Abstimmungs-Dilemma für Merz: FDP fällt – Kubicki „fassungslos“, Lindner einen „Dolch in Rücken gerammt“
Nachdem Unions-Kanzlerkandidat Merz mit der Abstimmung über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ gescheitert ist, rückt er die FDP in den Fokus.
Berlin - Am Ende war es eine Überraschung: Nach einer mehr als hitzigen Debatte und Unterbrechungen im Bundestag, wurde das von Friedrich Merz (CDU) eingebrachte, so genannten Zustrombegrenzungsgesetz, vom Parlament abgelehnt. Dass sie ablehnen würden, hatten nur die Fraktionen der SPD, der Grünen und der Links-Partei offen angekündigt. Bis auf eine nicht abgegebene Stimme fast geschlossen stimmte für den Merz-Antrag dann nur eine Partei: die AfD. Überraschung des Abends: die FDP.
Merz (CDU) nannte die für ihn gescheiterte Abstimmung am Abend einen Erfolg für die parlamentarische Demokratie, und sagte, es sei „die Sache wert“ gewesen. Möglicherweise auch wegen heftiger Proteste gegen die Union nach einem Votum am Mittwoch hatten aus seiner Fraktion zwölf Mitglieder keine Stimme abgegeben. Und das, obwohl Merz im Vorhinein vor allem die Grünen und die SPD in die Verantwortung dafür nehmen wollte, eine demokratische Mehrheit ohne die AfD für seine Anträge zu bilden. Am Ende stimmten 349 Abgeordnete mit Ja, 388 mit Nein, der Rest der Abgeordneten enthielt sich oder gab keine Stimmen ab. Noch am Abend kritisierte Merz deutlich, dass es bei der FDP zwei Nein-Stimmen gegen das Gesetz und fünf Enthaltungen gab, zudem 16 nicht abgegebene Stimmen.
Migrations-Abstimmung: Merz kritisiert FDP - Dürr kontert
Im ZDF heute-Journal am Freitagabend sagte Merz, auch wenn die Union geschlossen für den Antrag gestimmt hätte, wäre keine Mehrheit zustande gekommen. „Ganze zehn von 196“ Unions-Abgeordnete hätten nicht mit ihm gestimmt, vor deren Entscheidung er Respekt habe. Zwei weitere seien krank oder nicht reisefähig gewesen. „Es hätten noch andere dazu kommen müssen, auch von der FDP“, sagte Merz, kritisierte aber auch mehrfach Grüne und SPD.
Und das Abstimmungsverhalten der FDP war in der Tat eine kleine Überraschung: Noch am Nachmittag hatte es stehende Ovationen aus den Reihen der Fraktion für eine Rede ihres stellvertretenden Bundesvorsitzenden Wolfgang Kubicki gab - auch aus den Reihen der Union. Allerdings hatte die FDP am Nachmittag dafür geworben, das Gesetz an den Innenausschuss zu verweisen und die Abstimmung zu verschieben - um ein Abstimmungsdebakel wie am Mittwoch zu vermeiden.
Dürr kontert Merz mit CDU-Vorwurf: „Das spricht nach Einlassungen von Merkel Bände“
FDP-Fraktionschef Christian Dürr weist Kritik von CDU-Chef Friedrich Merz am Abstimmungsverhalten der FDP beim abgelehnten Gesetzentwurf der Union zur Migration zurück. Dürr sagte der Deutschen Presse-Agentur:
„Die CDU/CSU-Fraktion hat ihren Gesetzentwurf heute zur Abstimmung gestellt und bei der CDU/CSU-Fraktion lag die Verantwortung für die nötige Mehrheit. Die Union hatte mehr Abweichler als am Mittwoch - und das bei ihrem eigenen Gesetz. Das spricht nach den Einlassungen von Altkanzlerin (Angela) Merkel Bände. Die FDP hat heute alles versucht, damit es eine Mehrheit in der Mitte gibt.“
FDP-Vize Kubicki gießt Öl ins Feuer der FDP: „Das wird unserer Partei im Wahlkampf nicht nutzen“
Öl ins FDP-Feuer goss am Abend der am Nachmittag noch beklatschte Vize-Chef Kubicki. Gegenüber der Bild-Zeitung sagte er: „Ich bin fassungslos über das Abstimmungsverhalten einiger meiner Fraktionskollegen. Ich bin mir sicher, das wird unserer Partei im Wahlkampf nicht nutzen.“
Wie groß auch die Uneinigkeit in der FDP mitten im Wahlkampf ist, belegt Und ein Mitglied der FDP-Fraktion soll laut Bild sogar gesagt haben: „In der Fraktion herrschte Einigkeit, dass dieses Gesetz notwendig und in der Sache richtig ist. Und dann zieht natürlich der Fraktionschef in die Schlacht – und muss erleben, wie ein Viertel unserer Leute ihm und Christian den Dolch in den Rücken rammt.“ Was aus dem Abstimmungsverhalten für die FDP, die derzeit laut Umfragen unter der Fünf-Prozentmarke liegt, folgt, bleibt offen. Nach der gemeinsamen Abstimmung von Union, FDP und AfD am Mittwoch verzeichneten unter anderem SPD und Linke eine Welle an Neueintritten.
FDP-Abgeordnete gegenüber Merkur: „Für mich persönlich war es unvorstellbar...“
Enthalten hat sich auch Kristine Lütke, bayerische FDP-Abgeordnete mit Wahlkreis in Roth/Nürnberger Land: „Für mich persönlich ist es unvorstellbar, unter bewusster Inkaufnahme von AfD-Stimmen zu stimmen“, sagt Lütke im Gespräch mit dem Merkur. „Ich möchte die AfD nicht Schritt für Schritt salonfähig machen.“ Sie zeigte sich enttäuscht, dass die FDP kompromissbereit gewesen sei, zu vermitteln versucht habe - und zeigte mit dem Finger auf zwei andere Parteien: „Aber das ist an der Scharade von Rot-Grün gescheitert.“ Eine neue Bundesregierung müsse in der Asyl- und Migrationspolitik einen anderen Kurs einschlagen.
Ihr Fazit nach dem heftigen Tag im Bundestag vom Freitag: „Ich bin da nicht naiv. Das ist ein Problem, das dringend gelöst werden muss, das kann aber nur aus der Mitte heraus geschehen“, sagte Lütke. „Insofern wurde heute durch parteipolitisches Taktieren auch eine große Chance verpasst.“ (kat)