Hinter den Rekordgewinnen der deutschen Konzerne lauert eine bittere Wahrheit

Rezession seit Jahren, die Frage ist, wie lange noch. Künstliche Intelligenz (KI) verdrängt Jobs, die Frage ist welche. Chinesische Autokonzerne drängen die deutschen in die Defensive, wie lange halten die das noch aus? Ein erratischer US-Präsident hält die Weltwirtschaft mit seiner Zollpolitik im Atem. Und die deutsche Politik versenkt noch mehr Geld in Renten für eine Ruhestandsgeneration statt in Investitionen für Zukunftsmacher. Keine Frage: Die Kulisse ist schwarz, das Bühnenbild dunkel, es gab schon bessere Zeiten, oder?

In diesen Tagen haben zahlreiche deutsche Topkonzerne ihre Halbjahresbilanzen vorgelegt. Und es ist so, wie wenn ein Star die Bühne betritt: Um ihn herum wird es hell, er steht im Scheinwerferlicht und glänzt. Siemens, Telekom, Allianz- die Dax-Größen liefern Rekordgewinne ab, dass den Analysten Hören und Sehen vergeht und alle auf den „Kaufen“-Knopf drücken. Zollhammer hin, Rentenmurks her, der DAX hat in den vergangenen sechs Monaten um mehr als zehn Prozent zugelegt. Wie schlecht geht es uns wirklich?

Siemens profitiert vom Auftragswachstum in der Bahnbranche

Da ist Siemens, so etwas wie der Titan der deutschen Wirtschaft. Irgendwie schon ewig da gewesen und irgendein Geschäftszweig läuft immer und überstrahlt die, die gerade nicht so performen. Auftragsberge in der Bahntechnik sorgen für zufriedene Gesichter bei den Münchnern, die ein Umsatzwachstum von drei bis sieben Prozent anpeilen. Die Maschinen des Industriekonzerns laufen weltweit so rund, dass die Rezession daheim nur ein leiser Widerhall bleibt. Dort, wo die eigenen Talente, fehlen, bei Software und KI, ist die Kriegskasse voll genug für Übernahmen.

Da ist Telekom, die im ersten Halbjahr den geradezu absurden Gegenpol zur deutschen Wirtschaftsflaute darstellt: Der Nettogewinn steigt um ein gutes Drittel auf atemberaubende 5,5 Milliarden Euro. Der Kommunikationskonzern brummt auf beiden Seiten des Atlantiks, was ihn recht entspannt gegenüber Trumpschen Androhungen macht. T‑Mobile US legt mit sechs Prozent organischem Wachstum vor, Europa als Ganzes schafft sogar 6,7 Prozent. Deutschland selbst hinkt mit rund zwei Prozent hinterher. Angesichts der globalen Performance ist das für den Bonner Konzern verschmerzbar. Sein Gewinn hat direkte Folgen für den Bundeshaushalt. Bund und staatliche Förderbank KfW sind mit knapp 28 Prozent Großaktionär bei der Telekom.

Die Versicherer der Allianz fahren Rekordgewinne ein

Im Rausch der Rekorde feiert sich auch die Allianz. Finanzvorständin Claire‑Marie Coste‑Lepoutre klingt so, als könne sie es selber nicht fassen: In einem Umfeld verhaltenen Wirtschaftswachstums und hoher Kosten Naturkatastrophen habe man Rekorde beim operativen Ergebnis und beim Jahresüberschuss erzielt. Der Nettogewinn stieg um 13 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro. Konzernchef Oliver Bäte ist hochzufrieden: „Während die Volkswirtschaften in Deutschland und Europa kaum wachsen, legen wir weiter zu, weil wir sowohl geografisch als auch über unsere Geschäftssegmente hinweg breit aufgestellt sind.“

Womit der Allianz-Chaf zu den Gründen kommt, die das Phänomen des wirtschaftlich danieder liegenden Landes und seiner erfolgsverwöhnten Konzernen erklären. Es sind diese drei:

Alle Konzerne sind – erstens – weltweit unterwegs. Mal in Deutschland gegründet sind sie längst über ihren Heimatmarkt hinausgewachsen und funktionieren deswegen, auch wenn es zu Hause mal nicht so läuft. Über die Performance ihrer Topkonzerne muss sich deswegen die Bundesregierung keine Sorgen machen. Eher darüber, dass ihre Zahl nicht wächst und neue Weltkonzerne in der Regel nicht aus Deutschland kommen. Die letzte Gründung eines deutschen Konzerns von Weltrang ist mehr als ein halbes Jahrhundert her: SAP entstand 1972 in Weinheim. Seither heißen die neuen Spieler Apple oder Meta und Huawei oder BYD.

Sie alle legen – zweitens – wie die Pokerspieler, Karten, die sie sich nicht mehr brauchen ab und holen sich neue. Ihre Gewinne lassen sie Zukäufe locker stemmen. Die Allianz bildet zum Beispiel mit dem indischen Partner Jio Financial ein Rückversicherungs-Joint-Venture, an dem beide Firmen zu je 50 Prozent beteiligt sind. Nächstes Jahr wollen die Münchner ihr industrielles Versicherungsgeschäft auf dem Subkontinent starten. Siemens hat im Frühjahr für fünf Dollar für Dotmatics gekauft, einen auf die Pharmabranche spezialisierten Anbieter von Forschungs- und Entwicklungssoftware aus Boston. Und der Verkauf einer Mehrheit an ihren Funktürmen für mehr als 17 Milliarden Euro hat der Deutschen Telekom ihre Bilanz aufgehübscht.

Und sie alle setzen – drittens – auf Innovation. Siemens hat sich zum Beispiel mit Pointr. Verbündet. Das Jungunternehmen aus Großbritannien hat eine KI-Mapping-Technologie entwickelt, mit der sich Gebäudepläne schnell und genau digitalisieren lassen. Diese Technologie hilft beim intelligenten Gebäudemanagement und spart bares Geld.

Deutsche Autobauer kämpfen mit Nachfrageflaute

Ganz anders klingen die Motorengeräusche aus der Autoindustrie: VW, BMW, Mercedes – einst stolze Schwergewichte, gewinnen derzeit keine Rennen. Die deutschen Autobauer fahren im Standgas – und liefern ein Bild, das im harten Kontrast zu den glänzenden Zahlen der anderen steht. Im ersten Halbjahr 2025 verzeichnete VW einen massiven Rückgang beim operativen Ergebnis auf etwa drei Milliarden Euro, was einem Tempoverlust von rund 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. BMW meldet ebenfalls einen deutlichen Rückgang beim Umsatz und einen Einbruch beim Gewinn vor Zinsen und Steuern um etwa 20 Prozent, speziell in Europa, wo die Nachfrage nach Premiumfahrzeugen spürbar eingebrochen ist. 

Und Mercedes-Benz wie auch Porsche, einst wertvollste deutsche Marken, ächzen, weil der Strukturwandel auch vor dem Top-Segment nicht haltmacht. Die Autobranche ist dabei kein Randthema, sondern der gebrochene Spiegel deutscher Wirtschaftskraft – einst Zugpferd und Aushängeschild, steht sie heute mit Warnblinkern auf dem Pannenstreifen. Während die großen Konzerne global operieren, Effizienzprogramme stemmen und Gewinne einfahren, stottert die Autoindustrie belastet von Energiepreisen, Strukturanpassung und einem Blutbad, das die Branche selbst in ihrem einst wichtigsten Absatzmarkt China angerichtet hat.

Fazit: Die großen Konzerne liefern Gewinne, optimistische Prognosen, Rekorde. Ihre Motoren laufen global auf Touren, während die heimische Wirtschaft gegen die Dämonen der Flaute kämpft. Der Nebel der Rezession kontrastiert scharf mit dem Scheinwerferglanz der Konzerne. Bühne hell – Kulisse dunkel.

Dieser Text erschein in Kooperation mit Business Punk.