Das Champions-League-Spiel von Borussia Dortmund bei Manchester City am Mittwochabend (4:1) war für Jobe Bellingham die erste sportlich-bedingte Rückkehr in seine Heimat seit seinem Wechsel zum BVB im Sommer. Der 20-Jährige spielte in den vergangenen drei Saisons rund 200 Kilometer nördlich vom Etihad Stadium – nämlich beim Zweitligisten Sunderland.
Dort wusste der jüngere Bruder von Ex-Dortmund-Star Jude Bellingham gerade in der vergangenen Saison zu überzeugen, als sich Sunderland in den Aufstiegs-Playoffs durchsetzen konnte und in die Premier League zurückkehrte. Aktuell stehen die "Black Cats" auf dem vierten Tabellenrang im englischen Fußballoberhaus – die Position von Bellingham begleitet der frühere Leverkusener Erfolgsgarant Granit Xhaka.
Bruder-Vergleich als Last: Jobe Bellingham weckte beim BVB falsche Hoffnungen
Bellingham hingegen nimmt bei seinem neuen Arbeitgeber noch keine tragende Rolle ein. Obwohl die Geräuschkulisse rund um seinen Wechsel laut war. Denn Jobe kostet in etwa die identische Ablösesumme wie sein Bruder bei dessen Wechsel von Birmingham City nach Dortmund 2020. Um die 30 Millionen Euro.
Allerdings war Jude damals lediglich 17 und wurde nach einer Saison für Birmingham in der zweiten Liga als riesiges Mittelfeldtalent gehandelt. Sein jüngerer Bruder verbrachte etwas mehr als drei Spielzeiten ebenfalls in der zweiten Liga, der EFL Championship, bevor er mit 19 den Sprung nach Dortmund vollzog.
Trotzdem wurde das Narrativ geschürt, dass hier eine zweite große Erfolgsgeschichte mit dem Namen Bellingham im Westfalenstadion geschrieben werden könnte. Man darf nicht vergessen: Jude Bellingham war fast von Minute eins an ein Leistungsträger für den BVB und entwickelte sich schnell zu einem Unterschiedsspieler, der schließlich für die Rekordsumme von 103 Millionen Euro zu Real Madrid wechselte.
BVB-Verantwortliche drücken auf die Bellingham-Bremse
Die Last für Jobe konnte also höher nicht sein. Zunächst hinterließ er bei der Klub-WM einen guten Eindruck. Doch mit Beginn der Bundesliga-Saison wurde alles ein bisschen holpriger. Frühe Auswechslung gegen St. Pauli am ersten Spieltag. Eine Konfrontation zwischen Vater Mark Bellingham und Sebastian Kehl im Anschluss im Spielertunnel. Ein zweiter Starteinsatz gegen Union Berlin am zweiten Spieltag. Und anschließend vor allem die Rolle des Reservisten.
Bellingham wurde von BVB-Coach Niko Kovac nie ganz auf der Bank gelassen und erhielt sogar in der Champions League gegen mittelprächtige Gegner wie Athletic Bilbao und den FC Kopenhagen Startelfeinsätze, aber man konnte regelrecht spüren, wie die Dortmunder Verantwortlichen erst einmal ein bisschen aufs Bremspedal drückten.
Der zumindest öffentliche Tiefpunkt in dieser Saison folgte im Topspiel gegen Bayern München, als die Bayern beim Stand von 1:0 kurz nach der Einwechslung von Bellingham einen Konterangriff über Harry Kane und Luis Díaz vorantrieben. Bellingham wollte auf der Linie noch den Einschuss verhindern, trat aber auf den Ball und legte so Michael Olise unfreiwillig das 2:0 vor.
Sinnbildlich für die erste Saisonphase des jungen Engländers: Er war stets bemüht. Aber wir wissen, was das übersetzt heißt.
Bellingham seit Bayern-Fauxpas auf richtigem Weg
Doch seit diesem kleinen Fauxpas in der Allianz Arena geht es für Bellingham stetig bergauf. In den jüngsten Dortmunder Spielen weiß er mehr und mehr zu überzeugen. Beim BVB-Sieg über Eintracht Frankfurt im DFB-Pokal stand er über 120 Minuten auf dem Feld. Am vergangenen Freitag gegen den FC Augsburg warf er sich in der Schlussphase voll rein und war mit daran beteiligt, dass der BVB einen 1:0-Sieg einfahren konnte.
Einerseits war der BVB nicht ganz unschuldig daran, dass das Narrativ der zweiten Bellingham-Erfolgsgeschichte in die Öffentlichkeit gestreut wurde. Andererseits fordern die Verantwortlichen, vor allem Cheftrainer Kovac, zurecht Geduld ein. Geschäftsführer Lars Ricken sowie Kehl führen aktuell fast wöchentlich Einzelgespräche mit Bellingham, um ihm klarzumachen, dass er sich selbst nicht zu sehr unter Druck setzen soll.
"Ich weiß, was er kann. Wir bauen ihn hier langsam auf. Ich glaube, es geht sogar schneller als das, was ich mir selbst vorgestellt habe, weil der Junge viel, viel Qualität hat", sagte Kovac nach dem Augsburg-Spiel. Es deutet vieles darauf hin, dass er künftig mehr und mehr auf den 20-Jährigen bauen könnte.
Welche Rolle findet Kovac beim BVB für Bellingham?
Im 3-4-3 von Kovac sollte sich am ehesten eine Position neben Felix Nmecha auftun. Auch wenn Bellingham bereits mehrfach für Nmecha eingewechselt wurde und gegen Frankfurt dessen Rolle in der Startelf begleitete, so ist an Nmecha aktuell kein Vorbeikommen. Der 25-Jährige wird auch für die deutsche Nationalmannschaft mit Blick auf die WM im kommenden Jahr eine hochspannende Personalie.
Zudem hat Bellingham in Sunderland eigentlich eher den offensiveren Part auf der Doppelsechs begleitet und mehr seine Box-to-Box-Fähigkeiten genutzt.
Nun hat Dortmund in der Regel auf der zweiten Position im zentralen Mittelfeld einen Ballverteiler wie Pascal Groß oder Marcel Sabitzer. Aber gerade Letzterer nimmt selten einen entscheidenden Einfluss aufs Spiel. Und Groß ist mittlerweile 34 und kann entsprechend nicht mehr ständig Vollgas geben.
Jobe Bellingham muss sicherlich noch ein wenig an seinen Spielmacher-Qualitäten arbeiten. Aber mit mehr Einsatzzeit und mehr Selbstvertrauen im schwarz-gelben Trikot sollte das möglich sein. Die Anlagen, wenngleich vielleicht nicht auf dem Niveau seines Bruders, hat er allemal.