Scholz wettert gegen „gewisse Eliten“ und kritisiert Debatte über die Vier-Tage-Woche
Scholz wettert gegen „gewisse Eliten“ und kritisiert Debatte über die Vier-Tage-Woche
Die umstrittene Vier-Tage-Woche ist besonders auf Arbeitgeberseite ein unwillkommenes Konzept. Bundeskanzler Olaf Scholz rechnet jetzt mit Kritikern ab.
Die deutsche Wirtschaft ist seit dem Antritt der Ampelkoalition eine kränkelnde Abstiegsgeschichte. Trotzdem besteht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einem Interview mit dem Magazin Stern darauf, dies nicht auf die Arbeitnehmer zu schieben. „Es ist nicht in Ordnung, wenn Vertreter aus einer gewissen Elite so über die Beschäftigten in Deutschland sprechen“, so die tadelnden Worte des Kanzlers. „Wer solche Behauptungen in die Welt stellt, sollte sich was schämen“, reagierte der er auf den Streit um die Vier-Tage-Woche.
Rekordniveau an Erwerbstätigen: „Niemand drückt sich, ganz viele wollen arbeiten“
Der Kanzler verwies dabei auf die Zahl der Erwerbstätigen: „Wir haben die höchste Zahl an Erwerbstätigen in der Geschichte der Bundesrepublik, mit steigender Tendenz“, argumentierte der Kanzler und bezieht sich dabei auf Statistiken des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Demnach stiegt die Erwerbstätigkeit 2023 auf einen Rekordwert von 45,95 Millionen.
„Niemand drückt sich, ganz viele wollen arbeiten“, fuhr der Scholz fort. „Und sehr viele arbeiten auch viel länger als vertraglich vereinbart. Allein im vergangenen Jahr wurden 1,3 Milliarden Überstunden geleistet – mehr als die Hälfte davon im Übrigen unbezahlt. Pro Arbeitnehmer wären das statistisch mehr als 31 Stunden, davon mehr als 18 unbezahlt“, stützte er seine Argumentation.

Die gestiegene Anzahl der Arbeitslosen um 110.000 Personen im Vergleich zum Vorjahr sei besonders auf ukrainische Flüchtlinge zurückzuführen. „Arbeitskräfte sind so knapp wie seit Jahrzehnten nicht. Betriebe versuchen daher ihre Beschäftigten auch in einem schwierigen Umfeld zu halten“, so Enzo Weber, Leiter des IAB-Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“.
Angespannte wirtschaftliche Lage: Experten warnen vor verkürzter Arbeitszeit
Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist seit der Corona-Krise angespannt. Das Bruttoinlandsprodukt wies laut Statistischem Bundesamt einen Rückgang um 0,3 Prozent auf. Der aktuellen Konjunkturprognose des ifo-Instituts zufolge für 2024 wurde bereits herabgesenkt. So ermittelten die Experten einen leichten Anstieg im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 Prozent.
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Experten, die der Bundeskanzler mit „gewisse Eliten“ nicht beim Namen nennt, haben mehrfach vor der Umstellung auf Modelle wie die Vier-Tage Woche gewarnt. So mahnte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger in Anbetracht der schwachen Wirtschaftsleistung mehrfach davor, die Arbeitszeit zu verkürzen. „Nichts wird besser, wenn wir alle weniger arbeiten. Die von Ihnen beschriebene Vier-Tage-Woche gefährdet unseren Wohlstand“, sagte er gegenüber t-online. Aufgrund des demografischen Wandels plädiert Dulger für Mehrarbeit. Besondere Sorgen berietet dem Arbeitgeberchef das wackelige Rentensystem.
Ebenso sprach sich Judith Wiese, Siemens-Arbeitsdirektorin, gegen das Konzept aus. Sie verwies auf die alternde Bevölkerung und den akuten Fachkräftemangel: „Eine Diskussion über kürzere Arbeitszeiten können wir uns volkswirtschaftlich ganz klar nicht leisten“, so Wiese gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Schon heute arbeiteten die Menschen in Deutschland rund 500 Stunden weniger im Jahr als etwa in den USA. In dem Unternehmen seien Aussagen der Direktorin zufolge 40 Prozent der Beschäftigten über 50 Jahre alt, ein Viertel sogar Mitte 50 und älter. „Vorausgesetzt, wir stellen auf dem gleichen Niveau ein wie in den letzten Jahren, benötigen wir in den nächsten zehn Jahren allein in Deutschland rund 20.000 neue Beschäftigte“, drängte sie und verwies auf den steigenden Bedarf an Fachkräften aus dem Ausland.
Mehr Produktivität und Leistung: Studien belegen Wirksamkeit der Vier-Tage-Woche
Der Wunsch nach einer Vier-Tage-Woche ist innerhalb der arbeitenden Bevölkerung jedoch groß. 81 Prozent der befragten Vollzeiterwerbstätigen wünschten sich demnach eine Senkung er Arbeitszeit, wie eine Umfrage des WSI-Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung unter 2.575 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ergab. Die IG Metall hat angekündigt, in der Stahlbranche bei kommenden Tarifverhandlungen auf das Vier-Tage-Konzept bei gleichem Lohn zu drängen.
Obwohl die Arbeitszeit bei entsprechenden Modellen verkürzt würde, könnten Arbeitnehmer trotzdem in kürzerer Zeit mehr leisten. Dies ergaben zahlreiche Studien, darunter auch die des Teams der Kampagne 4 Day Week Global in Verbindung mit Wissenschaftlern der University of Cambridge und dem Boston College in den USA. Innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten wurden Daten von 61 Unternehmen mit rund 2.900 Angestellten gesammelt. Neben gesunkenen Burnout-Levels, weniger Krankheitstagen und reduzierter Anzahl an Kündigungen, stiegen im Ergebnis der Untersuchung die Einnahmen der Firmen um durchschnittlich 1,4 Prozent. Ein Pilotversuch in Deutschland läuft bereits.