„Würgeengel“: Ausgerottet geglaubte Kinderkrankheit an deutscher Waldorfschule ausgebrochen

  1. Startseite
  2. Deutschland

Kommentare

Obwohl Diphtherie nach der Endemie im Zweiten Weltkrieg verschwunden war, gibt es wieder einen Fall in Deutschland – der Junge war nicht geimpft.

Berlin – Was eine einst tödliche Krankheit war und als ausgerottet galt, ist nun wieder Realität. Ein Verdachtsfall von Diphtherie Ende September wurde wenige Tage später bestätigt, ein Grundschüler musste im Krankenhaus behandelt werden. Was die betroffene Einrichtung sagt und welche Maßnahmen ergriffen werden.

Schüler an Waldorfschule mit Berlin mit Diphtherie infiziert

In Deutschland waren wegen der hohen Impfquote bestimmte Kinderkrankheiten über Jahrzehnte kein Thema mehr. Jetzt sorgt ein Diphterie-Fall in Berlin für erneute Diskussionen. Dort ist ein zehnjähriger Schüler aus dem Landkreis Havelland an Diphtherie erkrankt, er besucht die Waldorfschule Havelhöhe in Spandau.

Das Gesundheitsministerium Brandenburg bestätigte auf Nachfrage von IPPEN.MEDIA, dass die Verdachtsmeldung bereits am 27. September 2024 einging. Der erkrankte Junge sei ungeimpft gewesen und musste kurz nach Auftreten der Symptome in einer Potsdamer Klinik behandelt werden.

Am 4. Oktober erfolgte dann der Nachweis der Infektion aufgrund eines positiven Tests, so ein Pressesprecher des Ministeriums. Die Schulleitung der Waldorfschule, an der der Junge unterrichtet wurde, wusste allerdings bereits am 28. September von der bestätigten Infektion.

Als „Würgeengel“ bekannte Kinderkrankheit: Das sind die Symptome von Diphtherie

Die Symptome von Diphtherie beginnen mit Halsschmerzen, hohem Fieber, Schluckbeschwerden, Heiserkeit, Schwellung der Halslymphknoten und einem pfeifenden Geräusch beim Einatmen. Im Rachenbereich bilden sich weißliche oder bräunliche Schleimhautbeläge, die sich auf Gaumen, Zäpfchen und Kehlkopf ausweiten können.

Die Keime der Diphtherie bleiben im Halsbereich, das Toxin kann sich über die Blutbahn hingegen in den ganzen Körper verbreiten. Sogenannte Pseudomembranen, die sich aufgrund der Entzündung bilden, reichen vom Rachen bis in die Luftröhre und Bronchien hinein. Das kann zu Atemnot und Ersticken führen, weshalb die Krankheit auch als „Würgeengel“ bekannt geworden ist.

Quelle: Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Österreich

Da die früher als „Würgeengel“ bekannte Krankheit in Deutschland noch immer meldepflichtig ist, habe man sofort notwendige Maßnahmen eingeleitet. Konkret: den Jungen isoliert, Kontaktpersonen ausfindig gemacht und auch die Impfbücher der Mitschülerinnen und Mitschüler kontrolliert.

Schule reagiert auf Diphtherie-Fall in Berlin: Klasse für drei Tage aus dem Unterricht genommen

Havelhöhe-Geschäftsführer Merten Bangemann-Johnson sagte IPPEN.MEDIA, man sei in „regem Kontakt“ mit allen Eltern gewesen und habe sogar alle Schüler der rund 30 Personen starken Klasse vorsorglich für drei Tage aus dem Unterricht genommen. Alle Kinder der betroffenen vierten Klasse des Jungen beim Träger „Havelhöhe“ hätten von ihren Hausärzten vorsorglich ein Antibiotikum erhalten und seien getestet worden. Am Unterricht teilnehmen durfte in der Folgewoche nur, wer nachweisen konnte, dass er mit dem Medikament behandelt wurde und einen negativen Test beim Rachenabstrich hatte.

Wie sich der Junge infiziert hatte, wisse man nicht. Am 8. Oktober erfolgte schließlich die „Freigabe“ durch das zuständige Gesundheitsamt in Spandau, dass der Unterricht wie gewohnt erfolgen könne. Rund 340 Schüler besuchen die Schule, zu der auch eine Kita nach dem Waldorf-Konzept gehört.

In der Einrichtung denke man jetzt über mehr Informationskampagnen zum Impfungen und Risiken von Infektionskrankheiten nach, so Bangemann-Johnson. „Was Eltern mit ihren Kindern machen, ist und bleibt ihre persönliche Entscheidung“, so der Geschäftsführer. In welchem Umfang Kinder durch Impfungen versorgt seien, dürfe man nicht kontrollieren, sofern keine politische Vorgabe dazu bestehe. Nur gegen Masern besteht in Deutschland an Schulen und Kitas Impfpflicht.

Diphtherie galt als ausgerottet dank Impfpflicht

Das Robert-Koch-Institut (RKI) unterscheidet in zwei Formen von Diphtherie, eine respiratorische, also die Atemwege betreffende, und eine Haut- oder Wund-Diphtherie. Als medizinische Maßnahme empfehlen die RKI-Experten eine klinische Behandlung unter Gabe von Antitoxin, das als Gegengift wirkt, und parallel unterstützend Antibiotika. Übertragen wird Diphtherie durch Tröpfcheninfektion oder direkten Hautkontakt mit Wunden oder infektiösen Ausscheidungen. Auch Tiere gelten als Infektionsquelle. Die Inkubationszeit liegt bei zwei bis fünf Tagen, selten auch bis zu zehn Tage. Erkrankte können bis zu vier Wochen lang ansteckend sein.

Ausgerottet geglaubte Infektionskrankheiten treten auch in Deutschland wieder auf. (Symbolbild).
Ausgerottet geglaubte Infektionskrankheiten treten auch in Deutschland wieder auf. (Symbolbild). © Olinchuk/IMAGO

Seit der letzten Endemie im Zweiten Weltkrieg galt Diphtherie in Deutschland als ausgerottet. In der DDR wurde 1961 eine Pflichtimpfung für Säuglinge und Kleinkinder eingeführt, auch in der BRD wurde die Impfung ab 1960 breit eingesetzt und in den 70er Jahren zur Standardimpfung gemacht. Die Fälle steigen in Deutschland in den vergangenen Jahren wieder an – Experten zufolge wahrscheinlich auch wegen des Kontakts zu ungeimpften Menschen aus anderen Ländern. In Westafrika etwa gab es 2022 den größten je da gewesenen Ausbruch. 2023 verzeichnete das RKI im gesamten Bundesgebiet 136 Fälle.

Auch wegen der hohen Impfquote besonders in Ostdeutschland verfalle man im Gesundheitsministerium Brandenburg wegen des Falls nicht in Panik: „Wir haben jedes Jahr Diphtherie-Fälle im niedrigen einstelligen Bereich“, so Gabriel Hesse. In der Saison 2022/23 wurden in dem Bundesland sogar elf Fälle offiziell nachgewiesen. Man mache Impfangebote und spreche eine dringende Empfehlung dafür aus. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Diphtherie-Impfung als Standardimpfung für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene. (diase)

Auch interessant

Kommentare