„Jetzt klingt alles nach Truppenübungsplatz“: SPD fremdelt plötzlich mit Umfrage-Überflieger Pistorius

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Streiten sich um die Ausrichtung der Verteidigungspolitik der SPD: Fraktionschef Rolf Mützenich und Verteidigungsminister Boris Pistorius. © Britta Pedersen/Bernd von Jutrczenka/dpa/Montage

Kriegsbereit gegen Putin: Mit Klartext-Ansage bringt Boris Pistorius die Bundeswehr auf Vordermann. Doch sein harsches Auftreten sorgt in der SPD für Streit.

Berlin – Neue Waffen und Ausrüstung, Aufstockung von Nato-Verbänden und ganz viel Kriegsrhetorik: Nach einem jahrelangen Sparkurs will Boris Pistorius (SPD) die Bundeswehr wieder zu einem wahren Verteidigungsbollwerk machen. Im Volk genießt der Minister für sein Vorgehen viel Unterstützung, doch seine Partei stellt sich zunehmend quer – trotz Ukraine-Krieg. Vor allem die Parteilinke um Rolf Mützenich und Ralf Stegner sammelt die Truppen, um den Umfrageliebling auf einen neuen Kurs zu zwingen. Kann Pistorius den Widerstand brechen?

Wehrpflicht in Deutschland: Pistorius streitet mit SPD um den Vorschlag

Zumindest scheut Boris Pistorius (SPD) die innerparteiliche Auseinandersetzung nicht. Aktuell entzündet sich der Streit vor allem an seinem Vorschlag, eine „Wehrpflicht light“ in Deutschland zu aktivieren. Die Idee: In Schweden werden alle jungen Frauen und Männer gemustert, aber am Ende muss nur ein ausgewählter Teil von ihnen tatsächlich Grundwehrdienst leisten. Ein Vorgehen, dass sich Pistorius auch in Deutschland vorstellen kann.

Doch bei prominenten Sozialdemokraten stößt das auf Kritik. Unter anderem SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wies die Forderung seines Ministers empört zurück. Er halte das für verfassungsrechtlich sehr fragwürdig, sage Kühnert der Rheinischen Post. Doch auch vom FDP-Koalitionspartner kam am Wochenende viel Gegenwind.

Doch das stört Pistorius nicht. „Meine Aufgabe als Verteidigungsminister ist, alle denkbaren Modelle auf ihre Machbarkeit für Deutschland zu überprüfen, damit ich verschiedene Handlungsoptionen habe, die ich dann einer politischen Mehrheitsbildung zuführen kann und muss“, sagte Pistorius dem TV-Sender Welt. Das schwedische Modell sei kein Modell, was junge Männer oder Frauen verpflichten würde, zur Bundeswehr zu gehen, betonte er. „Das scheinen einige missverstanden zu haben.“

„Kriegstüchtig“: Rhetorik von Pistorius stößt in Partei auf Unverstädnis

Nur ein Sturm im Wasserglas? Wohl kaum. Denn die Debatte um die Wehrpflicht für die Bundeswehr ist nur eines von vielen Themen, die zwischen dem Chef des Verteidigungsressorts und seiner Partei aktuell für Misstöne sorgt. Nach außen tritt der Mann aus Niedersachsen forsch auf. Nachdem Russlands Überfall auf die Ukraine die Welt geschockt hatte und die Bundeswehr einräumen musste, dass man im Falle eines Angriffs „blank dastehe“, pumpt die Bundesregierung 100 Milliarden Euro an Sondervermögen in die Truppe. Und Pistorius scheint sich tatkräftig ans Werk zu machen, verspricht die Beschaffung von Panzern, Fregatten und Munition im Minutentakt, taucht ständig bei der Truppe auf und wird nicht müde zu betonen, dass Deutschland wieder „kriegstüchtig“ werden muss.

Bei der Parteilinken löst das Schnappatmung aus. „Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass in Deutschland mehr über Krieg gesprochen wird als darüber, wie er beendet wird“, zitierte der Tagesspiegel jetzt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der sein Leben lang für einen Friedenskurs seiner Partei eingetreten ist. „Warum Diplomatie zwischenzeitlich ein Fremdwort gewesen ist, habe ich nie verstanden“, fügte er hinzu und hielt dabei auch Unterstützung von SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner. Er wundere sich sehr, wie groß die Kriegsbegeisterung in Deutschland mittlerweile in vielen Parteien sei, auch in der SPD, sagte er dem Berliner Blatt. „Früher organisierten sie Ostermärsche. Jetzt klingt alles nach Truppenübungsplatz.“

Frieden statt Krieg: Parteilinke will anderen Kurs als Pistorius

Hinter der Auseinandersetzung steckt ein jahrzehntealter Konflikt. Angespornt durch das Nein von Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Irak-Krieg 2005 setzte die SPD viele Jahre eher auf einen pro-russischen Kurs. Insbesondere der Parteilinken gefiel das, sodass die programmatische Ausrichtung auch eher auf eine linke Friedenspartei getrimmt war. Doch mit Putins Überfall bröckelten erste Glaubensgrundsätze, spätestens der Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 brachten sie dann komplett zum Einsturz.

Ich vertrete keine Minderheitenmeinung.

Politiker wie Mützenich gerieten zunehmend in die Defensive. Mehr Geld für die Bundeswehr, Sanktionen gegen Russland – so lautete plötzlich die Devise. Doch zu einer kompletten inhaltlichen Kehrtwende konnte sich die Partei unter der Führung von Saskia Esken und Lars Klingbeil bislang auch nicht durchringen. Und je länger das Blutvergießen an der Ukraine-Front dauert und die internationale Waffenhilfe in vielen Ländern zu schwinden beginnt, setzen sich auch in der SPD wieder stärker einige mahnende Stimmen der Friedenspolitiker durch. Er sei sich sicher, dass er „keine Minderheitenmeinung“ vertrete, sagte Stegner jetzt, „weder in der SPD noch in der Bevölkerung“. 

Zu beobachten war dies bereits beim vergangenen Parteitag im Dezember. Eiskalt ließen die Delegierten den bisherigen Außenpolitikexperten Michael Roth bei der Vorstandswahl durchfallen. Roth galt bislang immer als Verfechter eines harten Kurses. Doch seine Positionen zum Ukraine-Krieg und seine ständigen Forderungen nach mehr Waffen für die Ukraine würden nicht zum Kurs der Partei passen, verriet ein hochrangiges Parteimitglied dem Berliner Tagesspiegel. Nachdem Roth bereits im ersten Wahlgang durchgefallen war, trat er enttäuscht nicht mehr an.

Reform der Bundeswehr spült Pistorius in Umfrage nach vorn

Doch Pistorius hat noch ein Pfund im Rücken. In den ersten Monaten seiner Amtszeit stieg er umgehend zum beliebtesten Politiker Deutschlands auf. Dr. Joachim Weber, Experte für Sicherheitspolitik an der Universität Bonn, verfolgt Pistorius‘ Weg von Anfang an und hat eine Erklärung für den Höhenflug des Politikers. „Der Mann redet Klartext, meint, was er sagt, und vor allem tut er auch sehr häufig, was er sagt“, lobt der Sicherheitsexperte den Verteidigungsminister gegenüber hna.de von IPPEN.MEDIA. „Das ist ein deutliches Kontrastprogramm zu dem, was man von vielen anderen Politikern regelmäßig geboten bekommt.“

Laut einer von ntv veröffentlichten Forsa-Umfrage waren im Herbst rund 63 Prozent der Deutschen mit ihrem Verteidigungsminister jedenfalls zufrieden. Die Zustimmung zog sich dabei sogar quer durch alle Parteien. Auffällig war nur damals schon: Unter Anhängern der Union, der FDP und Grünen war er beliebter als bei den eigenen Leuten. Das wird sich in den Monaten wohl jetzt nicht geändert haben. (jeki)

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