Tate-Star William Turner im Münchner Lenbachhaus: Naturgewaltig!

  1. Startseite
  2. Kultur

KommentareDrucken

Genau hinschauen! Lohnt sehr in der William-Turner-Schau im Münchner Lenbachhaus. © kjk

Das Münchner Lenbachhaus zeigt die größte William-Turner-Schau außerhalb Londons. Ein Besuch beim Star der Malerei: unser Ausflugstipp.

Da kommt die Tate London daher und bietet einem als Museum eine Carte blanche: Nehmen Sie, was Sie möchten, offerierten die Briten Lenbachhaus-Chef Matthias Mühling – und lassen Sie dafür einen Teil des Blauen Reiter nach London galoppieren. London wollte Münter, Kandinsky und Co. und durfte auf die größte Sammlung weltweit – die des Lenbachhauses nämlich – zurückgreifen; München wollte dafür Turner und durfte sich seinerseits aus der größten Sammlung von Turner-Werken weltweit bedienen. Glücksbeseelt steht Mühling beim Presserundgang im Kunstbau. Weil die Künstlergruppe des Blauen Reiters ja nicht im luftleeren Raum entstanden ist. Außergewöhnliche Talente und Weiterdenker wie William Turner (1775-1851) haben alles, was zum Blauen Reiter führte, erst denkbar gemacht. Diese Schau erzählt einen wichtigen Teil der Vorgeschichte dessen, was man im Anschluss ein paar Meter weiter im Haupthaus des Museums am Königsplatz sehen kann.

William Turners Malerei war revolutionär

Umso richtig zu verstehen ,wie revolutionär das ist, was Turner im 19. Jahrhundert auf der Leinwand veranstaltet hat, muss man sich klarmachen, dass Expressionismus, abstrakte Kunst, die für uns heute völlig normal sind, damals noch nicht existierten. Die Kuratoren Karin Althaus und Nicholas Maniu machen durch ihre kluge Hängung nachvollziehbar, wie der Brite in seiner Arbeit immer freier, immer radikaler wurde. Links die Wand entlang hängen die Werke, die er zu Lebzeiten ausgestellt hat, rechts jene, die hinter den Kulissen entstanden, vor der Öffentlichkeit verborgen. Zick-Zack-Lauf durch den Raum dringend empfohlen. Auf diese Weise kann ein jeder nachverfolgen, wie Turner auch als öffentlicher Künstler mutiger wurde. Mit andauerndem Erfolg auf die konservativen Stimmen seiner Zeit pfiff und seinen freien Stil auslebte.

Venedig zum Beispiel. In einer ersten Stadtansicht von 1833 sind die Gondolieri, das Wasser, die Fassaden noch klar erkennbar. Doch löst sich das in zwei weiteren Venedig-Bildern aus dem Jahr 1844 auf. Die Stadt scheint im Nebel zu versinken. Sofort versteht man, warum Turner nie von der Bildfläche verschwunden ist. Warum ihn so viele nachgeborene Kolleginnen und Kollegen für sich entdeckt haben. Mark Rothko (1903- 1970) beispielsweise. Seine Farbfeldmalerei ist unverkennbar von Turners Horizont-Spielereien beeinflusst.

Die Zeichnungen für Turners Studenten waren noch nie außerhalb Londons zu sehen

Turner war ein Wunderkind .1790, mit 14, stellte er sein erstes Aquarell aus. Wurde als jüngster Künstler jemals an der Royal Academy aufgenommen. Im Mittelraum hängen Zeichnungen, die er für seine Vorlesungen als Professor für Perspektive an der Akademie angefertigt hat. „Die Power-Point- Präsentationen seiner Zeit“, meint Althaus schmunzelnd. Saaldiener hielten die Zeichnungen für die Studenten hoch. Turner galt als schlechter Redner, sprach mit breitem Cockney-Dialekt. Seine Ausführungen seien speziell, lästerten die Zeitgenossen – aber die Zeichnungen! Für die Zeichnungen solle man sich in den Hörsaal setzen. Sie hat man in diesem Umfang nie außerhalb Londons gesehen.

Im Auge des Sturms: William Turners Meisterwerk  „Snow Storm  - Steam-Boat off a Harbour’s Mouth“ (1842).
Im Auge des Sturms: William Turners Meisterwerk „Snow Storm - Steam-Boat off a Harbour’s Mouth“ (1842). © Turner, Joseph Mallord William

Und dann diese Fülle an außergewöhnlichen Malereien. Die früheste der Schau ist aus dem Jahr 1797, da war er 22. Der Mond bestrahlt Boote in ruhigem Gewässer. Gleich wird deutlich, was Turner zu einem der bedeutendsten bildenden Künstler der Romantik machte. Doch so friedvoll wie in dieser nächtlichen Szene bleiben die Arbeiten nicht. Turner war an den Gegenpolen alles Schönen interessiert, an dem, was Angst macht – und zugleich fasziniert. Lawinen, Gewitter, Feuer. In „Snow Storm –Steam-Boat off a Harbour’s Mouth“ (1842) verdichtet sich sein ganzes Können, sein atemberaubender, wirbelnder Stil. Er selbst hat behauptet, er habe sich für dieses Werk an einem Schiffsmast festbinden lassen, um sich dem Sturm auszusetzen. Ob es stimmt? Unklar. Doch so wie er dieses Unwetter bildlich einfängt, dass einem allein beim Betrachten ganz schwindlig wird, will man’s glauben. Fühlt man die Macht der Natur. Und steht demütig davor. Als kleines Menschlein. Bei aller Technik bleiben wir doch Spielbälle der Elemente. Naturgewaltig. Bis 10. März 2024 im Kunstbau. Verlängerte Öffnungszeiten: Di.-So. 10- 18, Do./Fr. 10–20 Uhr.

Auch interessant

Kommentare