„Die Kindergrundsicherung ist ein Witz“ – Arche-Gründer rechnet mit Ampel ab
Mitte Februar hat „Arche“-Gründer Bernd Siggelkow sein Buch „Das Verbrechen an unseren Kindern“ veröffentlicht. Das Bürgergeld ist ihm ein Dorn im Auge. Gegenüber Ippen.Media verrät er, warum.
Berlin – Schon vor Monaten äußerte Bernd Siggelkow deutliche Kritik am Bürgergeld und der Politik der Ampel-Koalition. Der ausgebildete Theologe fordert in seinem Buch unter anderem die Streichung des Bürgergelds für Arbeitsunwillige, wesentliche Investments in die Bildung von Kindern und eine höhere Kindergrundsicherung. Wir haben nachgefragt.
Herr Siggelkow, was tut die Arche?
Die Arche kümmert sich um Kinder, die sozialen Herausforderungen ausgesetzt sind, also bei uns ist das Thema Kinderarmut natürlich ein sehr großes. Dabei geht es oft um finanzielle Armut, aber auch um emotionale. Wir geben ihnen ein kostenloses Mittagessen und schulische Hilfen, sie können Sport oder Musik machen – und vor allem Kinder sein. Das ist leider aufgrund ihres sozialen Status häufig nicht mehr möglich.
Was war für Sie der Auslöser, dass Sie die Arche gründen wollten?
Ich habe schon immer in meinem ganzen Leben, seit meinem 16. Lebensjahr, Kinder und Jugendarbeit gemacht. Nachdem ich 1991 nach Berlin gekommen bin, habe ich entdeckt, dass viele Kinder vor großen Herausforderungen stehen. Damals war Hellersdorf der kinderreichste Bezirk von Europa, gleichzeitig gab es bis zu 70 Prozent Alleinerziehende. Die Kinder konnten sich nicht entwickeln.
Bürgergeld als „Verbrechen an den Kindern“ – Arche-Gründer rechnet ab
Waren die Probleme von heute damals schon absehbar?
Es war erkennbar, was passieren würde, wenn die Politik nicht die richtigen Rahmenbedingungen schafft. Deswegen ist dort die erste Arche entstanden. Wichtig dabei war mir, dass der Schlüssel zum Herzen eines Menschen nicht das Programm ist. Man ändert nicht durch Programm das Leben eines Kindes, sondern durch Liebe und Beziehung.
Sie bezeichnen das Bürgergeld als Verbrechen an den Kindern. Wie ist das zu verstehen?
Wir brauchen mittlerweile in Deutschland vier bis fünf Generationen, um aus der Armut herauszukommen. Verglichen mit 2001 hat sich die Summe der armen Kinder verdreifacht und die Geburten sind zurückgegangen. Letztendlich hat die Regierung nichts getan, außer Hartz IV einzuführen, Bürgergeld einzuführen und immer wieder nur zu alimentieren. Meiner Meinung nach muss die Regierung subventionieren, anstatt zu alimentieren. Dabei geht es vor allem um die Arbeit der Eltern – diese müssen letztendlich bessere Chancen haben, auch, damit ihre Kinder sie als Vorbilder sehen.
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Aber was sind denn die Schwächen des Bürgergelds?
Ich finde es schwierig, wenn heute ein Teil der Leute einfach keine Lust hat, zu arbeiten, und dennoch Geld bezieht. Da rede ich nicht von denen, die nicht vermittelbar sind oder aus gesundheitlichen Gründen Bürgergeld erhalten, sondern von denen, die die Arbeit wirklich ablehnen, weil sie keinen Bock haben. Sie verlassen sich dann darauf, dass der Staat ihnen Geld schenkt. Sie bekommen die gleiche Erhöhung wie die alleinerziehende Mutter, die pro Jahr 30 Bewerbungen abschickt und Absagen erhält, weil sie Grundschulkinder hat und im Krankheitsfall zu Hause bleiben müsste.

In solchen Fällen sollte das Geld direkt an den Arbeitgeber gehen. Der kann dann zum Beispiel einer Mutter, die 30 Stunden arbeitet und danach bei ihren Kindern sein muss, eine 40-Stunden-Stelle bezahlen. Dann muss sie nicht ständig noch zum Jobcenter rennen. In Berlin Heimersdorf haben wir die meisten Menschen, die zu ihrem Gehalt noch Bürgergeld bezahlen müssen. Das geht nicht. Kinder müssen ihre Eltern als Vorbilder sehen, dann werden sie auch Vorbilder. Darum sollte man das Bürgergeld bei Familien einfach lassen, um zu zeigen: „Wir wollen, dass ihr arbeiten geht, das gibt euch Perspektive und Würde“.
„Man muss Arbeit wieder interessanter machen“ – fehlen die Anreize?
Würde das bei den Eltern nicht auf ziemlichen Protest stoßen?
Die Eltern wollen das doch genauso. So kriege ich das mit: Bei uns in der Arche treffen wir oft Eltern, die nicht zu Hause bleiben wollen. Die wollen Vorbilder für ihre Kinder sein, bekommen aber keine Chance. Dazu gehört auch, dass die Eltern sich entwürdigt fühlen, wenn sie sich zum Beispiel in der U-Bahn ausweisen müssen, sobald sie ihr Sozialticket vorlegen. Mitsamt Bürgerkontaktdaten und Bedürftigkeitsnachweis. Das macht was mit der Würde des Menschen.
Die Ampelregierung hat das Bürgergeld kürzlich erhöht. Wie stehen Sie dazu?
Es ist natürlich richtig, dass man eine Erhöhung hat, weil die Lebenshaltungskosten natürlich auch steigen. Man kann die Menschen ja auch nicht verhungern lassen. Wir sind immerhin ein Sozialstaat und wir haben eine Verantwortung. Auf der anderen Seite muss sich Arbeit auch lohnen und deswegen muss man eben auch einen Unterschied haben zwischen Bürgergeld und existenzsichernder Arbeit, dass es auch einen Anreiz gibt. Und dazu muss man vielleicht Arbeit auch wieder ein bisschen interessanter machen.
Es muss klar sein, dass Arbeit wichtig ist, dass es wichtig ist, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Ich kenne auch junge Leute, die fragen mich, warum sie arbeiten sollten, wenn der Staat sowieso Geld verschenkt. Da muss es schon einen Unterschied geben. Wenn ich von Verantwortung spreche, bedeutet das für mich auch, dass wir Menschen die Chance einräumen, sich zu entwickeln und nicht nur zu Hause zu sitzen.
Welche Anpassung braucht das Bürgergeld unbedingt?
Die Wirtschaft sollte mit im Boot sitzen. Wir haben große Unternehmen mit viel Land und Platz – die könnten Kita-Plätze in ihrer Firma schaffen, damit auch Eltern in Arbeit kommen. In Afrika heißt es nicht umsonst, dass zur Erziehung eines Kindes das ganze Dorf notwendig sei. Wir brauchen Fachkräfte in den Betrieben, und das nicht nur heute, sondern auch in zehn, zwanzig, dreißig Jahren. Wenn wir nicht ausreichend auf die Kinder achten, werden wir Versager produzieren, das sage ich mal so krass.
Wir haben jedes Jahr 50.000 Kinder, die ihren Schulabschluss nicht schaffen. Die Bundesregierung will 60.000 Fachkräfte aus dem Ausland importieren, weil sie die brauchen, anstatt die Kinder entsprechend zu fördern. Zusammengefasst würde ich die Wirtschaft mit ins Boot holen und auch an die Menschen appellieren, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.
„Ein Tropfen auf dem heißen Stein“ – warum die Kindergrundsicherung nicht ausreicht
Wie sollte Ihrer Meinung nach die Kindergrundsicherung aussehen?
Die Kindergrundsicherung, die jetzt auf dem Weg ist, ist ein Witz. Von den 2,5 Milliarden Euro muss man schon 400.000 herunterrechnen, die fließen in die Entbürokratisierung. Die restlichen 2,1 Milliarden gehen an 5,6 Millionen Familien, die es in Anspruch nehmen können. Pro Familie und Monat sind das 30 Euro. Das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Ich frage mich, warum Bildung Geld kostet. Warum kann die Kindergrundsicherung nicht ins Bildungssystem fließen? Da erreicht sie alle Kinder, unabhängig von der Herkunft, und kann sie fördern. Kindern, die in Armut leben, werden so viele Chancen verwehrt – oft können sie sich die Nachhilfe nicht leisten, weil die Eltern zum Beispiel einen neuen Kühlschrank kaufen müssen. Sie sind nicht dümmer, haben aber nicht die gleichen Chancen wie die anderen. Ein Teil der Kindergrundsicherung muss unbedingt das Bildungssystem verbessern.
Welche technischen Lösungen gäbe es da?
Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass man das über eine Chancen-App regelt. Damit können die Kinder direkt über ihre Eltern bezahlen, zum Beispiel außerschulische Nachhilfe, aber das wird dann nicht bei den Eltern abgebucht, sondern im Jobcenter. So kommt das Geld direkt beim Kind an und landet nicht irgendwo anders. Ich glaube, die meisten Eltern würden sich freuen, wenn die Infrastruktur der Kinder so hergestellt ist, dass es sie auch entlastet.
Das würde ein höheres Maß an Digitalisierung voraussetzen.
Im digitalen Bereich sind wir ein Entwicklungsland, obwohl wir das Land der Dichter und Denker sind. Sie brauchen ja nur mal durch manche Städte zu fahren, da haben Sie manchmal nicht mal eine Internetverbindung und das geht natürlich gar nicht.
Kinder ohne Lobby – „Das ist ein Armutszeugnis für uns“
Welche Gründe gibt es Ihrer Meinung nach dafür, dass die Politik diese Fehler macht?
Ich würde nicht sagen, dass es Fehler sind. Kinder haben einfach keine Lobby. In der Politik interessiert man sich in der Regel für eine oder zwei Legislaturperioden, da kümmern sich die Politiker nicht groß um die Kinder. Da gibt es eine ganze Reihe von ineinandergreifenden Problemen, zum Beispiel bekommen Menschen in bildungsarmen Verhältnissen häufiger früher Kinder als die Akademiker. Menschen aus dem Ausland zu holen und dann vielleicht geringer zu entlohnen als deutsche Fachkräfte, ist für die Entscheider die einfachste Lösung.
Sie haben eben gesagt, Kinder haben keine Lobby. Ist das ein Problem, was man lösen kann?
Ja. Zum Beispiel kann man Kinderrechte ins Grundgesetz implementieren, ohne Elternrechte zu beschränken. Wenn sogar der Europarat Deutschland ermahnt, dass die Bekämpfung der Kinderarmut zu langsam vorangeht, dann ist das nicht nur eine Sicht der Sozialverbände oder der Arche, sondern es ist ein Gesamtblick von Europa auf unser Land. Das ist ein Armutszeugnis für uns. Das dürften wir uns eigentlich nicht gefallen lassen. Aber haben Sie jetzt das Gefühl, seitdem wir das vor vier Wochen gehört haben, dass die Politik nachjustiert? Ganz im Gegenteil. Nun diskutiert Herr Lindner mit Frau Paus noch über die Kindergrundsicherung, ob man das überhaupt machen kann, ob wir uns das überhaupt leisten können. Ich habe das Gefühl, die Politik nimmt den Europarat und unsere Kinder ungefähr gleich wenig ernst.
Politik muss Versprechen halten, die sie gibt
Sie haben in der Vergangenheit Kinder aus Zuwanderungsfamilien erwähnt. Wie wirkt sich die Einwanderung auf Ihre Arbeit in der Arche aus?
Es ist wichtig, dass wir Menschen Sicherheit und Chancen geben. Was aber nicht geht, ist, dass der Staat viele Menschen ins Land lässt und sie dann einfach in die Obhut von Ehrenamtlichen übergibt, ohne ein Konzept oder weiteres Bemühen vom Staat. Da verlässt man sich vonseiten der Politik einfach auf das soziale Engagement von Menschen, anstatt seiner Verantwortung gerecht zu werden und nicht nur Versprechen nach draußen zu geben, sondern sie auch zu halten.