„Mein Mann ist daran zugrunde gegangen, wie die Behörden mit uns umgegangen sind"
Es waren nur wenige Zeilen, die Melanie Kalt (33) letztes Wochenende an FOCUS online Earth schrieb, aber es waren Zeilen der Hoffnung. „Wir haben heute die Wiederaufbauhilfe erhalten. Es war nach Ihrem Artikel noch ein Kampf, aber es scheint sich gelohnt zu haben. Wir sind dankbar für Ihre Hilfe und müssen alles erst einmal verarbeiten.“
Hinter dieser Nachricht stecken fast vier Jahre Streit mit dem Land Rheinland-Pfalz und tiefe persönliche Krisen. Melanie und Anette Kalt (58) haben ihre Geschichte FOCUS online Earth für die Serie „So geht es Deutschland wirklich“ Anfang des Jahres erzählt.
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Aus dem Haus von 1804 blieb nur noch ein Trümmerhaufen
Das Familienhaus der Kalts in Mayschoß aus dem Jahr 1804 wurde von der Ahrtal-Flut am 14. und 15. Juli 2021 weggerissen. Melanie, ihr Mann Dominik (33) und ihre beiden Kinder sowie die Schwiegereltern überlebten. Eine Zeit lang wohnte die Familie bei Verwandten, danach in einem Ferienhaus. Im April 2024 zogen die Kalts in das neue Haus. Sie haben es nur wenige Meter entfernt von dem alten Familienhaus gebaut, von dem nur noch ein kleiner Trümmerberg übrig ist.
Doch Ruhe zog damit noch lange nicht in ihr Leben ein. Melanies Schwiegervater Josef lebte nach dem Umzug nur noch sechs Wochen, dann starb er unerwartet. „Er ist daran zugrunde gegangen, wie die Behörden mit uns nach der Flut umgegangen sind“, ist seine Witwe Anette Kalt überzeugt. Melanies Mann Dominik habe die Belastung psychisch umgehauen, nach einem zweimonatigen Aufenthalt in einer Tagesklinik befindet er sich weiterhin in psychologischer Behandlung.

„Wir machen jeden Monat Minus“
Denn das Versprechen der „unbürokratischen Hilfe“ entpuppte sich im Gegenteil als Bürokratiemonster. „Wir haben nicht mehr daran geglaubt, dass wir Geld aus dem Wiederaufbaufonds bekommen“, sagte Melanie Kalt zu FOCUS online Earth im Januar dieses Jahres.
Sie habe sich damit abgefunden, dass sie die rund 750.000 Euro für den Neubau alleine stemmen müssen, sagte die Polizeibeamtin. Doch mit dieser „Gewissheit“ gehe es ihr besser, sagte sie damals. Die beiden Gehälter von ihr und ihrem Mann, der bei der Berufsfeuerwehr arbeitet, reichten seit Jahren nicht aus. „Wir machen jeden Monat Minus“, sagte Dominik Kalt.
FOCUS online Earth deckte auf, dass bei der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB), die für die Auszahlung des Geldes aus dem 15 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds von Bund und Länder für die Flutopfer zuständig ist, der Fall Kalt verschlampt und verzögert wurde.
Die Familie hatte keinen festen Ansprechpartner, Dokumente wurden erst nach Monaten bearbeitet. Rückfragen und Misstrauen zermürbten die Familie Kalt. „Nicht die Flut hat uns zu Opfern gemacht, sondern die Behörden“, sagte Anette Kalt zu FOCUS online Earth. Kein Einzelfall an der Ahr, wie sich bei den Recherchen herausstellte.
FOCUS online Earth konfrontierte die Staatskanzlei mit dem Fall. Es stellte sich heraus, dass die Verzögerung tatsächlich nicht von den Kalts verschuldet wurde, sondern von der zuständigen Auszahlungsstelle.
Ein eigener Garten als Belohnung
Nach der Berichterstattung Ende Januar bei FOCUS online Earth kam Bewegung in die Sache. „Es war immer noch ein Kampf“, sagt Melanie Kalt am Telefon. „Rechnungen wurden nicht akzeptiert, es gab wieder zahlreiche Fragen.“ Doch am 25. April kam endlich der erlösende Bescheid: Die zugesagte Summe wird ausgezahlt.
Auch drei Tage später findet Melanie Kalt, eigentlich eloquent und wortgewandt, kaum Worte, um zu beschreiben, was in ihr vorgeht: „Das ist ein solch großes Glück für uns alle, Sie können sich das kaum vorstellen.“ Ohne den FOCUS online Earth-Bericht, davon ist Melanie Kalt überzeugt, wäre es eine „neverending Story“ geworden. Jedenfalls wären sie noch lange nicht an ihr Geld gekommen. „Ich glaube sogar, gar nicht. Und ob wir diesen Kampf noch mehrere Jahre durchgestanden hätten, weiß ich nicht“, sagt die Bundespolizistin.
Seit der Flut sind Melanie, ihr Mann, die beiden Söhne und Anette Kalt nicht mehr richtig in den Urlaub gefahren, an allen Ecken und Enden fehlte das Geld. Gibt es denn jetzt eine Belohnung für die Familie? „Wir werden am Haus einen Garten anlegen, das ist unsere Belohnung.“ An Urlaub sei noch nicht zu denken.