CO2 in der Landwirtschaft - Weniger pupsen, mehr Gewinn: Hier wird die perfekte Klima-Kuh gezüchtet
Cocktail für die Kühe
Der junge Landwirt muss fast alles verändern, um den CO2-Fußabdruck zu verringern: Die Tierhaltung, das Futter, den Dünger, die Fruchtfolge auf dem Feld, den Humus. Alles hat Einfluss auf den Methan-Ausstoß der Kühe.
Beispiel Dünger: Ein Drittel des Düngers produziert Stümmler über die Gülle und die Biogas-Anlage selbst – ohne CO2-Fußabdruck. Zwei Drittel Mineraldünger muss er hinzukaufen – mit Fußabdruck. Stümmler probiert im Rahmen des Projekts auch CO2-freien Mineraldünger. Damit würde er die Emissionen auf einen Schlag um 25 Prozent reduzieren. Doch der Dünger ist doppelt so teuer. „Für den Markt ist das unrealistisch, weil der Milchpreis drastisch steigen müsste“, sagt Stümmler. Von 50 auf 70 Cent.
Dünger wird überall in der Landwirtschaft gebraucht. Er sei daher ein „großer Hebel“, um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Für Marktreife des Mineraldüngers ohne CO2-Abdruck müssten jedoch „sehr viele Landwirte mitmachen“.
Ein weiter Hebel ist die Fruchtfolge: Bislang hatte Stümmler als Nahrung für die Kühe nur Mais, Roggen und Gras gepflanzt. Jetzt bereitet er einen anspruchsvollen Cocktail aus Mais in Mischkultur mit einem Drittel Bohne und zwei Dritteln Mais zu. Dazu kommt die Mischkultur Gras und Klee, wobei er Klee auch als Futter einsetzt. Die Bohne kann über die Bakteriensymbiose am Wurzelwerk 50 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr in organischen Dünger umwandeln.
Auch Zwischenfrüchte wie Erbsen und Klee „sammeln“ 60 bis 100 Kilogramm Stickstoff aus der Luft und erzeugen bei der Untermischung im Boden organischen Stickstoffdünger, der lebenswichtig für alle Pflanzen und Böden ist. Chemischen Stickstoff-Dünger muss er so nicht mehr zukaufen, wieder ein Credit Point mehr. CO2-Ersparnis: rund zehn Prozent.
Weniger Pupsen, mehr Gewinn
Eine wichtige Stellschraube sind auch Futterzusätze, die im Pansen – dem Verdauungsorgan der Kuh - weniger klimaschädliches Methan bilden und dafür sorgen, dass die Darmflora die Nährstoffe besser verwerten kann. Stümmler reduzierte auch hier den CO2-Ausstoß um zehn Prozent: Seine Kühe stoßen weniger Inhaltsstoffe aus, ein Erfolg gegen das Rülpsen und Pupsen. Gleichzeitig geben die Kühe bei gleicher Menge Futter zwei Liter mehr Milch, das bedeutet: mehr Gewinn. Der Landwirt will das Futter weiter optimieren. Denn 15 bis 20 Prozent des Futters scheiden die Kühe unverdaut aus. „Diese Verluste sind unnötige Emissionen.“
Auch die „Anpaarung“ bei der Zucht könnte eine wichtige Rolle bei der CO2-Reduktion spielen: In den kommenden drei bis vier Jahren will Stümmler über die künstliche Besamung den „Zuchtwert“ für seinen Milchhof steuern, das heißt: weniger Rinder, mehr Kühe. Und vor allem: „bessere“ Kühe, die weniger Methan ausstoßen. „Der Methan-Wert bei Kühen unterscheidet sich. Die einen rülpsen mehr und die anderen weniger.“ Über eine Analyse des genetischen Potenzials sei diese Steuerung möglich. Auch hier ließe sich der CO2-Wert nochmal um drei bis vier Prozent senken.
Selbstständig zum Melkroboter
Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Tiergesundheit: Der 1500 Quadratmeter große Kuhstall für die 130 Melkkühe wirkt wie eine Wellness-Oase für Kühe. Alles schön sauber und großzügig. Es gibt sogar einen „Ruheraum“ für gesundheitlich angeschlagene oder hochschwangere Tiere.
Einige Kühe schrubbern sich an den großen Strohballen an der Hallenwand, andere gehen selbstständig zum Melkroboter, sie kennen den Weg. „Das ist mir am liebsten", sagt Stümmler. „Sie können selbst entscheiden, ob sie auf die Weide gehen oder im Stall bleiben, die Melkzeiten kennen die meisten auswendig.“
Viel Arbeit für wenig Geld
Doch mit den ganzen Experimentieren geht auch Arbeit einher, mehr als ein Landwirt ohnehin schon hat. Fünfzig bis siebzig Stunden Arbeitszeit sind in Aussaat-und Erntezeiten keine Seltenheit, einschließlich Buchführung. Durch das “Net Zero"-Projekt kommt jetzt noch einiges oben drauf.
Auch in der Bezahlung schlagen sich die Bemühungen noch nicht wieder: Für den Liter Milch bekommt Stümmler unabhängig vom CO2-Fußabdruck nach wie vor 50 Cent. Warum tut man sich das an? „Ich bin ein Überzeugungstäter“, sagt Stümmler. „Ich glaube, dass wir als Bauern mit dem Boden eine Menge retten können.“
„Das muss jemand bezahlen“
Beim Thema Geld könnte sich entscheiden, ob das „Net Zero Farming“ ein Erfolg wird oder nicht. Eine Klimabilanz von Netto-Null sei ohnehin unrealistisch, glaubt der junge Landwirt. „Das wird vorerst nicht zu erreichen sein. Auf 600 Gramm pro Liter Milch könnte der Ausstoß aber gesenkt werden.“
Für den Ostwestfalen sei außerdem klar: „Klimaschutz ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wenn wir CO2-neutral werden wollen, dann muss das jemand bezahlen.“ Das bedeutet: „Die Verbraucher müssen lernen, dass die Lebensmittel, die wir im Sinne der CO2-Nachhaltigkeit herstellen, teurer werden.“
Die Kunden werden auf lange Sicht keine Wahl haben, glaubt Stümmler. „Die Händler werden die Nachhaltigkeit einfordern. Wenn die Produkte im Regal stehen, und es keine Alternative gibt, dann werden die Kunden diese Produkte auch kaufen.“ Es werde mehrere Qualitäten und Preissegmente geben, „aber es wird sich etwas ändern“, ist er sicher.
Die Frage nach dem langen Atem
Der Weg dorthin dürfte lang sein. Die Frage ist, ob ihn alle Landwirte mitgehen, ob das DMK es tatsächlich schafft, das Pilotprojekt auf alle 4400 Mitgliedsbetriebe auszurollen. Ob die Arbeitskraft ausreicht, genau wie der finanzielle lange Atem. Zumal die Umstellung auf „Net Zero Farming“ nicht risikolos ist: Die Kühe reagieren auf Futterumstellung zum Teil sehr empfindlich.
Futterzusätze wie Dairy-Pilot mit ätherischen Ölen, Kräutern, Mineralen und Salzen haben vorbeugende Gesundheitswirkung und machen den Stoffwechsel effektiver, so wird das Futter besser ausgenutzt. „Wenn ich die Menge aber falsch dosiere, kann es sein, dass die Kuh weniger Milch gibt, weil sie Stoffwechsel-Probleme hat. Dann verliere ich doppelt Geld, und vielleicht wird die Kuh sogar krank“, sagt Stümmler Denn die Milch-Leistung sei der wichtigste Indikator für Gesundheit und Fitness der Kuh.
„Das kann sonst niemand“
Stümmler ist trotz der vielen Unwägbarkeiten davon überzeugt, dass sich ohne die Suche nach der „Netto-Null“-Kuh die Klima-Probleme nicht lösen lassen. Nach Daten des Umweltbundesamts wurden im Jahr 2022 mehr als 50 Prozent der deutschen Gesamtfläche von 360.000 Quadratkilometern landwirtschaftlich genutzt, insgesamt 170.000 Familienbetriebe gibt es in Deutschland. „Das ist ein riesiges Potenzial“, sagt Stümmler. „Wir können innerhalb eines Betriebs Kohlenstoff reduzieren und gleichzeitig binden. Das kann sonst niemand.“
Die Daten der Emissionsreduzierung werden laufend vom Science Based Target Initiative (SBTI) evaluiert. Im kommenden Januar endet die Testphase. Dann will das DMK ihren 4400 Mitgliedsbetrieben die Ergebnisse vorstellen und sie über ein Bonussystem zum Mitmachen bewegen. „Wir sind optimistisch, dass sich viele Betriebe anschließen werden“, sagt Unternehmenssprecherin Vera Hassenpflug. Es liege im existentiellen Eigeninteresse aller: „Sonst kennen wir Bauernhöfe demnächst nur noch aus Bilderbüchern.“ Das fänden nicht nur Senta und Amanda schade.