gesetz als Vorlage dient ein Gesetz in Russland, mit dem die dortige Regierung gegen Presse und Nichtregierungsorganisationen vorgeht.

Die dritte Lesung des Gesetzes steht noch aus. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ plant jedoch bereits, dass das Gesetz Mitte Mai 2024 in Kraft treten soll. Während Georgiens Präsidentin, Salome Surabischwili, zwar ihr Veto gegen das Gesetz verkündet hat, kann die Regierungspartei „Georgischer Traum“ sie mit seiner Mehrheit im Parlament überstimmen.

Was genau hat das Gesetz mit russischer Einflussnahme im Südkaukasus zu tun?

Laut der Analystin Tinatin Japaridze führt das Gesetz in jedem Fall dazu, dass Georgien geopolitisch näher an Moskau und weiter weg von als politisch westlich identifizierten Staaten rückt. Unter Präsident Wladimir Putin übt Russland bereits Kontrolle über zwei abtrünnige georgische Gebiete aus: Abchasien und Südossetien.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb in einer Stellungnahme nach der zweiten Lesung des Gesetzes warnend: „Ich verfolge die Lage im Land mit großer Besorgnis und verurteile die Gewalt auf den Straßen von Tiflis. Georgien steht an einem Scheideweg. Es sollte auf der Straße nach Europa Kurs halten“, schrieb sie laut FAZ in einer Stellungnahme. Grundsätzlich befürworten allerdings ungefähr 80 Prozent der Menschen in Georgien der Moscow Times zufolge einen EU-Beitritt ihres Landes.

Eine Demonstrantin in Rom, die Anfang Mai 2024 gegen die Verabschiedung des sogenannten „Agentengesetzes“ in Georgien demonstriert. Sie hält ein Schild hoch, auf dem steht: „No to Russia“.
Das Schild spricht eine eindeutige Sprache: Eine Demonstrantin aus einer selbstorganisierten Gruppe georgischer Studierender Anfang Mai 2024, anlässlich der orthodoxen Osterfeier in Rom. © Imago/Zuma Wire

Wird der Einfluss Russlands in Georgien überschätzt?

Der Politik-Analyst Archil Sikharulidze vertritt hingegen die Ansicht, dass die Rolle Russlands in der aktuellen Gemengelage rund um Georgien überschätzt werden könnte. „Irgendwie stecken wir in diesem Paradigma des Westens [und] Russlands fest und verschließen die Augen vor der Tatsache, dass viele türkische, iranische, aserbaidschanische, chinesische und arabische Agenten hier arbeiten und verschiedene kulturelle und nicht-kulturelle Aktivitäten finanzieren“, sagte er gegenüber der Moscow Times.

Gleichwohl sei es in der Vergangenheit natürlich auch nicht so gewesen, „dass Russland ein Fax nach Tiflis schickt und sagt: ‚Wir möchten, dass ihr dies ins Georgische übersetzt und dann verabschiedet‘“, fügte Japaridze hinzu, obwohl viele das Gesetz als „russisches Gesetz“ bezeichnen. Der Politikwissenschaftler Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sieht trotzdem sehr ausgeprägte Parallelen zu Russland und merkt an, dass das Gesetz ein Anfang sein könnte, die unabhängige Zivilgesellschaft „abzuwickeln“. 

Verabschiedung des Gesetzes befeuert Ängste der Georgier vor den anstehenden Wahlen im Oktober

In jedem Fall sei die Sorge der rund vier Millionen Menschen in Georgien groß, meinte Alex Scrivener im Gespräch mit der Moscow Times. Der Leiter des Instituts für demokratische Sicherheit in Tiflis sprach von der Furcht vor einem Szenario wie in Kasachstan oder Weißrussland.

Gemeint ist damit, dass, wenn die anstehenden Wahlen im Oktober von der Regierungspartei nicht auf freie oder faire Art gewonnen werden, regierungsfeindliche Proteste wie in Kasachstan 2022 mithilfe von Russland niedergeschlagen werden könnten. Die Sorge, ihre Unabhängigkeit zu verlieren, äußern sich auch in den großen Demonstrationen in der Hauptstadt.

Was hat die Regierungspartei in Georgien von der Verabschiedung des Gesetzes?

Die Regierungspartei in Georgien scheint zwar noch um eine Ausbalancierung der Beziehungen zwischen Georgien, Russland und dem Westen bemüht. Viele georgische Bürgerinnen und Bürger befürchten allerdings laut Moscow Times, dass ein russischer Einmarsch, wie in der Ukraine, zum gesellschaftspolitischen Drohmittel werden könnte.

Scrivener sieht den Nutzen der Verabschiedung des Gesetzes für die Regierungspartei vor allem strategisch begründet: „Pro-westlich zu sein, hat ihnen in den vergangenen zehn Jahren geholfen, an der Macht zu bleiben. Und wenn sie jetzt das Gegenteil tun, hilft ihnen das, an der Macht zu bleiben. Das ist reiner Pragmatismus, zumindest denken sie das.“

Der erste Versuch, das Gesetz in Georgien auf den Weg zu bringen, scheiterte im vergangenen Jahr

Für die Regierungspartei gehe es darum, „eine Art permanenten, halb-demokratischen, autoritären Einparteienstaat zu stützen“ und sich eine Machtposition für die Wahlen im Oktober zu sichern. Mit dem Gesetz würde es Nichtregierungsorganisationen und den Medien in Georgien schwerer fallen, Mängel der Regierung aufzudecken. Das könnte eine mögliche Wiederwahl für die Partei erleichtern.

Gleichwohl hatte die Regierungspartei bereits im vergangenen Jahr einen Versuch gestartet, ein ähnliches Gesetz durch das Parlament zu bringen, es aber auch aufgrund von Massendemonstrationen gegen die Regierung wieder verworfen. Dennoch war damals im Westen befürchtet worden, dass es in Georgien zu einem demokratischen Rückschritt kommen werde.

Wie groß ist der Einfluss des Parteigründers Iwanischwili auf den „Georgischen Traum“?

Ein möglicher Grund für die jetzige innerparteiliche Ausrichtung könnte auch mit der Rückkehr des Parteigründers Bidzina Ivanischwili als Ehrenvorsitzender der Regierungspartei zusammenhängen. In einer seiner seltenen öffentlichen Reden, ließ der 68-Jährige verlautbaren, dass westliche Regierungen sich, beispielsweise durch die Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen im Land, in die inneren Angelegenheiten Georgiens einmischen würden. Manche Beobachtende halten allerdings auch seinen Einfluss in der Partei für überschätzt. (soru)

Auch interessant

Kommentare