Nach Georgien-Wahl: Proteste angekündigt – Präsidentin sieht russischen Einfluss
Internationale Wahlbeobachter sehen erhebliche Verstöße gegen die Grundsätze freier Wahlen. EU und USA verlangen eine Untersuchung. Orbán gratuliert angeblichen Wahlsieger.
Tiflis – Die Lage im Kaukasus-Land Georgien spitzt sich nach der Parlamentswahl am Samstag (26. Oktober) weiter zu. Die prorussische Regierungspartei „Georgischer Traum“ sieht sich als Wahlsieger mit klarer Mehrheit. Westliche Staaten kritisierten, auf Basis der Ergebnisse internationaler Wahlbeobachter, dass zentrale Grundsätze freier und fairer Wahlen missachtet worden seien. Die proeuropäische Präsidentin Salome Surabischwili sieht russische Einflussnahme und rief zu Protesten auf.

„Georgischer Traum“ will nach Wahl regieren – Opposition spricht von „gestohlener“ Wahl
Die zunehmend autoritär regierende Regierungspartei hält nun eine Mandatsmehrheit, nachdem die Wahlkommission ihr 54 Prozent der Stimmen zugerechnet hatte. Premierminister Irakli Kobachidse kündigte gegenüber der New York Times an, dass seine Partei weiterregieren wolle. Dem offiziellen Ergebnis zufolge entfielen die restlichen 46 Prozent auf vier Oppositionsparteien, die sich zuvor auf ein Bündnis mit dem Ziel, nächstes Jahre freie und faire Wahlen abzuhalten, geeinigt hatten. Die „Koalition für Wandel“, offiziell stärkste Kraft des Bündnisses, teilte per X mit, dass die Opposition die Wahl als „gestohlen“ betrachte.
Georgiens Präsidentin sieht Land nach Wahl als „Opfer einer russischen Spezialoperation“
Georgien sei „Zeuge und Opfer einer russischen Spezialoperation“, sagte Surabischwili am Sonntag. Es handele sich dabei um „hybride Kriegsführung“. Belegen konnte sie den von Russland dementierten Vorwurf nicht, kündigte aber an, Belege vorzulegen. Die Präsidentin und die Opposition riefen für Montagabend (28. Oktober) in der Hauptstadt Tiflis auf. Bis Sonntagabend blieben größere Proteste gegen das Wahlergebnis dem britischen Guardian zufolge aus.
Zehntausende demonstrierten vor Georgien-Wahl für EU-Annäherung und gegen Russlands Einfluss
Vor der Wahl demonstrierten in Tiflis Zehntausende gegen russische Einflussnahme und für eine fortgesetzte Annäherung an die EU. Im Sommer 2024 ließ die Regierung Kobachidse Proteste gegen illiberale Gesetze nach russischen Vorbild von der Polizei niederschlagen. Deswegen fror die EU den Beitrittsprozess vorerst ein. In den zwei abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien unterstützt Russland Separatisten. Seit ihrer Unabhängigkeit Anfang der 1990er-Jahre wurde die ehemalige Sowjetrepublik mehrfach von Russland angegriffen. Kobachidse betonte weiterhin einen EU-Beitritt anzustreben und gleichzeitig seine Annäherung an Russland fortzuführen.
„Georgischer Traum“: Starker Mann im Hintergrund verbreitet antisemitische Verschwörungserzählung
Der starke Mann hinter der Regierungspartei ist der Milliardär und ehemalige Regierungschef Bidsina Iwanischwili. Seinem Wunsch entsprachen das gegen die liberale Zivilgesellschaft gerichtete „Agentengesetz“ und das queerfeindliche Gesetz, die beide 2024 verabschiedet wurden. Er sieht Georgien in einem Kampf gegen eine „vaterlands- und prinzipienlose Pseudoelite“ und eine „globale Kriegspartei“, die die Opposition steuere. Solche Parolen gegen abstrakte, angeblich übermächtige und moralische verwahrloste „Eliten“ fallen glasklar in die Kategorie des strukturellen Antisemitismus und sind Teil moderner autoritärer Ideologien.
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Der Kaukasus-Experte Jan Köhler warnte im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau jedoch davor, Iwanischwili als Marionette von Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu betrachten. „Jenseits der urbanen Zentren mit ihrer zivilgesellschaftlichen Intelligenz gibt es mehr Unterstützung für einen traditionalistisch-autoritären Kurs à la Orbán oder Putin, als es die liberalen Kräfte im Westen wahrhaben wollen“, sagte Köhler.
Georgien-Wahl: Internationale Beobachter sehen Belege für Einflussnahme – Orbán gratuliert
In den ländlichen Gebieten Georgiens soll der „Georgische Traum“ nach Angaben der Wahlkommission bis zu 90 Prozent der Stimmen erreicht haben. Die Wahlbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierte, dass insbesondere dort Hinweise und Belege dafür gebe, dass Wähler bedroht, an der Abstimmung gehindert oder vor der Abstimmung bestochen wurden. Zudem bestehe der Verdacht, dass zusätzliche Wahlzettel in Urnen gestopft wurden. Ein solches Video kursierte noch am Wahlabend in sozialen Medien.
Aus dem Westen folgten gemischte Reaktionen auf die Wahl: Die EU, sowie diverse Mitgliedsstaaten und hochrangige Parlamentarier sowie die USA verlangten eine unabhängige Untersuchung der Wahl. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán hingegen gratulierte und kündigte für Montag einen Besuch in Georgien an. Orbán und der ideologische Traum stehen sich in ihren antiliberalen Zielen ideologisch nahe. Der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, betonte, Orbán spreche nicht für das Bündnis. (kb)