Interview mit Bürgergeld-Empfännger - Frank lebt von Bürgergeld: „In 22 Jahren nur ein einziger Jobvermittlungsvorschlag“

FOCUS Online: Eineinhalb Jahre nach Einführung des Bürgergeldes sind Verschärfungen angedacht. Sanktionen von bis zu 30 Prozent zum Beispiel für drei Monate für Leute, die Eingliederungsmaßnahmen verweigern. Was sagen Sie als Leistungsbezieher dazu?

Frank: Das ganze System ist in sich krank. Und die Heilung der Krankheit liegt sicher nicht darin, noch mehr Druck auf Bürgergeldempfänger auszuüben, sie regelrecht an den Pranger zu stellen. Wir haben uns dieses System nicht ausgedacht, sage ich immer. Wir sind nicht für die Krankheit verantwortlich. Wir sind Opfer, nicht Täter!

Inwiefern sind Sie Opfer?

Frank: Ganz einfach: Ich möchte arbeiten. Wahnsinnig gerne! Seit 22 Jahren will ich nichts anderes. Wissen Sie, das Leben im Leistungsbezug ist nicht so, wie sich das viele vorstellen. Es ist eher ein Überleben als ein Leben.

Sie sind seit 22 Jahren im Leistungsbezug? Warum, wenn man fragen darf?

Frank: Ich könnte jetzt weit ausholen und zum Beispiel von meinen Qualifizierungen erzählen. Davon, dass ich vor dem Abi ein Jahr in den USA war und praktisch fließend Englisch spreche etwa. Ich könnte auch erzählen, dass ich Jura studiert habe, gute Noten hatte. Dann könnte ich berichten, dass es irgendwann bei uns zu Hause schwierig wurde und ich als Sohn gefragt war, weil meine Mutter nicht mehr richtig auf die Füße kam.

Letztendlich waren es mehrere Dinge, die dazu geführt haben, dass ich das Studium nicht beendet habe. Um die Jahrtausendwende bekam ich zwei Diagnosen: Ich bin hochsensibel. Und hochintelligent. Ich weiß schon, was jetzt kommt. Der denkt wohl, er sei was Besonderes. Ganz besonders schlau. So denken viele. Dass Hochbegabung mit zahlreichen Einschränkungen einhergeht, ist leider immer noch viel zu wenig bekannt.

Welche Einschränkungen sind das?

Frank: Zu viele Reize auf einmal sind schwierig für mich. 600 Leute in einem Hörsaal – das war der Horror. Möglicherweise lag es auch an den Einschränkungen, dass es mit der Bewerbung bei der Polizei nicht geklappt hat. Einerseits konnte ich bei vielen der geforderten Kompetenzen punkten.

Ich habe eine gute Auffassungsgabe, bin von Haus aus ein Kämpfertyp. Ich habe 25 Jahre lang Leistungssport gemacht. Außerdem habe ich eine Ausbildung als Rettungssanitäter. Bei mehreren Anläufen habe ich das Bewerbererfahren jeweils mit einer hohen Punktzahl absolviert. Gescheitert ist es letztendlich immer am Polizeiarzt. Das war hart…

„Als Kämpfer schaut man nach vorn“

Wie sind Sie damit umgegangen?

Frank: Als Kämpfer schaut man nach vorn. Wenn meine Stärken und Begabungen gesehen und die Einschränkungen respektiert werden, finde ich eines Tages den richtigen Platz, dachte ich. Naiv wie ich vor 22 Jahren war, ging ich davon aus, die beim Jobcenter können sowas. Fördern statt fordern, wenn man so will.

Genau darum ging es, als Hartz IV im Januar 2023 durch das Bürgergeld abgelöst wurde.

Frank: Da lache ich in den Wald! Ich sage Ihnen, wie es ist: Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits über 20 Jahre Gängelei hinter mir. Ständig neue Sachbearbeiter, immer wieder bei Null anfangen. „Erzählen Sie mal, was ist das Problem?“ Als wäre die Platte hängengeblieben.

Erst heute Morgen wieder. Das Übliche: Neue Sachbearbeiterin, altes Lied. Man sagt dann das, was man der Vorgängerin beim letzten Mal schon alles erzählt hat. Das, was man böse gesagt wohl auch einer Mülltonne erzählen könnte. Denn am Ende passiert jedes Mal das Gleiche.

Was denn?

Frank: Man bekommt ein paar Flyer in die Hand gedrückt. Stellen, an die man sich wenden, Dinge, um die man sich kümmern soll. Die nächste Fahrt zum ärztlichen Gutachter oder zum Reha-Berater zum Beispiel.

Klar: Die Fahrtkosten, auch wenn es an die 100 km sind, übernimmt das Jobcenter. So schnell wie das Geld auf dem Konto ist, kann man kaum schauen. Was da in 22 Jahren an finanziellen Mitteln für schwachsinnige Maßnahmen rausgehauen wurde, ist unfassbar.

„Menschen wie ich brauchen eine besondere Beratung“

Für Gutachten, Reisekosten – wofür noch?

Frank: Der Klassiker: Bildungsträger mit Sinnloskonzepten. Das x-te Allerwelts-Coaching etwa. Neulich wieder. Der Arbeitsvermittler meinte schon am Telefon: „Ich glaube nicht, dass ich der richtige Mann für Sie bin.“ Logisch:

Die acht Stunden Beratung hat er dann trotzdem durchgezogen. Gibt ja Geld. Und natürlich habe ich wie immer mitgespielt. Seit 22 Jahren mache ich alles, was das Jobcenter von mir verlangt. Ich springe über jedes Stöckchen, was man mir hinhält, sage ich immer. Bloß keine Sanktionen riskieren!

Warum meinte der Arbeitsvermittler, er sei nicht Ihr Mann?

Frank: Ganz einfach: Menschen wie ich brauchen eine besondere Beratung. Sie sind hier falsch, Sie lernen hier nichts – ich kann nicht zählen, wie oft man das zu mir gesagt hat, wenn ich einen Kurs besucht habe.

Dabei gibt es Coaches, die sich auf die Themen Hochbegabung und Hochsensibilität spezialisiert haben und meiner Überzeugung nach helfen könnten. Stattdessen sitze ich Jahr um Jahr die Zeit ab. Ehrlich, man fühlt sich wie jemand, der längst den Führerschein hat, aber in einen Kurs gesteckt wird, um Fahrradfahren zu lernen.

Haben Sie das den Leuten vom Jobcenter denn mal genauso gesagt?

Frank: Na klar, unzählige Male. Aber die wollen das nicht hören, machen stur ihr Ding.

Können Sie sich das erklären?

Frank: Soweit ich weiß, werden die Jobcenter-Mitarbeiter im Rahmen von Wochenendkursen qualifiziert. Ein Thema könnte Unsicherheit sein. Schauen Sie: Über die Juristerei bin ich im ein oder anderen Sachverhalt einfach mehr drin.

Ich hake nach, gebe mich nicht so leicht zufrieden, lege den Finger hier und da in die Wunde. Das ist natürlich alles andere als gern gesehen und provoziert Abwehr. Doch das allein reicht vermutlich nicht als Erklärung für 22 Jahre Firlefanz statt ernstgemeinster Unterstützung.

„Es gab einen einzigen Arbeitsvermittlungsvorschlag“

Was könnte noch ein Grund für den „Firlefanz“ – um bei Ihren Worten zu bleiben – sein?

Frank: Die zunehmend miese Stimmung in der Gesellschaft gegenüber Bürgergeldempfängern trägt sicher zur Entwicklung mit bei. Klar überträgt sich das früher oder später auf die Mitarbeitenden vom Jobcenter. Die spüren den Druck, wollen dann zumindest vorgeben können, sie hätten was unternommen.

Nicht ohne Grund sind in den letzten Jahren Bildungsträger wie Pilze aus dem Boden geschossen. Coachings für Bürgergeld-Empfänger – das ist leicht verdientes Geld. Die Firmen haben entdeckt, dass man mit der Not von Menschen einen Reibach machen kann. Am Ende hilft das nicht den Ratsuchenden, sondern den Inhabern der Firmen, die entsprechende Beträge in Rechnung stellen. Und das Jobcenter zahlt und zahlt und zahlt.

Hand aufs Herz: Wie viele ernstzunehmende Job-Angebote gab es in den 22 Jahren?

Frank: Ob Sie es glauben oder nicht: Es gab einen einzigen Arbeitsvermittlungsvorschlag. Ernstzunehmend ist allerdings relativ. Ich würde eher sagen: Der Computer hat damals geglaubt, eine Übereinstimmung gefunden zu haben.

Es ging um eine Stelle als Wachleiter für einen Rettungsdienst. Ja es stimmt, ich habe eine Rettungssanitäter-Ausbildung. Aber eben keine mehrjährige Erfahrung als Wachleiter. Und genau das war eine der zehn Anforderungen. Im Klartext: Ich konnte die Anforderung nicht erfüllen. Genauso wenig wie die neun anderen.

Sind Sie zu anspruchsvoll?

Frank: Ich weiß, das denken viele. Ich sage offen und ehrlich: Nicht jeder Job wäre zumutbar. Eine Tätigkeit mit viel Publikumsverkehr zum Beispiel würde ich für mich ausschließen.

Was könnten Sie dagegen gut?

Frank: Das ist die entscheidende Frage. Daran hätte ich gerne gearbeitet, beziehungsweise das wäre noch immer mein Wunsch. Für welche Branchen bringe ich Skills mit? Wo sind die vermeintlichen Einschränkungen vielleicht sogar ein Plus?

rgendetwas in mir sagt: Mithilfe einer gründlichen Analyse und einer fachspezifischen Beratung ließe sich was bewegen. Doch noch mal: So etwas habe ich in all den Jahren nicht ein einziges Mal angeboten bekommen. Mittlerweile frage ich mich ernsthaft, ob man mir je wirklich helfen wollte.

„Ich befürchte, dass Menschen wie ich in die Totalverweigerer-Ecke gestellt werden“

Was sollten die Mitarbeiter im Jobcenter denn sonst wollen?

Frank: Aus meiner Erfahrung, so traurig das ist, muss ich antworten: Macht ausüben. Das gilt sicher nicht für alle, aber durchaus für einige. Ich erinnere mich noch an einen Berater, es hatte wieder mal einen Wechsel gegeben.

„Ich bin 48 Jahre alt, habe noch 15 Jahre bis zur Rente“, so begrüßte er mich. Und dann meinte er, wortwörtlich: „Herr B., wir haben jetzt zwei Möglichkeiten. Ich kann sie 15 Jahre dauerschikanieren oder Sie komplett in Ruhe lassen.“

Was könnte er damit gemeint haben?

Frank: Ich glaube, er wollte mir zeigen, wer die Hosen anhat. Dass ich mitspielen muss, ansonsten wird es ungemütlich. Und genau das habe ich gemacht, wie immer: mitgespielt. Was bliebe mir auch anderes übrig?

Wie geht es Ihnen, wenn jetzt Rufe nach härteren Regeln für Bürgergeldempfänger lauter werden?

Frank: Einerseits befürchte ich, dass Menschen wie ich noch viel mehr in die Totalverweigerer-Ecke gestellt werden. Und dass die Mitarbeiter beim Jobcenter damit eine Art Freibrief für noch mehr Gängelei bekommen. Was mich persönlich angeht, so schrecken mich die angedrohten Kürzungen von bis zu 30 Prozent wenig.

Fakt ist zwar: Mit jedem Jahr, das vergeht, werde ich schwerer vermittelbar - mit dem Alter kommen bekanntlich oft weitere Einschränkungen. Und schon jetzt bin ich durch meinen Lebensweg derart gezeichnet, dass ich eine Schwerbehinderung habe. Doch wie gesagt: Solange ich brav mitspiele, habe ich wohl nichts zu befürchten.

„Ich spare dem Amt Geld“

Und wenn doch?

Frank: Sagen wir es so: Ich habe weniger Angst vor dem Hungertod als davor, wegen des Drucks einen Herzinfarkt zu erleiden.

Das müssen Sie bitte erklären.

Frank: Ganz einfach: Ich habe monatlich Einnahmen von 846,32 Euro. Vor ein paar Jahren bin ich in eine WG gezogen, zusammen mit anderen Bedürftigen. Dadurch halte ich meine Wohnkosten so gering wie möglich. Ich habe eine Warmmiete von 283,33 Euro.

Abzüglich Strom, Telefon und Versicherungen bleiben mir rund 450 Euro zum Leben. Oder besser: Zum Überleben, wie gesagt. Hunger leide ich tatsächlich nicht. Was mir deutlich mehr zu schaffen macht, sind die Unterstellungen, die ich aushalten muss, seit ich mit anderen zusammenwohne.

Was unterstellt man Ihnen denn?

Frank: Da muss ich kurz ausholen. Mir stünde eine Mietobergrenze von etwas über 400 Euro zu. Davon bin ich weit entfernt. Heißt: Ich spare dem Amt Geld. Doch statt das zu honorieren, fällt denen nichts Besseres ein, als mir zu unterstellen, ich hätte ein Verhältnis mit meinen Mitbewohnerinnen.

Man droht mir damit, sie zu einem Teil einer Bedarfsgemeinschaft mit mir zu machen, was im Erfolgsfall bedeuten würde, dass sie mich mitunterstützen müssten. Die Miete würde dann anders berechnet, ergo: Ich bekäme weniger Bürgergeld. Und jetzt frage ich Sie, was ist das: fördern? Oder gängeln?