Die Oberallgäuer Landrätin Indra Baier-Müller von den Freien Wählern will die regionale Stimme in Berlin sein
Die Freien Wähler streben in den Bundestag. Für einen erfolgreichen Einzug benötigen sie mindestens drei Direktmandate. Ein Direktmandat strebt auch die amtierende Landrätin des Oberallgäus an: Indra Baier-Müller. Im Interview spricht Baier-Müller über ihre Motivation für den Schritt nach Berlin, ihre politischen Schwerpunkte und die Stimmung im Wahlkampf. Dabei wird deutlich: Baier-Müller sieht sich als Stimme der Region und möchte mehr kommunale Selbstbestimmung erreichen. Gleichzeitig beobachtet sie ein schwindendes Vertrauen in die Politik, dem sie entgegenwirken will.
Frau Baier-Müller, vor etwa drei Jahren sagten Sie dem Kreisboten: „Ich habe hier im Landratsamt jetzt meinen Platz gefunden.“ Fühlen Sie sich jetzt fehl am Platz?
Indra Baier-Müller: Überhaupt nicht. Meine Kandidatur für den Bundestag bedeutet nicht, dass ich mich hier unwohl fühle. Im Gegenteil: Ich sehe, dass die Entscheidungen in Berlin uns vor Ort stark betreffen, ohne dass dort die regionalen Konsequenzen ausreichend bedacht werden. Ich möchte dorthin, wo diese Entscheidungen getroffen werden. Hier sind wir meist nur in der Umsetzung, nicht in der Entscheidungsfindung.
Was würden Sie an Ihrem Amt als Landrätin vermissen?
Die Menschen: also die Mitarbeitenden, das Team. Wir haben viel entwickelt in den vergangenen fünf Jahren. Wir haben, glaube ich, auch entscheidende Themen gestaltet. Wir hatten viele Krisen in dieser Zeit zu bewältigen, und das schweißt natürlich auch zusammen.
Sie wollen die „regionale Stimme“ nach Berlin bringen. Was bedeutet das konkret?
Wir wollen Verantwortung für Deutschland übernehmen, auch aus der Region heraus, und wir wollen vor allen Dingen auch wieder Entscheidungen hier vor Ort treffen können. Das wird uns zunehmend genommen durch Gesetze, durch Vorgaben, die aus Berlin kommen. Die Emotion dahinter ist: Zukunftsorientierung mit einem Gefühl von Handlungswillen, und, ja, auch Wirksamkeit.
Können Sie drei Felder nennen, in denen Sie bundespolitisch am liebsten wirken würden?
Also wenn Sie fragen, was die Hauptfelder sind, die Frau Baier-Müller jetzt mitnimmt, dann ist es erstens tatsächlich die Frage nach der kommunalen Selbstverwaltung, damit die Gremien vor Ort wieder mehr entscheiden können. Das zweite ist, das weiß man natürlich auch, die Frau Baier Müller kommt aus dem Sozialbereich und ich glaube, die spannendsten Fragen in den nächsten Jahren werden sein: wie wollen wir mit dem demografischen Wandel umgehen? Wie gehen wir mit der Pflege um? Der kürzlich veröffentlichte Bericht der Barmer macht klar, dass wir uns in Zukunft, gerade auch, was das Thema Gesundheitsversorgung, Pflege angeht, noch mal neu aufstellen müssen. Eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik muss innovative Ideen fördern, Energiepreise für Unternehmen senken und leistungsorientierte Anreize schaffen. Gleichzeitig gilt es, bürokratische Hürden wie starre Arbeitszeitbeschränkungen abzubauen, um Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum zu stärken
Das Thema Migration haben Sie nicht angesprochen.
Naja, das Thema ist gerade in aller Munde und geht durch alle Medien. Ich glaube, da bewegt sich gerade aktuell ja schon viel. Für mich ist klar: Wir brauchen einheitliche Regeln in der EU. Zweitens müssen schnelle Entscheidungen getroffen werden, wer bleiben darf und wer wieder ausreisen muss, einschließlich einer zügigen Umsetzung. Drittens müssen wir Menschen, die bleiben dürfen, gezielt durch Sprach- und Kulturvermittlung sowie Ausbildung und Arbeit integrieren.
Wie schätzen Sie die Chancen der Freien Wähler auf eine Regierungsbeteiligung ein?
Das lässt sich nicht in Prozenten ausdrücken. Aber mit einer liberal-konservativen Politik könnten wir echte Veränderung bewirken. Je nach unserem Wahlergebnis und der Entwicklung der FDP könnten wir das Zünglein an der Waage sein.
Angenommen, Sie kommen in die Opposition: Können Sie dort mehr für das Allgäu bewirken als in ihrem Amt der Oberallgäuer Landrätin?
Es wäre anders. Der Informationsfluss von Berlin ins Allgäu ist wichtig, und insofern glaube ich, dass Wirksamkeit auch in der Opposition möglich ist – in der Regierung natürlich stärker. Was wir auf jeden Fall brauchen, ist eine Vertretung des Allgäus in Berlin, und zwar von einer demokratischen Partei. Das hatten wir ja auch schon in den letzten Jahren. Wir haben aber eine Änderung des Wahlrechts. Mit dem neuen Wahlrecht ist es fraglich, ob eine demokratische Vertretung des Allgäus in Berlin in dieser Form noch möglich ist.
Wie würden Sie den Kontakt zur Heimat halten?
Ich bin hier aufgewachsen und tief verwurzelt. Ich werde hier in den sitzungsfreien Wochen weiterhin leben. Als jetzige Landrätin weiß ich über die Dinge, die hier passieren, schon einiges. Wie üblich würde ich ein Wahlkreisbüro vor Ort einrichten, Termine wahrnehmen und mit den Menschen sprechen – so wie jetzt auch.
Auf Ihren Social-Media-Kanälen führen Sie Ihren Wahlkampf teilweise mit Humor. Ja, wie erleben Sie generell die Stimmung im Wahlkampf?
Sehr unterschiedlich. Bei unserer Veranstaltung in Sulzberg kamen 300 Personen – das zeigt großes Interesse. Es gibt viel Zustimmung, aber auch kritische Rückfragen. An den Wahlkampfständen spüre ich oft Frustration über die aktuelle Politik. Viele sagen, sie wüssten nicht, wen sie wählen sollen. Das Vertrauen in die Politik ist in den letzten Jahren deutlich geschrumpft. Ich glaube, da haben wir eine echte Aufgabe, das wieder aufzubauen.
Und was sagen Sie zu Bürgern, die zu Ihnen kommen und sagen, sie haben Vertrauen verloren?
Ich frage nach den Gründen. Oft höre ich, die Politik sei zu weit weg von den Menschen und treffe Entscheidungen, die wir vor Ort umsetzen müssen. Das kann ich nachvollziehen, da ich es selbst als Amtsträgerin erlebe. Ein konkretes Beispiel: Wenn die Bundesregierung uns Aufgaben überträgt, muss sie diese auch finanzieren und nicht die Kommunen mit der Finanzierung alleine lassen. Die Menschen spüren es, wenn vor Ort Geld fehlt.
Vielen Dank für das Gespräch!