Schwere neurologische Krankheit - 17 Millionen Erkrankte: Verursacht das eigene Immunsystem CFS?
Weltweit leiden etwa 17 Millionen Menschen unter der schweren neurologischen Erkrankung CFS. Seit der Corona-Pandemie scheint die Zahl der Betroffenen noch gestiegen zu sein. Der Neurologe und Psychiater Mimoun Azizi erläutert die Hintergründe und Therapieoptionen.
Welche Symptome weisen auf das Krankheitsbild hin?
Das Krankheitsbild des Chronischen Fatigue-Syndroms (CFS) ist durch eine Reihe von Symptomen gekennzeichnet. Die Betroffenen leiden unter
- chronischer Erschöpfung
- Ganzkörperschmerzen
- Schlafstörungen und
- nicht erholsamem Schlaf
- schweren Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
- einer deutlich verlangsamte Reaktionszeit
- ungerichtetem Schwindel, sogenannter „brain fog“
- verschwommenem Sehen
- Herzrhythmusstörungen
Über 70 Prozent der Betroffenen berichten zudem von neuropsychiatrischen Beschwerden. Dazu zählen
- Schlafstörungen
- Panikattacken
- diffuse Angststörungen
- Stimmungsschwankungen
- depressive Verstimmungen
- innere Unruhe
Die Symptome können sich bereits nach minimaler körperlicher und geistiger Anstrengung verschlechtern, schränken die Lebensqualität erheblich ein und können in ausgeprägter Form sogar zur Pflegebedürftigkeit führen.
Über Mimoun Azizi

Der Facharzt für Neurologie Dr. med. Mimoun Azizi, M.A., ist seit 2021 Chefarzt der Geriatrie/Neurogeriatrie am Allgemeinen Krankenhaus Celle. Darüber hinaus ist er Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und besitzt u.a. Zusatzqualifikationen in der Notfallmedizin, Geriatrie und Palliativmedizin. Der Autor verschiedener Fachbücher und -artikel besitzt zudem einen Magister der Politikwissenschaften und Soziologie sowie einen Master der Philosophie.
Verschiedene Stadien der CFS
Das Chronische Erschöpfungssyndrom kann sich in vier unterschiedlichen Stadien manifestieren. Diese basieren auf dem Grad der Einschränkungen, die die Betroffenen im Alltag erfahren.
Im milden Stadium des CFS sind die Betroffenen zwar eingeschränkt, können ihren Alltag jedoch noch bewältigen und sind häufig noch berufstätig. Sie müssen ihre Aktivitäten möglicherweise anpassen oder reduzieren, können aber dennoch ein relativ normales Leben führen.
Das moderate Stadium des CFS ist durch eine deutliche Einschränkung in der Mobilität und den Alltagsaktivitäten gekennzeichnet. Die Symptome können stark schwanken und erfordern eine sorgfältige Planung von Aktivitäten sowie ausreichende Ruhephasen.
Im schweren Stadium des CFS sind die Betroffenen aufgrund ihrer Symptome stark eingeschränkt. Sie können nur minimale Aufgaben wie die Körperpflege selbstständig erledigen und sind oft auf einen Rollstuhl angewiesen. Das Leben spielt sich größtenteils zu Hause oder im Bett ab, da selbst einfache Aufgaben zu anstrengend sein können.
Beim letzten Stadium des CFS sind die Betroffenen vollständig auf Hilfe angewiesen und pflegebedürftig. Eine selbstständige Versorgung ist nicht mehr möglich.
Diagnosestellung und Herausforderungen
Die Diagnosestellung stellt eine Herausforderung dar, da die Symptome vielfältig und oft unspezifisch sind. Bereits nach sechs Monaten anhaltender Erschöpfung, die nicht von Geburt an vorhanden war und trotz ausreichender Ruhephasen bestehen bleibt, kann der Verdacht auf CFS geäußert werden.
Allerdings müssen vor einer endgültigen Diagnose andere mögliche Ursachen ausgeschlossen werden. Dazu zählen Erkrankungen wie
- Multiple Sklerose
- Depressionen
- Angststörungen
- internistische Erkrankungen wie Schilddrüsenerkrankungen.
Die Schwierigkeit bei der Diagnosestellung liegt darin, dass viele neuropsychische Symptome des CFS auch bei anderen psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen auftreten können. CFS wird als Ausschlussdiagnose betrachtet: Erst wenn alle anderen möglichen Ursachen für die Symptome ausgeschlossen wurden, wird die Diagnose gestellt.
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Ursachen und Korrelation mit anderen Krankheiten
Trotz intensiver Forschung ist die genaue Ursache noch nicht geklärt. CFS kann als Symptom einer schweren depressiven Erkrankung auftreten oder sich im Rahmen dieser entwickeln. Beide Krankheitsbilder können sich gegenseitig auslösen, was die Notwendigkeit einer ausführlichen Anamnese unterstreicht.
Untersuchungen der Hirnflüssigkeit und bildmorphologische Untersuchungen haben bisher keine Hinweise auf entzündliche Prozesse im zentralen Nervensystem oder typische cerebrale Strukturveränderungen ergeben. Es wird diskutiert, ob überschießende Autoimmunantworten nach viralen Infektionen eine Rolle spielen könnten. In jüngster Zeit wurde insbesondere eine mögliche Verbindung zu Long-/Post-Covid vermutet, wobei es hierfür noch keine evidenzbasierten Daten gibt.
Da die Symptome des CFS mit denen depressiver Erkrankungen übereinstimmen können, scheint die Entstehung multifaktoriell zu sein. Es gibt jedoch Berichte von Betroffenen, dass ihr CFS erst im Rahmen einer Covid-Infektion oder Long-/Post-Covid-Erkrankung aufgetreten ist.
Therapieoptionen für Patienten mit Chronischer Fatigue
Die Behandlung ist eine komplexe und vielschichtige Aufgabe. Es wurden verschiedene Therapieansätze ausprobiert, jedoch bisher ohne signifikanten Erfolg. Die aktuellen Therapien sind hauptsächlich symptomatisch und können eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva umfassen sowie Physio- und Ergotherapie.
Es ist wichtig, dass die Anforderungen an die Patienten angepasst werden, um eine Überforderung zu vermeiden. Psychotherapeutische Behandlungen können ebenfalls dazu beitragen, die Symptome zu lindern. Darüber hinaus können sportliche Aktivitäten wie Spazierengehen oder spezielle Übungen unter professioneller Aufsicht hilfreich sein.
Auch Übungen im Bereich der Aktivität des Alltags (ADL), wie Kochen, Einkaufen oder kognitives Training wie Lesen, Schreiben und Fernsehen können in den Therapieplan integriert werden. Die Intensität der Therapieeinheiten sollte dabei immer dem Schweregrad der Erkrankung angepasst werden. Bis heute gibt es keine zugelassene kurative Behandlung oder Heilung für ME/CFS.
Content stammt von einem Experten des FOCUS online EXPERTS Circles. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Bereich. Sie sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.