Schwimmkurs für Frauen mit Migrationshintergrund in Kaufering: das Trauma überwinden
Kaufering - Ein Schwimmkurs für Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund in Kaufering gewinnt den Oberbayerischen Integrationspreis 2023 – wie Ehsan Al Amin dadurch ihr Trauma überwinden konnte.
„Schaufeln, strecken, schaufeln, strecken.“ Handlungsanweisungen, die Ehsan Al Amin nicht zum ersten Mal hört. Die junge Frau sitzt in ihrem schwarzen Burkini auf der Treppe des Lehrbeckens im Lechtalbad Kaufering. Der Schwimmlehrer Karsten Schubert macht die Armbewegungen vor, die einen Menschen über Wasser halten. „Schaufeln, strecken.“ Nur auf den Treppen fühlt sich Ehsan Al Amin wirklich sicher. Und trotzdem wagt sie einen großen Schritt und lässt sich nach vorne ins Wasser gleiten.
Vor nicht allzu langer Zeit wäre das für sie unmöglich gewesen. Denn Ehsan Al Amin ist aus Syrien über das Mittelmeer nach Deutschland geflüchtet – und hat auf der Flucht ihr Kind verloren. Lange hatte sie panische Angst vor dem Wasser. Jetzt macht sie einen Schwimmkurs für Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund. Trotz allem.
Engagement belohnt
Die Gemeinde Kaufering hat rund 10.400 Einwohner und beherbergt derzeit 326 Geflüchtete. Bereits seit 2011 unterstützt der Evangelische Gemeindeverein Kaufering Flüchtlinge und Migranten bei der Integration und hat sich mit einem Projekt sogar den Oberbayerischen Integrationspreis 2023 zu eigen gemacht: mit den Schwimmkursen für Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund. Denn einige Geflüchtete können nicht schwimmen. Das ist eine Erfahrung, die die Initiatorin des Kurses, Elke Puskeppeleit, machen musste. Als sie als Flüchtlings- und Integrationsberaterin tätig war, sind fünf ihrer Klienten ertrunken.
Puskeppeleit weiß also, wie wichtig es ist, dass die Menschen schwimmen lernen. Die Schwimmkurse im Kauferinger Lechtalbad bietet sie in Kooperation mit der Schwimmschule „Fit-im-Wasser“ aus Scheuring an. Ein Kurs umfasst zehn Einheiten mit je 45 Minuten.
Das Lechtalbad ist an diesem Samstag gut besucht. Laut ist es, Kinderschreie übertönen oft die Gespräche im Bad, Schwimmnudeln schlagen gelegentlich mit einem lauten Knall auf der Wasseroberfläche auf. Es ist stickig, das Chlor in den Becken gibt seinen Geruch an die warme Umgebungsluft ab. Im 25 Meter langen Sportbecken ziehen die Schwimmer ihre Bahnen – mit Leichtigkeit gleiten sie durchs Wasser. Ein paar Meter weiter ist das Lehrbecken. Hier startet der Schwimmlehrer gerade den preisgekrönten Schwimmkurs für die acht Frauen aus Afghanistan, Syrien und dem Jemen.
„Vor der Brust zusammen, zack, nach vorne“, der Schwimmlehrer macht mit den Armen vor, was die Schülerinnen nachmachen sollen – Trockenübungen im Wasser. Die Stimmung ist heiter, die Frauen lachen und üben die Armbewegungen in einem Kreis um den Schwimmlehrer stehend. Denn das Lehrbecken ist nicht tief, die Teilnehmerinnen haben festen Boden unter den Füßen. Dann legen sie sich die Schwimmnudeln unter den Bauch und üben die Armbewegungen im Wasser liegend, während ihre Körper von der Schwimmhilfe gestützt werden. Es sieht bei den meisten schon fast nach einem richtigen Schwimmzug aus. Aber Ehsan Al Amin geht vorerst lieber noch nicht ins Wasser. Sie bleibt auf den Treppen sitzen.
Seit knapp neun Jahren ist die junge Frau in Deutschland. Sie erzählt später, dass sie und ihr Mann aus ihrer Heimat Idlib, im Nordwesten Syriens, geflüchtet sind. „Das ist Kriegsgebiet“. Ihr Mann ging zuerst, Ehsan Al Amin folgte ihm später. Die junge Syrerin wollte über die Türkei nach Griechenland, Mazedonien, Serbien, Österreich und schließlich nach Deutschland kommen.
Von der Türkei nach Griechenland ist sie mit einigen Geflüchteten in einem Boot gefahren – Ehsan Al Amin konnte damals nicht schwimmen. Die Syrerin ist im Dorf aufgewachsen, eine Möglichkeit zum Schwimmen gab es nicht. Auch in der Schule wurde es nicht unterrichtet. Ihre Angst vor der Reise übers Meer war groß. „Ich habe auch etwas Schlimmes erlebt“, blickt sie zurück: Kurz vor der griechischen Küste ging das Flüchtlingsboot unter und alle Insassen trieben im Meer. „Damals sind fünf Kinder und eine ältere Frau ertrunken.“ Eines der Kinder war ihres. Ehsan Al Amin hatte danach noch mehr Angst vor dem Wasser – die Flucht nach Deutschland über das Meer hat sie traumatisiert.
„Ein und aus – einatmen, ausatmen.“ Der Schwimmlehrer zeigt den Frauen die richtige Atemtechnik. Dass der Körper bei einem Schwimmzug ins Wasser absinkt, ist normal, erklärt er. Sobald der Mund und die Nase unter Wasser sind, atmet der Schwimmer aus, wenn der Körper wieder nach oben treibt, atmet er ein – so kann kein Wasser in die Lunge kommen. Ehsan Al Amin ist jetzt auch im Wasser und macht die Atemübungen mit. Da, wo sie noch stehen kann, fühlt sie sich mittlerweile sicher.
Den Kindern zuliebe
„In Deutschland habe ich mich nie getraut, ins Wasser zu gehen“, erzählt sie. Die Idee mit dem Schwimmkurs des Kauferinger Gemeindevereins fand Ehsan Al Amin von Anfang an toll. „Ich wollte die Angst verlieren.“ Auch ihre zwei Kinder, die in Deutschland aufgewachsen sind, wollen mittlerweile schwimmen lernen. Und als ihre Mama, will sie unbedingt mit ihnen ins Wasser gehen können. Die junge Mutter macht den Kurs bereits zum dritten Mal, denn ihre Angst vor dem Wasser macht ihr das Lernen schwer.
„Fersen zum Boden, Füße öffnen, Grätsche, strecken“, erklärt der Schwimmlehrer, der mittlerweile mit seiner Gruppe – und mit Schwimmnudeln ausgestattet – das Becken gewechselt hat: ins Sportbecken mit unterschiedlichen Tiefen, von 1,20 bis 2,10 Meter. Die Armbewegungen werden jetzt mit der korrekten Beinarbeit koordiniert. Diese Übung machen die Teilnehmerinnen zunächst am Beckenrand. Damit alle die Bewegungen besser sehen können, zeigt der Schwimmlehrer die Übung dann auf dem Rücken liegend im Wasser.
Als Ehsan Al Amin das erste Mal ins Wasser soll, ist das für sie anstrengend. „Ich war immer in der Nähe der Treppe“, erinnert sie sich an ihre erste Schwimmstunde zurück. Dank der Schwimmnudel traute sie sich schnell weiter ins Becken hinein. „Ich fühle dann, dass ich in Sicherheit bin.“ Dennoch: „Ich hatte immer Angst – bis jetzt eigentlich“, blickt sie zurück. Zwar geht Ehsan Al Amin mittlerweile ins Wasser, aber wenn sie den Boden nicht spürt, ergreift sie Panik. „Da habe ich dann das Gefühl, dass ich ertrinke.“ So wie jetzt, im tiefen Wasser, in das sich die Syrerin, trotz Angst, hineinwagt – denn der Schwimmlehrer assistiert.
Hausaufgaben
„Anziehen, Füße, Beine, strecken.“ Der Schwimmlehrer schwimmt mit den Teilnehmerinnen durchs Wasser. Er übt mit jeder einzelnen, stützt sie, damit sie nicht untergehen. „Anziehen, Füße, Beine, strecken“, leitet er verbal die Beinarbeit an. Zunächst klingt es abgehackt, ein holpriger Takt, nach kurzer Zeit ergibt sich aus den Worten ein fließender Rhythmus. Die Schwimmnudeln sind die treuen Begleiter der Frauen, deren Bewegungen immer flüssiger werden – das Ergebnis zahlreicher und stundenlanger Übungen.
Nach 45 Minuten ist der Unterricht im Kauferinger Lechtalbad beendet. Wie in der Schule gibt der Schwimmlehrer seinen Schülerinnen noch eine Hausaufgabe auf. Sie sollen ihre Beinarbeit auf einem Stuhl zuhause üben. Es gibt Lob vom Lehrer und Applaus von den Schülerinnen, bevor sich alle auf den Weg Richtung Duschen und Umkleiden machen.
„Schaufeln, strecken, schaufeln, strecken“ – Ehsan Al Amin macht einen letzten Schwimmzug, dann steigt auch sie aus dem Wasser. Es war ein guter Tag, die Schwimmzüge werden immer sicherer. Die junge Frau ist auf dem besten Weg, schwimmen zu lernen und ihre Angst zu überwinden. „Heute bin ich ohne Schwimmnudel geschwommen.“