Holzkirchen: Volkshochschule zufrieden mit Integrationskursen - „Funktioniert sehr gut“

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Schulbank für Erwachsene: Dozentin Patricia Furtner (M.) bringt den Teilnehmern des Integrationskurses in 600 Unterrichtsstunden Deutsch bei. Das Wissen wird im „Deutschtest für Zuwanderer“ geprüft. © Thomas Plettenberg

Manche der Teilnehmer haben noch nie eine Schule besucht – nun bleiben ihnen 600 Stunden, um Deutsch zu lernen. Klar ist das unrealistisch, sagt die Dozentin. Trotzdem könnten die Integrationskurse an der Volkshochschule in Holzkirchen erfolgreicher nicht sein.

Holzkirchen – Der Kurs läuft erst seit September, aber die meisten Teilnehmer haben schnell Vertrauen gefasst. Oft kommen sie in den Pausen zu Patricia Furtner, Dozentin des Integrationskurses. Die 32-Jährige lächelt dann freundlich, hört zu und gibt Ratschläge. Manchmal geht’s um die Wohnungssuche oder um Probleme in der Familie. Andere Fragen drehen sich um Anträge und Formulare. Natürlich kann Furtner nicht immer helfen. Aber auch die Alltagsfragen gehören zur Integration dazu, sagt die Dozentin. „Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die eigentlich viel mehr draußen stattfinden müsste.“

Doch dafür fehlen vielen Teilnehmern noch Sprachkenntnisse. Im Klassenzimmer der Volkshochschule geht’s deshalb um beides: Neue Vokabeln, verknüpft mit dem praktischen Leben. Am heutigen Mittwoch hat Furtner dafür Bilder an die Wand geworfen. Zu sehen ist eine Waschmaschine, eine Steckdose, eine Duschbrause und eine Glühbirne. Erwartungsvoll schaut die Dozentin die 15 Teilnehmer an. Sie sollen zuordnen: Was reparieren sie selbst, und für welche Reparaturen bräuchten sie Hilfe? Eine typische Aufgabe aus dem Lehrbuch.

Manche haben vor zwei Monaten kein Wort deutsch gesprochen

Ali, 22, zögert kurz. Dann hebt er doch die Hand. „Ich repariere alles“, erklärt der junge Afghane. Sofort dreht sich ein Bilal, ein Mitschüler, um und scherzt: „Bitte komm’ zu mir und repariere meine Waschmaschine.“ Im Kurs ist man per Du, die Stimmung ist gut. Kurz lachen die Teilnehmer, dann wird es schnell wieder ernst. Die Frage nach dem Unterschied zwischen reparieren und Reparatur kommt auf. Auch das Wort „Glühbirne“ ist fast allen neu – die meisten kennen nur den Überbegriff „Licht“. Kleinigkeiten, die im Alltag doch bedeutsam sein können.

„Eine erfüllende Aufgabe“: Dominik Schmidt und Beate Louis koordinieren die Integrationskurse.
„Eine erfüllende Aufgabe“: Dominik Schmidt und Beate Louis koordinieren die Integrationskurse. © Thomas Plettenberg

Seit nicht einmal zwei Monaten unterrichtet die 32-Jährige auf diese Weise die Teilnehmer, die aus Syrien, Afghanistan, Nigeria, Pakistan, der Ukraine, dem Jemen und dem Kosovo kommen. „Manche sind mit keinem Wort deutsch hier reingekommen“, sagt Furtner. Doch die meisten von ihnen hätten große Ziele. Ali etwa wolle Elektriker werden, erklärt Furtner. Neben Deutsch lerne er auch Englisch. „Er ist sehr bemüht und hat ganz konkrete Ziele – das hat mich sehr beeindruckt.“ Doch obwohl der Integrationskurs an fünf Tagen pro Woche vier Stunden lang stattfindet, dürfe man nicht erwarten, dass die Teilnehmer nach sechs Monaten perfekt Deutsch sprechen. „Das ist unrealistisch“, sagt Furtner. Manche hätten vorher noch nie eine Schule besucht. Und lernen, ohne das Lernen gewöhnt zu sein, sei extrem schwierig.

Was bei Sprachen hilft, sind auch Hörspiele. Kurz vor Mittag legt Furtner eine Geschichte ein, in der zwei Menschen im Aufzug feststecken und dabei mit dem Technischen Notdienst telefonieren. Die Kursteilnehmer sollen zuordnen, welche Stimme etwas sagt. Im Aufzug wird einer der beiden nervös. Ali tippt das Wort „nervos“ in sein Handy. Dass die Punkte über dem „ö“ fehlen – geschenkt. Schnell notiert er sich die richtige Antwort.

Sprache ermutigt Teilnehmer

Freilich geht’s nicht immer so unkompliziert zu – „aber es gab bisher keine Konflikte“, sagt Furtner später. „Obwohl wir alles diskutieren“, ergänzt dazu Beate Louis, die im Büro über dem Klassenzimmer die Kurse koordiniert. Sie kennt die schwierigen Gespräche über Verhütung und Frauenrechte. Und sie erinnert sich an die verdutzten Gesichter darüber, dass in Deutschland auch Männer ihre Kinder wickeln. „Aber nach einem halben, dreiviertel Jahr ist davon meistens nichts mehr zu merken“, sagt Louis. „Die Integration funktioniert sehr gut.“

Das kann auch vhs-Vorstand Dominik Schmidt bestätigen, der selbst unzählige Integrationskurse gegeben hat. „Bei den Onlinekursen haben wir eine Abschlussquote von 100 Prozent“, sagt Schmidt. Auch in den Präsenzkursen würden nur „sehr selten“ einzelne nicht bestehen. In den Kursen würden Freundschaften entstehen – und echte Chancen. Bui aus Vietnam, mit 49 der älteste Teilnehmer, kann die Sprache für seine Arbeit in einem Holzkirchner Restaurant brauchen. Auch Oksana aus der Ukraine will ihren Beruf als Köchin wieder aufnehmen. „Für viele Firmen ist das Sprachniveau B1 Voraussetzung“, erklärt Schmidt. „Und alle, von denen ich später noch etwas mitkriege, schaffen den Sprung in die Arbeitswelt.“ Eine „wahnsinnig erfüllende Aufgabe“, fasst der vhs-Vorstand zusammen. Und für Ali, der nach seiner Ausbildung zum Elektriker gerne Elektrotechnik studieren würde, eine Art Türöffner. „Ich bin seit fast zwei Monaten hier im Kurs“, sagt er in sicherem Deutsch. Dabei habe sich nicht nur seine Aussprache verbessert. „Ich habe Mut bekommen.“ nap

Auch die AWO in Hausham die Integration Zugewanderter stärken.

Integrationskurse: Teilnahme freiwillig oder verpflichtend

Die vhs Oberland ist ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) anerkannter Träger für Sprachkurse. Als solcher bietet die vhs Integrationskurse in Holzkirchen und in Miesbach an. Die Teilnehmer belegen zunächst neun Monate lang für täglich vier Stunden einen Sprachkurs – insgesamt 600 oder 800 Unterrichtsstunden, je nach Vorwissen. Diesen schließen sie mit dem Deutschtest für Zuwanderer (DTZ) auf dem Sprachniveau B1 („selbstständige Sprachverwendung“) ab.

Im Anschluss besuchen die Teilnehmer einen Orientierungskurs (100 Stunden), in dem Wissen zur Rechtsordnung, Geschichte und Kultur vermittelt wird. Der Kurs endet mit dem Test „Leben in Deutschland“.

Die Teilnehmer – meist Neuzugewanderte oder auch schon länger in Deutschland lebende – belegen die Kurse entweder freiwillig oder verpflichtend, wobei nur Menschen mit Aufenthaltstitel zugelassen werden, die dauerhaft in Deutschland leben. Das ist laut BAMF ab einer Aufenthaltserlaubnis von über einem Jahr gegeben, oder wenn Menschen seit über 18 Monaten eine Aufenthaltserlaubnis besitzen. Laut vhs sind das meist Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive beispielsweise aus Eritrea, Syrien, Somalia oder aus der Ukraine.

Verpflichtet werden können Ausländer mit Aufenthaltstitel beispielsweise von der Ausländerbehörde, wenn sie nicht ausreichend deutsch sprechen. Auch das Jobcenter kann Empfänger von Bürgergeld verpflichten.

Deutsche Staatsangehörige und EU-Bürger haben indes keinen Teilnahmeanspruch. Das BAMF kann sie aber zulassen, wenn sie nicht ausreichend deutsch sprechen, besonders integrationsbedürftig sind und es freie Plätze gibt.

Grundsätzlich müssen die Teilnehmer einen Kostenbeitrag von 2,29 Euro pro Unterrichtsstunde zahlen, was sich insgesamt auf bis zu 2000 Euro summiert. Wer Bürgergeld, Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe bezieht, kann einen Antrag auf Kostenbefreiung stellen. Wer am Integrationskurs entgegen einer Pflicht nicht teilnimmt, muss laut BAMF damit rechnen, dass die jeweilige Aufenthaltserlaubnis nach ihrem Ablauf nicht verlängert wird. nap

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