Tinnitus-Patient berichtet: „Ich dachte, mein Leben ist vorbei“
Es hat damit begonnen, dass Harald Seifert* keinen Appetit mehr hatte. Magendrücken kam hinzu, bis hin zu schweren Magenbeschwerden. Es folgten heftige Rückenschmerzen. Körperliche Ursachen fanden die Ärzte keine. Als Seifert vor lauter Schmerzen kaum mehr wusste, was er tun sollte, entstand in seinem Hinterkopf ein Summen – Tinnitus . „Wie ein alter Röhrenfernseher“, beschreibt der Patient es rückblickend. „Ein ununterbrochenes Summen und Rauschen.“
„Bei mir ist eine Welt zusammengebrochen“
Seine Geschichte erzählt der Patient dem Magazin „UKE Life“ in der Frühlingsausgabe 2022 . Sie hat nicht an Aktualität verloren. Denn die Psyche und Tinnitus sind eng verknüpft. Das zeigt sein Schicksal deutlich. Eine Depression hat bei Seifert den Tinnitus ausgelöst. Auch andersherum kann Tinnitus zu Depressionen führen.
Jeder vierte Deutsche nimmt im Laufe seines Lebens Ohrgeräusche wahr, die von keinem äußeren Einfluss kommen. Laut Tinnitus-Liga leiden etwa 1,5 Millionen Deutsche „sehr“ unter ihren Ohrgeräuschen.
Wie die Experten erklären, entstehen die Töne meist durch „unnormale Aktivität im Hörsystem“. Das bedeutet also, durch Veränderungen der Schallverarbeitung im Innenohr. Halten die Geräusche bis zu drei Monate an, sprechen Experten von einem „akutem Tinnitus“. Wenn diese über noch längere Zeit bestehen bleiben, ist die Rede von einem „chronischen Tinnitus“.
Zunächst lag der Verdacht bei Seifert auf Schlaganfall nahe. Die Computertomographie seines Kopfes in der Notaufnahme eines Hamburger Krankenhauses zeigte: Das war es nicht. Die Diagnose lautete stattdessen: Tinnitus. Ein Schock für ihn, weil ihm das Geräusch in seinem Kopf unglaublich zusetzte, wie er berichtet: „Bei mir ist eine Welt zusammengebrochen. Ich dachte, mein Leben sei vorbei.“
Depression als Ursache von Tinnitus
Doch sein Weg führte ihn schließlich in die Psychosomatische Ambulanz im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE ). „Bei mir wurde direkt eine schwere depressive Episode diagnostiziert und ich habe wenige Tage später einen stationären Therapieplatz angeboten bekommen“, erzählt Seifert. Verschiedene Therapieangebote helfen ihm, sich mit seiner Situation auseinanderzusetzen und Klarheit zu bekommen: „Zu Beginn habe ich immer noch nicht glauben wollen, dass all meine Symptome – Tinnitus, Missempfindungen in den Händen, meine Bauch- und Rückenschmerzen – psychisch bedingt sein sollen.“
Was ihm bis heute hilft
Heute weiß der Tinnitus-Patient, dass seine körperlichen Beschwerden Stresssymptome waren. Ständig ging er über seine Grenzen, setzte sich zu hohen beruflichen und privaten Belastungen aus. In der Klinik lernte er nun unter anderem Methoden, sich zu entlasten: „Ich weiß jetzt, wie man meditiert, habe Atemübungen und Progressive Muskelentspannung gelernt und mache wieder Sport. Und wenn ich morgens 20 Mails in meinem Posteingang habe, die mir Stress bereiten, setze ich mich nicht fieberhaft daran, sondern schaue, dass ich erst einmal durchatme und mich entspanne.“
Ganz sei er das Ohrgeräusch nicht losgeworden. Aber wird es lauter, hilft ihm: Stress vermeiden, sich entspannen, zum Beispiel ein heißes Bad nehmen oder intensiv Musik hören. Harald Seifert betrachtet seinen Tinnitus nun als „ein Alarmsignal meines Körpers“.
Mit Ohrgeräuschen sollten Sie immer zum Arzt
Was Ihnen bei störenden Tönen ein Warnzeichen sein sollte: Es ist selten, dass Klingen, Rauschen oder Summen im Ohr nur kurz auftreten und rasch wieder verschwinden. Meistens wird es morgens beim Aufwachen bemerkt, stört empfindlich und legt sich auch den ganzen Vormittag über nicht. Sollte man das auf jeden Fall ärztlich abklären lassen? „Ich würde bei jedem Ohrgeräusch, das akut auftritt, zum HNO-Facharzt gehen“, empfiehlt Anke Lesinski-Schiedat, ärztliche Leiterin des Deutschen HörZentrums an der Medizinischen Hochschule Hannover.
Zwar müsse man nicht in Panik geraten, aber innerhalb der ersten 24 bis 48 Stunden sollte man dieses Anzeichen untersuchen lassen. Anlaufstelle ist der HNO-Arzt oder die Notfall-Ambulanz einer HNO-Klinik. Viele Betroffene lassen diese Möglichkeit jedoch verstreichen und warten, bis der Tinnitus chronisch wird .
Generell gilt: Je früher die Ursache gefunden beziehungsweise ernsthafte Krankheiten wie Infektionen, Schilddrüsenfunktionsstörungen oder Gefäßveränderungen etwa durch Arteriosklerose ausgeschlossen werden können, desto gezielter kann eine Behandlung einsetzen.
*Der richtige Name ist der Redaktion von „UKE Life“ bekannt.