Kinderbuch „Pettersson und Findus“ erst ab 18 Jahren – warum das für Putin Sinn ergibt

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Russische Verlage stehen unter Beobachtung. Selbst Kinderbücher wie „Pettersson und Findus“ sind betroffen. Die Angst vor Repression wächst in Putins Reich.

Pettersson ist ein freundlicher – vielleicht etwa schratiger – älterer Herr, Findus ein sprechender Kater mit kindlichem Gemüt. Beide sind überdies nur gezeichnet, vom Schweden Sven Nordqvist. Und neuerdings, jedenfalls in vier Bänden ihrer Bücher, in Russland erst ab 18 Jahren für die Leserschaft freigegeben. Das klingt skurril, ist aber bitterer Ernst im Reich von Wladimir Putin.

Der russische Verlag Albus Corvus selbst hatte einen zwischenzeitlichen Verkaufsstopp der vier Bücher im Juni verkündet. Deutschlands wohl prominentester Exil-Russe, Wladimir Kaminer, griff den Fall in seinem Blog auf. Letztlich ging es den Behörden nicht um antirussische Tendenzen des alten Pettersson und seiner Hauskatze. Aber das macht die Sache ebenso wenig besser wie der Umstand, dass die Bücher mittlerweile mit etwas Camouflage und unter Altersauflagen in Russland wieder im Handel sind.

„Pettersson und Findus“-Bände auf dem Index – wegen der Übersetzerin

Denn Altersbeschränkungen wie bei „Pettersson und Findus“ sind nur die Spitze des Eisbergs in Russlands Literaturwesen. „Das ist ein sehr sensibles Feld, denn in letzter Zeit geraten Verlage – auch große, man könnte sagen: monopolartige – in Russland zunehmend unter Druck“, erklärt Dr. Daria Khrushcheva dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. Ein Anlass für Repression sei das Gesetz über „LGBT-Propaganda“, sagt die Slawistin der Ruhr-Universität Bochum. Ein anderer die „Veröffentlichung von Büchern sogenannter ausländischer Agenten“.

Repressiver Präsident schlägt sprechende Katze: „Pettersson und Findus“ (hier eine Findus-Puppe) sind in Russland teils mit dem Vermerk „18+“ versehen.

Zweitere Variante hat auch „Pettersson und Findus“ auf den russischen Index gebracht. Die betroffenen vier Bücher hatte die Künstlerin Alexandra Polivanova übersetzt. Doch um ihre Worte geht es ganz offensichtlich nicht: Dass es möglich ist, „Pettersson und Findus“ besonders subversiv zu übersetzen, es scheint fraglich. Polivanova arbeitet aber auch für die Menschenrechtsorganisation Memorial. Die kümmert sich unter anderem um die Aufarbeitung von Gewaltherrschaft, wurde 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Und ist zumindest in Putins Russland zwangsaufgelöst.

Entsprechend haben die Behörden Polivanova wie Memorial als „ausländische Agentin“ eingestuft. Ihr Name und ihre Arbeit sollen nun offenbar so weitgehend wie möglich aus Russlands öffentlichem Leben verschwinden. Ein ernstes Problem, wie Khrushcheva bestätigt.

Putin auf Sowjet-Pfaden: „Es scheint, als handele es sich um eine neue Welle der Zensur“

Nicht nur auf vermeintliche „ausländische Agenten“ – Memorial wurde noch zu Sowjetzeiten in St. Petersburg gegründet – hätten die Behörden in Russland ein Auge geworfen. Sondern auch auf gegebenenfalls lose Bande von Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzern oder anderen Mitarbeitenden zu „unerwünschten Organisationen“ oder Medien. „Darüber hinaus wurde einigen Schriftsteller:innen der Status von Extremisten oder Terroristen zugewiesen – wie etwa im Fall von Boris Akunin“, sagt Khrushcheva. Akunin war einst enorm erfolgreicher Krimischriftsteller in Russland, fordert aber freie und faire Wahlen und kritisiert den Ukraine-Krieg.

Die Verlage entfernten in solchen Situationen vorsorglich sämtliche Bücher und Erwähnungen; im realen Sortiment, aber auch in sozialen Netzwerken und Webseiten, berichtet die Expertin: „Die Situation mit den Verlagen wurde bereits von vielen Medien als
‚Verlagsaffäre‘ bezeichnet – wie zu Zeiten der Sowjetunion, zur Zeit der Repressionen der 1930er-Jahre.“ „Es scheint, als handele es sich um eine neue Welle der Zensur“, fügt Khrushcheva hinzu. Es gehe womöglich um den Versuch, einzuschüchtern – oder zu zeigen, „dass alles unter Kontrolle steht und jede Handlung Konsequenzen haben kann“.

Angst in Putins Russland: Razzia im Verlag – wegen einer Sommerlager-Romanze in Buchform

Offensichtlich ist, dass solche Repressionen nicht nur Karrieren, sondern auch Existenzen vernichten können. Selbst, wenn sich im gegebenen Fall eine Lösung finden ließ: In Folie verpackt, mit Warnhinweis auf Mitwirkung einer „ausländischen Agentin“ und dem Vermerk „18+“ versehen, stehen die vier „Pettersson und Findus“-Bände mittlerweile wieder in den Regalen.

Die Auswirkungen auf lesefreudige Kinder sind nicht allzu gravierend, wie Khrushcheva bestätigt. Im schlimmsten Falle müssen die Eltern die Bücher kaufen oder – in der Bibliothek – ausleihen. Aber bei den Verlagen grassiert mutmaßlich bereits die Angst. Laut einem Bericht von Meduza nahmen im Mai Sicherheitskräfte zehn Mitarbeiter des Großverlages Eksmo fest – weil bei der erst 2023 erworbenen Verlagstochter Popcorn Books „LGBT Propaganda“ erschienen sein soll: „A Summer in the Red Scarf, ein Roman von Katerina Silvanova und Elena Malisova über eine Romanze zwischen zwei Jungs in einem Sowjet-Sommerlager“, schreibt das russische Exil-Medium.

Das Signal aus dem Kreml ist nicht schwer zu dechiffrieren: Wer nicht alles Missliebige aussortiert, bringt nicht nur den Verlag in Gefahr – sondern auch die eigene Freiheit. Vergleichsweise amüsant sind da noch die Hintergründe des Verschwindens der Mumins aus Russland. (fn)

Rubriklistenbild: © Montage: Mikhail Metzel/SNA/Ola Torkelsson/Linus Feldt/TT/Imago